Kapitel 48

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Die Beerdigung ist vorbei. Viel habe ich nicht mitbekommen. Die meiste Zeit habe ich nur still vor mich hin geweint. Jack ist neben mir gesessen und hat den Arm um meine Schultern gelegt. Doch auch das habe ich erst bemerkt, als wir aufstanden. 

Beim Grab habe ich mit zitternden Fingern eine Rose auf die Erde geworfen und ein leises "ich hab dich lieb" geflüstert.

Alle Leute aus der Kirche sind nun vor dem Grab versammelt. Ein sanfter Wind weht mir durch die Haare. Viele Leute kommen auf uns zu, um uns ihr Beileid auszusprechen. Also vor allem meinen Brüdern. Ich kenne die Leute ja nicht. Sind alles fremde. Die Meisten lächeln mich mitleidig an und wollen mich umarmen oder meine Hand extrem lange halten. Furchtbar, so viel Körperkontakt!

Ich bin jedes Mal zusammengezuckt. Hoffentlich hat es niemand bemerkt. Alle möglichen Personen sind hier. Jack hält mich die ganze Zeit über beschützend fest an sich gedrückt. Auch wenn er mit den anderen Leuten spricht. Plötzlich zieht er mich ein wenig weg von der ganzen Menschenmenge. Er schaut mich besorgt an und flüstert "alles okay?". Ich nicke nur. Die Tränen haben vor einiger Zeit aufgehört zu fliessen. Ich bin nur noch eine leere Hülle, überlege nichts mehr. "Ich werde mich kurz mit der Pfarrerin unterhalten. Bleib bei den andern, okay?" Ich nicke wieder. 

Ich stelle mich zu Ethan und Michael. Er ist der einzige, den ich sehe. Die anderen sind alle tief in ein Gespräch mit Fremden  verwickelt. Zuerst bemerken mich die beiden gar nicht. Da sie auf Englisch sprechen, versuche ich gar nicht erst, etwas vom Gespräch mitzubekommen. Ich starre auf das Grab. Da unter der Erde liegt nun Mom. Sie wird nie mehr da rauskommen.

Ich zucke schrecklich zusammen, als jemand eine Hand auf meine Schulter legt. Ethan lacht laut los, während Michael versucht ein Schmunzeln zu unterdrücken. Mir ist überhaupt nicht nach Lachen zu Mute. Mein Herz klopft dreimal so schnell wie normal. Als nun auch Noah dazukommt und fragt, was so lustig ist und Ethan ihm dann übertrieben vorzeigt, wie sehr ich ab einer Hand erschrocken bin, lacht nun auch er mich aus. Das wird mir zu viel.

Abstand ist das, was ich brauche. Ich habe die Worte, die sie zuhause gesagt haben nicht vergessen. Ich bin immer noch ziemlich verletzt von ihnen. Aber wahrscheinlich liegt das an mir, dass ich zu sensibel bin. Ich sollte nicht so nachtragend sein. Und trotzdem möchte ich gerade nicht in ihrer Nähe sein. Ich schaue mich nach anderen Möglichkeiten um, zu wem ich stehen könnte. Nick und Aiden, der neben Aly steht, fallen aus. Mason sehe ich leider nicht. Die Leute hier sind zu gross...

Weiter hinten entdecke ich an der hohen Steinmauer eine rote kleine Sitzbank. Langsam dränge ich mich durch die Leute dorthin. Von der Bank aus, kann ich hervorragend die Leute beobachten. Wieder verfalle ich in meine Gedanken. Voller Trauer und Sorge und einer unglaublichen Schwere in mir blicke ich auf den Friedhof. Ich weiss nicht, wie ich damit umgehen soll, dass meine Brüder so böse zu mir sind. Ich kann das nicht einfach wegstecken, auch wenn ich es versuche. Wahrscheinlich sollte ich doch nicht zu fest auf männliche Wesen vertrauen. In diesem Moment, drängt sich ein Mann am Ende der Mauer in mein Blickfeld. Er ist ganz schwarz gekleidet und kommt zielstrebig aber unauffällig in meine Richtung. Mein Herz beginnt wieder schneller zu klopfen. Was will der? Wer ist das? Gerade als ich aufstehe, um mich in der Menschenmenge zu verstecken, ruft er ein leises "Warte". Unsicher bleibe ich stehen.

