Kapitel 10

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Ich lege mich aufs Bett und lasse meinen Tränen wieder Mal freien Lauf. Was ist nur passiert, dass ich so wurde? Ich glaube ich vermisse einfach meine alte Welt.


Plötzlich senkt sich die Matratze neben mir. Warum schleichen sich bloß alle an? "Hey Mirja", begrüsst mich Nick. "Ich habe gehört, dass du heute im Garten warst. Wie geht es deinem Fuss?" Ich zucke mit den Schultern. Er hat schon ab und zu geschmerzt, als ich ihn belastet habe. Aber ganz schlimm war es nicht. "Zeig mal her." Er schnappt sich meinen Fuss und zieht mir meinen blauen Socken aus. "Naja, man sieht, dass du dich nicht ans Schonen gehalten hast, aber das wird schon wieder.", er lächelt mich aufmunternd an. Ich versuche zurück zu lächeln, doch es muss wohl ziemlich gequält ausgesehen haben. «Was ist los Mirja?», fragt mich Nick ernst. Ich zucke mit den Schultern und schaue auf mein Handy, welches aufblinkt. Eine Nachricht von Nina. «War schön dich heute wieder zu hören. Aber nun fehlst du mir noch mehr. Ich will dich zurück!» Mir treten die Tränen in die Augen 'Ich will es auch Nina! Ich will unbedingt zurück!' denke ich. Ich werde in eine Umarmung gezogen. Nick hält mich einfach fest und sagt nichts. Ich bin ihm unendlich dankbar, dass er nichts fragt, sondern mich einfach nur im Arm hält.

Auf einmal verwandelt sich meine Trauer in unheimliche Wut. Er soll mich nicht anfassen dürfen. Schliesslich ist er ja auch schuld, dass ich nicht zuhause bin! Mit aller Kraft versuche ich ihn von mir wegzustossen. Doch er bewegt sich überhaupt nicht. So ungerecht! Ich versuche es nochmals. Dieses Mal schaut er mich erstaunt an. Ich nutze diesen Moment, in dem Nick nicht aufmerksam ist und reisse mich von ihm los und renne ins Bad. Mein Fuss pocht ein bisschen, doch das ist jetzt egal. Ich schliesse schnell die Tür ab und lasse mich daran runtergleiten. Mann!

Nach einer Ewigkeit stehe ich wieder auf. Ich putze mir die Zähne und meide dabei den Blick in den Spiegel. Mein Bauch macht sich bemerkbar. In letzter Zeit esse ich viel weniger. Heute Abend habe ich vielleicht drei Bisse gegessen und nicht mehr. Das reicht mir nicht. Aber egal. Ich schliesse die Tür auf und lege mich ins Bett. Es dauert nicht mehr lange, bis ich ins Land der Märchenhaftenträumen drifte.

Schön wärs! Nach vielleicht fünf Sekunden im Bett liegen kommt Mason in mein Zimmer. «Hey Maus», ruft er. Ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu. Wann begreifen die endlich, dass ich keine Lust auf ihr Scheissabendgespräch habe?! «Bitte geh!», ich versuche einschüchternd zu klingen. Doch meine Stimme klingt vom vielen Weinen einfach nur leise und kratzig. «Ach komm, so schlimm ist es doch nicht mit deinem besten Mason-Bruder zu quatschen, oder?» «Doch», sage ich bockig. «Was ist passiert, dass du so verquollene Augen hast? Hast du etwa geweint?», fragt Mason erschrocken. «Nein», sage ich stur und schaue an ihm vorbei. «Was ist los? Seitdem du mit dieser Nina telefoniert hast bist du so, so... Hast du vielleicht Heimweh?», fragt er und schaut mich am Schluss mitfühlend an. Nun kann ich nicht mehr. Ich drehe mich mit dem Gesicht zur Wand und schliesse die Augen. Ist mir ehrlich gesagt gerade egal, was er von mir denkt. Er legt sich neben mich und zieht mich in seine Arme. Er dreht mich so, dass ich zu ihm schaue. Er drückt mich fest an sich und ich liess ihn gewähren. Die Tränen wollen einfach nicht aufhören.

Am nächsten Morgen werde ich von einer leisen fluchenden Person geweckt. Verschlafen schaue ich auf. «Schlaf weiter Mirja, ich muss gehen, machs gut!» Mason ist schon aus der Tür verschwunden, als sie sich wieder öffnet und ein gestresster Mason noch reinruft, dass die gleichen Regeln wie gestern gelten. Ich verdrehe nur die Augen und lege mich wieder hin.

«Du Nichtsnutz, wo bleibst du denn? Kein Wunder bist du so fett, wenn du dich nicht bewegst! Steh auf und hilf mir!» Ich glaube damit bin eindeutig ich gemeint. Mühsam rapple ich mich auf und mache mich für den Tag fertig.

