Drinnen mache ich mich im Schneckentempo bereit für die Beerdigung. Ich bin emotional noch nicht so weit. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich daran denke, dass Mom bald unter der Erde liegt. Die Kirche. So viele Leute werden da sein. Alle werden schwarz tragen. Es wird eine bedrückende Stimmung sein. Traurig schüttle ich den Kopf und bürste gedankenverloren meine Haare weiter. Das ist irgendwie entspannend.
Plötzlich klopft es an der Tür. Erschrocken zucke ich zusammen. "Ja", rufe ich. Aly tritt ein. Oh Mann, das kann ich jetzt gerade echt nicht gebrauchen... "Wollte dir nur noch schnell weitersagen, was Aiden mir soeben erzählt hat.", sie macht eine Pause und schaut mich verabscheut an. "Er meinte, du würdest alles kaputt machen. Mein Schatz hat mir anvertraut, dass seine Mom dich gehasst hat, dass sie hofft, dass du nicht an die Beerdigung kommst, damit sie nun endlich ihren wohlverdienten Frieden hat. Dass sie sich in Ruhe von ihren geliebten Kindern verabschieden kann und sich bei ihnen entschuldigen kann, dass sie so einen Fehler zur Welt gebracht hat."
Geschockt sauge ich Luft ein. Das kann nicht sein, oder? Das sind so schlimme Worte!
"Und er hat mir gesagt, dass er und die anderen es hassen, dass du hier mit ihnen lebst. Du seist so mühsam und sie hätten keine Zeit mehr für sich oder für ihre Freundinnen. Hier sieht man, dass du dich nicht an meine Regeln gehalten hast.", sie dreht sich von mir weg, schaut aus meinem Fenster und murmelt: "du hast dich nicht von ihnen ferngehalten. Was machen wir nur mit dir?"
Sie dreht sich ruckartig um. Ihre blonden Haare fliegen im Schwung. Sie versucht so zu tun, als ob sie überlegen würde. Leider weiss ich schon jetzt, dass sie einen Plan für mich hat und dieser nicht gut ausgehen wird. Hoffentlich nicht der Mann!
"Ich glaube, ich sollte Kev..."
"Mirj..." er räuspert sich, "Louisa, wo bist du, wir fahren in fünf Minuten!", ruft Mason von unten.
Aly schaut mich vernichtend an und verlässt dann mein Zimmer. "Denk daran, alle schämen sich wegen dir. Willst du nicht zuhause bleiben?"
"Louisa", ruft Mason wieder. Ich antworte nicht. Zu fest bin ich überfordert. Mom will nicht, dass ich an die Beerdigung gehe? Aber... Ich möchte mich ordentlich bei der Beerdigung von ihr verabschieden. Vielleicht kann ich dann mit ihrem Tod besser abschliessen. Vielleicht werde ich einen Grund weniger haben, mich Nachts in den Schlaf zu weinen...
"Louisa." Mason steht nur in der Tür und schaut mich gehetzt an. "Du bist ja noch gar nicht bereit." Er hebt mir mein Kleid auf, welches ich zuvor auf dem Bett bereitgelegt habe. "Du hast noch drei Minuten."
Erst jetzt schaut er mich richtig an. Er seufzt, legt das Kleid wieder aufs Bett (viel weniger sorgfältig, als ich) und streckt seine Arme aus. "Komm her.", meint er. Ich schüttle nur den Kopf. Doch das akzeptiert er nicht. Mason packt mein Arm und zieht mich zu ihm hin. Autsch. Da ist ein relativ neuer Schnitt. Ich versuche, mir nichts anzumerken und lasse mich deshalb von ihm Umarmen. Ich atme tief durch. "Möchte Mom, dass ich komme?", rutscht mir die Frage ungewollt raus. Ich spüre, wie Mason sich anspannt. Er sosst mich ruckartig von sich weg, um mich anzuschauen. Ich will nicht egoistisch sein. Wenn Mom es nicht will, dann gehe ich nicht. "Was fragst du für einen Scheiss?!", er schaut mich entrüstet an. "Mason wo bist du?", ruft ein ungeduldiger Michael. "Sekunde.", ruft Mason zurück. Ich zucke erschrocken zusammen. "Woher kommt die Frage?", fragt er mich diesmal ein bisschen sanfter. "Ich... ich habe mir... was, wenn sie mich nicht mochte und...", weiter komme ich nicht. "Mason, jetzt!", ruft ein sehr aufgebrachter Nick. "Zieh dich an, und komm dann sofort runter.", ordnet mir Mason an. Er streicht mir rasch beruhigend über den Oberarm und schenkt mir ein kleines, trauriges lächeln und verschwindet dann.