Er kommt auf mich zu, drückt mir ein kleines Kästchen in die Hand. Er mustert mich von oben bis unten genau. Dann, aus dem Nichts, umarmt er mich, so kurz, dass ich nicht mal die Möglichkeit hatte zu reagieren und ihn wegzustossen, dann dreht er sich und geht, ohne ein Wort mehr zu sagen.

Total verwirrt setze ich mich wieder auf die Bank und starre nun auf das Kästchen. Es ist quadratisch und wird mit einem silbernen Bändchen zusammengehalten. Wunderschön. 

Unfähig auch nur irgendetwas zu denken, starre ich weiter auf die schwarze Box. Wer war das? 

Als ich meinen Blick wieder auf die Leute richte, hat sich der Friedhof bereits deutlich geleert. Nur noch wenige Personen stehen in kleinen Grüppchen zusammen und sprechen miteinander. Ganz hinten entdecke ich Jack, der sich gerade von der Pfarrerin verabschiedet und sich dann zu den anderen stellt. Auf einmal schauen sich alle suchend um, bis Noah in meine Richtung zeigt. Ups, sie haben wohl mich gesucht. Die ganze Gruppe macht sich auf den Weg zu mir. Ich seufze innerlich. Langsam stehe ich auf und gehe ihnen entgegen. Die Box verstecke ich gekonnt hinter meinem Rücken.

Mason wirft mir ein aufmunterndes lächeln zu. Ich nicke leicht, um ihm für seine Unterstützung zu danken. "Wir gehen.", kündigt Nick an. Ich nicke wieder. Keiner macht Anstalten sich zu bewegen. Ich schliesse kurz die Augen, um Tränen zu verhindern. Mir ist gerade wieder in den Sinn gekommen, dass wir Mom hier lassen würden. Als ich die Augen wieder öffne, bemerke ich den besorgten Blick von Nick auf mir. Er kommt auf mich zu. Wie automatisch versteife ich mich. Angespannt beobachte ich jede seiner Bewegungen. "Geht schon mal vor." meint er. Erleichtert will ich den andern hinterhertrotten. "du nicht, Louisa." Ich atme tief durch, um mich zu beruhigen.

Unsicher wende ich mich ihm zu. "Komm setz dich.", meint er und deutet auf die Bank. "Hör zu, es tut mir Leid, okay? Ich hätte heute morgen nicht so sprechen dürfen mit dir. Vor allem nicht vor der Beerdigung, ich weiss, dass für dich alles schwer ist. Ich war einfach vollkommen gestresst, wegen dem heutigen Tag. Mom ist weg. Ich habe nun die komplette Verantwortung für ich. Ich habe nun zu 100 Prozent dein Sorgerecht und deshalb muss ich nochmals mehr versuchen gerecht mit dir zu sein." "Ist okay.", sage ich leise.

Nick atmet tief durch. Dann dreht er meinen Kopf so, dass ich ihn anschauen kann. "Wir werden uns alle mehr Mühe geben. Ich spreche mit den anderen." Da ich nicht weiss, was ich erwidern soll, nicke ich einfach. "Komm." Wir stehen auf. Um zum Auto zu kommen, müssen wir das Grab von Mom passieren. Wieder schliesse ich die Augen, um Tränen zu vermeiden. Nick hat sich zwar entschuldigt, seine Worte von heute Morgen, dass ich mich zusammenreissen soll, bleiben jedoch bei mir abgespeichert. 


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