Kapitel 57

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Kurz darauf hat Nick alle zum Essen gerufen und Benjamin hat sich verabschiedet, obwohl Ethan ihn noch zum Bleiben eingeladen hat. Mit einem Seitenblick auf Nick, lehnte Benjamin dankend ab. Er nahm mich noch zur Seite und dankte mir lächelnd für das spassige Basteln. Überfordert, dankte ich ihm zurück, hat es ihm wirklich spass gemacht?

Er flüstert mir auch noch zu, dass ich ihm immer anrufen dürfe. Dann umarmte er Ethan und winkt mir zu. Ich winke zurück und bin unheimlich froh, dass er akzeptiert hat, dass wir uns nicht zur Verabschiedung umarmen.

Nun sitzen wir alle am Tisch. Nick hat bereits allen eine Portion Nudeln und Gemüse auf den Teller gelegt. Unsicher, was ich von diesem gemeinsamen Essen erwarten muss, mustere ich die anderen. Ich bemerke den prüfenden Blick von Mason auf mir. Schnell schiebe ich mir eine Gabel voll in den Mund. Auch Nick's und Jack's Blick spüre ich immer wieder. Es ist total unangenehm. Aber ich versuche einfach so normal wie möglich zu essen.

«Nächste Woche haben wir ein Footballturnier.», unterbricht Aiden die angespannte Stille plötzlich. «Wir sind dabei.», meint Mason und klopft seinem Zwilling auf die Schulter. «Ich sollte auch Zeit haben.», meint Noah. «Louisa, gehen wir zusammen?», meint Ethan und schaut mich an. Zögernd nicke ich. Innerlich freue ich mich unendlich, dass er mich gefragt hat.

Es wird immer schwerer, die Teigwaren in meinen Mund zu schaufeln. Die anderen sind noch im Gespräch über das Turnier. Sie sprechen über die verschiedenen Teammitglieder. Ich glaube ich kenne keinen davon.

Wenn ich auf meinen Teller schaue, habe ich das Gefühl, noch nichts gegessen zu haben. Bestimmt die Hälfte liegt noch drin. Nick hat mir aber auch eine extra grosse Portion gegeben. Ob ich wohl ein bisschen Essen in der Serviette verschwinden lassen kann...? Unauffällig blicke ich mich um, treffe aber sofort Jack's Blick und dann später auch Noah's. Wird wohl nichts mit unauffällig. Schnell nehme ich eine Gabel Gemüse. Gemüse hat immerhin weniger Kalorien als die Nudeln. Um mich abzulenken lausche ich dem Gespräch über die Footballschuhmarke zu. Langweilig...

Vielleicht zwei Gabel später kann ich wirklich nicht mehr. Sogar der Gedanke, dass ich nachher alles auf der Toilette rauslassen kann, bringt nichts. Alle anderen haben fertig gegessen. Auch die Gespräche sind verstummt. Ich kann unmöglich weiteressen. «Ich platze gleich.», meine ich in die Stille und versuche fröhlich und gelassen zu klingen. So als hätte ich diesen Satz vor einem Jahr gesagt, als ich noch in meinem richtigen Zuhause war und ein Kilo Teigwaren verdrückt hätte und es offensichtlich war, dass ich nicht mehr mag. Von meiner Angst, diesen Satz laut auszusprechen, hörte man nichts.

Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie verschiedene Brüder etwas sagen möchte, Nick sie aber mit einem Blick zum Schweigen bringt. «Ein bisschen geht noch, oder?», fragt er ernst und mustert mich dabei genau. «Ein bisschen mehr hab ich schon gegessen, als eigentlich geht.», meine ich verzweifelt. «Drei Gabeln mit Nudeln, der Rest kannst du dann stehen lassen.», meint Nick und sieht mich immer noch mit diesem festen Blick an. «Eine halbe.», versuche ich zu verhandeln. «Drei.», meint er. «Ich kann nicht mehr, wirklich.» Ich meine es ernst. «Zwei, das schaffst du, oder?», fragt Jack aufmunternd. Ich schüttle den Kopf. «Versuchs Mal», meint Nick. Der denkt wohl auch nicht an die Kalorien... Alle Blicke meidend, schaufle ich Essen auf meine Gabel und nehme sie in den Mund. Es würgt mich. Ich bringe es wirklich kaum runter. Tränen treten mir in die Augen. Meine Brüder geben sich Mühe, meine Wünsche ernst zu nehmen, aber ich kann das, was sie sich wünschen nicht erfüllen. Wieso sollen sie dann versuchen, das umzusetzen, was ich will?

«Ist okay, Lisa.», meint Ethan sanft. «Nick du solltest sie aufklären, was mit ihrem Körper passiert. Ich glaube sie fühlt sich schlecht, weil sie es nicht den Teller leer essen kann.» Nick nickt knapp. Kein Wort verstanden, bin immer noch am Kämpfen. Zumindest das, was ich im Mund habe muss ich noch runterbringen. Ich merke, wie ich beginne zu Schwitzen. Total peinlich. Schlussendlich schliesse ich die Augen und schaffe es wirklich den letzten Bissen noch runterzubringen.

«Darf ich hoch?», frage ich leise, als ich merke, dass ich die Peinlichkeit und die Stille nicht mehr aushalte. «Ja», bestätigt Nick. «Ich komme nachher zu dir.» Ich stehe auf. Kurz wird mir ganz schwarz vor Augen und ich muss mich an meinem Stuhl festhalten, damit ich nicht umkippe. Kurze Zeit später ist aber alles wieder gut und ich verschwinde schnell in meinem Zimmer.

Sicher werden sie jetzt mein Verhalten analysieren, doch dazu habe ich keine Lust. Habe wichtigeres zu tun. Schnell renne ich zur Toilette und lasse alle Teigwaren und das Gemüse wieder raus. So fühlt es sich gut an. 

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