Ich ziehe mir das Kleid weinend an. Ich gehe nicht, wenn Mom mich nicht sehen will. Das habe ich entschlossen, sobald ich mein Kleid angezogen habe.
Unten angekommen, sieht mich Ethan gestresst an. "Ah du bist ja auch noch da.", meint er nebensächlich. Ich spüre einen harten Stich in meinem Herzen. Mein Bruder hat vergessen, dass ich da bin. Ich kann nicht mitkommen, ich bin schon jetzt zu emotional. Eine Träne verlässt wieder ungewollt meine Augen. "Reiss dich zusammen.", zischt mir Noah ins Ohr. Er hat die Hände voll bepackt mit Blumen. Ich atme tief durch und versuche meine Träne zu stoppen. Ich versuche es wirklich.
Alle laufen gestresst hin und her. Die Eingangstür ist offen. Das Auto steht in der Einfahrt bereit, der Kofferraum weit offen. Alle laden noch die letzten Sachen ein. Meine Brüder tragen alle schwarze Hemden und dunkle Hosen.
Auf einmal umarmt mich Aly von hinten mit ihren spitzigen Teilern. Sie sticht damit in den Arm und ich bin mir sicher, dass sie absichtlich fest bei meinem Unterarm zudrückt, weil sie weiss, dass ich dort frische Schnitte habe, die noch schmerzen. "Denk daran, deine Mutter will dich nicht sehen.", wispert sie mir ins Ohr.
Aiden kommt und zieht Aly zu sich. Aly wirft mir einen Blick zu, der eindeutig sagt 'tja, jetzt siehst du, wen er lieber hat.' "Ich bleibe hier.", rutscht es mir raus. Ich kann das einfach wirklich nicht. Noah wirft mir einen genervten Blick zu. "Ich kann das jetzt gerade nicht gebrauchen, Louisa, setz dich ins Auto.", befiehlt mir Nick schroff.
Ich nehme all meinen Mut zusammen. Ich habe nur einen Gedanken im Kopf: Mom will mich nicht sehen. "Ich möchte nicht mitkommen. Bitte, Nick, kann ich hier bleiben?". Bitte ich ihn. Tränen der Verzweiflung haben sich in meinen Augen ausgebreitet. Unmöglich kann ich gehen!
"Wahnsinn, dass du dich dafür hast, jetzt eine Szene zu machen! Es ist Moms Beerdigung. Du bist jetzt für einmal nicht die Hauptperson, akzeptier es. So respektlos egoistisch, unglaublich!", Noah ist unendlich wütend auf mich.
"Was ist los?", Jack hat sanft eine Hand auf meine Schulter gelegt. "Sie meint, sie kommt nicht mit.", spottet Noah.
Ein Schluchzer entfährt mir. "Immer nur am Weinen. Ich kann das nicht mehr sehen.", regt sich nun auch Nick auf.
"fünf Minuten.", murmelt Jack und zieht mich aufs Sofa, weiter weg von den anderen.
"Louisa, was ist passiert? Warum willst du nicht mit?"
Ich schüttle nur den Kopf. Unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Zu sehr bin ich damit beschäftigt, nicht zu weinen. "Weinen ist okay.", meint Jack. "Niemand erwartet von dir, dass du nicht weinst." Doch! korrigiere ich ihn in Gedanken.
"Mason geh raus, wir kommen sofort.", meint Jack und fixiert einen Punkt hinter mir. "Sie meint, Mom wollte nicht, dass sie mitkommt.", flüstert Mason leise.
Jack schaut mich geschockt an. "stimmt das?", fragt er mich und als ich nicht antworte, und weiterhin auf den Boden starre, hebt er sanft meinen Kopf. "Stimmt das?", fragt er fester. Ich traue mich nicht, ihm in die Augen zu schauen. Schaue niemals jemandem in die Augen!
"Louisa", meint Jack fordernd. Ich nicke sanft.
"Mom freut sich bestimmt darüber, dass du mit uns vereint bist und mit uns zur Kirche fährst. Ich spüre das. Und jetzt müssen wir los. Komm!"
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Meine neue Familie
Fiksi RemajaWarnung! In dieser Geschichte sind Ritzen und Magersucht eins der Hauptthemen! Begleitet Mirja auf ihrem Weg in ihre neue Familie. Als ich mit meiner Familie aus den Ferien zurück flog, kam plötzlich ein fremder, junger, gutaussehender Mann auf uns...