Als ich zehn Minuten später fertig unten stehe, sehe ich meine Mutter am Boden liegen. Voller Schreck renne ich zu ihr hin und knie mich neben sie. Sie hat die Augen geschlossen und sieht sehr blass aus. «Hallo, hörst du mich?», versuche ich es. Als sie sich nicht bewegt, bekomme ich Panik. Ich renne nach oben in mein Zimmer und suche die Notfallnummer, die mir Nick da gelassen hat. Nach dem siebten tuten meldet sich endlich jemand. «Spitalzentrum Los Angeles, Black, wie kann ich ihnen helfen?», Scheisse, Englisch! Aber da muss ich jetzt durch. «Hallo, hier ist Mirja. Ich suche Nick.» «Nick Smith oder Nick Taylor?», fragt mich der Mann am anderen Ende. Peinlich, peinlich! Ich habe keine Ahnung, wie er zum Nachnamen heisst. Schnell springe ich auf und schaue auf dem Klingelfeld nach. «Smith», sage ich ausser Atem. «Moment ich verbinde dich.» Ich laufe wieder zurück zu Mum. Sie liegt noch genauso da, wie vorher. Ich nehme ihre Hand und streichle sie leicht. Sie soll aufwachen! Auch wenn sie mich nicht mag und sie nicht sonderlich freundlich zu mir ist, so ist sie doch meine Mutter. «Mirja, was ist los?», meldet sich endlich Nick am Handy. «Mum, sie liegt am Boden... und sieht weiss aus...», schildere ich ihm die Situation. «Scheisse, ich komme sofort nach Hause! Versuche sie in die Bewusstlosenlagerung zu tun und decke sie mit einer Decke zu, damit sie nicht kalt hat.», weist mich Nick an. «Oke», antworte ich nur. «Du schaffst das Mirja, ich bin in einer viertel Stunde bei dir.» und schon hat er aufgelegt. Ich versuche meine Mutter in die Bewusstlosenlagerung zu bringen. Einfacher gesagt, als getan. Sie ist ziemlich schwer.

Endlich höre ich jemanden in die Wohnung kommen. Erleichtert atme ich auf. Ich habe meine Mutter in die Lagerung gebracht und sie zugedeckt. «Super gemacht Mirja», begrüsst mich Nick. Er kniet sich neben mich und untersucht sie. Plötzlich beginnt sie zu husten. «Mirja, gehst du bitte raus?», fragt Nick, als er sieht wie Mum mich wütend anschaut. Ich nicke und gehe. Was habe ich ihr jetzt wieder getan? Seufzend lasse ich mich aufs Sofa fallen und beginne wieder Englisch zu lernen. Meine Hauptbeschäftigung, wenn ich nichts zu tun habe.

Nach langer Zeit kommt Nick aus dem Zimmer. Er sieht geschafft aus. «Sie schläft», informiert er mich. Ich nicke nur. «Es tut mir leid, dass ich dich rausgeschickt habe. Doch ich glaube es war besser so. Sie darf sich nicht zu fest aufregen. Das ist gefährlich für sie.» «Aha und wieso rege ich sie auf? Ich habe ihr geholfen!», antworte ich kalt. Nick seufzt und kommt auf mich zu und umarmt mich. «Es ist kompliziert.», sagt er nur. «Nick bitte! Ich komme überhaupt mehr draus! Ich habe auf keine meiner Frage eine Antwort erhalten. Warum ist alles so geheim?» «Setz dich.» Nick zieht mich aufs Sofa. «Es tut mir wirklich Leid. Ich weiss, es ist wirklich nicht einfach für dich und ich kann es dir nicht sagen.» Ich stehe auf und will in mein Zimmer, als mich Nick am Handgelenk festhält und mir sanft in die Augen schaut. «Bitte versuch uns doch auch zu verstehen.», er schaut mich bittend an. Ich lache freudlos auf. «Wie bitte sehr soll ich euch verstehen wenn mir hier niemand was sagt?» Ich reisse mich los und renne die Treppe hoch. Der ist ja gerade richtig dumm! Ich schreibe Nina um zu fragen, ob sie telefonieren kann. Wahrscheinlich hat sie gerade Schule. Ich lege mich aufs Bett und schliesse meine Augen.

Ich werde von einem Klopfen geweckt. "Willst du was essen? Ich habe gekocht?", fragt mich Nick. Ich nicke und stehe auf. Am Tisch sitzt schon Mum. Immer noch müde setze ich mich an meinen Platz. "Ich muss noch schnell was holen, ihr könnt schon mit essen beginnen.", sagt Nick und verlässt das Esszimmer. Mum schaut mich sauer an. "Du fettes Kind, du hast Essensverbot! Der Garten ist immer noch nicht gemacht! Geh hoch und sieh zu, dass du abnimmst." Mein Übersetzapp habe ich wie immer eingeschalten. "Mach, was ich dir sage oder dir wird es schlecht gehen.", droht sie mir. Ich gehe schnell aus der Küche.

"Was ist los?", fragt mich Nick, als er mir auf der Treppe entgegen kommt. "Ich soll Mum ja nicht nerven.", antworte ich leicht wütend. Nick schaut mich mit einem undefinierbaren Blick an. Es scheint so, als würde er überlegen, was er sagen soll. "Hast du heute schon etwas gegessen?", fragt er mich schliesslich. Ich zucke mit den Schultern. "Wieso interessiert dich das?" "Mirja, ich mache mir sorgen um dich. In letzter Zeit hast du nie fertig gegessen. Auch wenn ich dich noch nicht lange kenne, so bist du doch meine Schwester und ich als grosser Bruder bin dazu verpflichtet zu schauen, dass es dir gut geht." Er nimmt mich sanft in den Arm. 

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