Kapitel 54

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Nach einer längerer Zeit des Zögerns, in der mein Zeigefinger über dem Anrufsymbol schwebte, gebe ich mir schliesslich einen Ruck und versuche Benjamin zu erreichen. Ich bin noch nicht sicher, wie ich meine Gefühle ihm gegenüber sind, schließlich hat er mich Nick total ausgeliefert. Aber ich brauche nun jemanden, der mich ablenken kann. Und er ist der einzige, den ich ausserhalb vom meinen Brüdern erreichen kann. 

Nach zwei Mal tuten meldet sich eine Stimme. "Hallo?" "Hey, hier ist Mirja", melde ich mich flüsternd. "Mirja? Alles gut?", fragt er mich beinahe ängstlich. Ich nicke, bis ich merke, dass er mich ja nicht sehen kann. "mhm", antworte ich stattessen. "Willst du erzählen, was passiert ist?", fragt er mich sanft. Ich zögere kurz, bis ich mich wieder daran erinnere, dass ich ihm angerufen habe, weil ich jemanden zum Reden brauchte. Ist er der Richtige?

"Nick hat sich entschuldigt", teile ich ihm als erstes leise mit. "Das ist gut.", kommentiert Benjamin nach einer kurzen Stille. "Aber Entschuldigung alleine reicht nicht.", fügt er nach einer Pause hinzu. Ich schweige weiterhin. Es ist schwierig für mich zu verdauen, was passiert ist. "Er hat auch versprochen, dass sich was ändern wird." Unsicher kaue ich auf meiner Lippe rum. Ich erlaube mir nicht zu grosse Veränderungen zu erwarten. "Mirja, das ist toll!", ruft Benjamin erfreut. "Was wünscht du dir, dass sich ändert?", fragt er mich vorsichtig. "Weiss nicht." Alles! Aber das traue ich mich nicht laut auszusprechen. "Schreibe dir am besten auf, was du für Änderungen möchtest, dann ist es am Einfachsten für euch alle. Ich werde noch mit Nick sprechen." Erschrocken sauge ich Luft ein. "Du wirst ihm sagen, dass ich dir angerufen habe?", das kann er nicht machen! "Nein, keine Angst, das bleibt unter uns." "Danke", gähne ich erleichtert. "Müde?", fragt Benjamin und ich höre sein Schmunzeln über die Leitung. "Ein bisschen.", gebe ich zu. "Wie wärs mit schlafen?", fragt er zurück. Ich murmle nur etwas unverständliches. "Gute Nacht Mirja, schlaf gut und erhole dich gut."

Am nächsten Morgen wache ich auf. Mein erster Gedanke ist, dass ich gestern Benjamin angerufen habe. Ich habe es wirklich getan. Oh Mann, ich schäme mich so! Sicher hat er besseres zu tun, als sich um meine kleinen Probleme zu kümmern. Er hat schliesslich sicher Freunde, eine liebe Familie und bestimmt eine Menge Hobbies. Ich bin so blöd, ich hätte merken müssen, dass er sich nicht mit mir abgeben muss. Soll ich ihm eine Entschuldigungsnachricht schreiben? Aber das ist auch komisch. Ich muss einfach besser aufpassen!

Mit diesem Gedanken schleiche ich in die Küche. Man merkt noch nichts von dem, was gestern passiert ist. Ich bin alleine im Haus, alle anderen sind bereits am Arbeiten oder in der Schule. Wie immer also. Ich putze und räume auf und höre dazu einen Podcast auf Englisch, um meinen Wortschatz zu erweitern. Also nichts spezielles.

Am Abend als Nick heimkommt, fragt er mich wie es mir geht. "Gut und dir?", antworte ich mit meinem Standardsatz. "Hatte einen strengen Tag, aber jetzt ist ja Feierabend.", antwortet er nach kurzem Überlegen. Ich merke, dass er noch etwas sagen möchte, deshalb bleibe ich höflich stehen, auch wenn es unangenehm ist. "Morgenabend werden wir alle hier im Wohnzimmer zusammensitzen und uns darüber unterhalten, wie es weitergehen wird. Du kannst dir dazu auch einige Gedanken machen, was du dir wünschst. Etwas wird nicht Platz haben: Der Kontakt mit deiner alten Familie wird nicht wieder hergestellt werden und du wirst hier bleiben. Das sind die Bedingungen über alles andere können wir sprechen."

Am nächsten Tag sitze ich gebeugt über meine "Wunschliste". Gar nicht so einfach. Was kann ich von den anderen Erwarten und was soll ich mir überhaupt wünschen. Sachen wie mehr Beachtung oder mehr Freundlichkeit mir gegenüber finde ich peinlich aufzuschreiben, auch wenn es zu meinen grössten Wünschen gehört. Sie werden sich so über mich lustig machen.

Plötzlich höre ich laute Stimmen von unten. Leise schleiche ich zur Treppe um besser lauschen zu können. "Der hat sie wohl nicht mehr alle! Denkt auch noch, als Vermittler dabei zu sein!", höre ich Nicks wütende Stimme. "Vielleicht ist es gar keine schlechte Idee", meint Jack nach einer Weile leise. Danach sind beide still und ich verziehe mich wieder in mein Zimmer.

Bis am Abend konnte ich einige Wünsche zusammentragen. Nach dem Abendessen sitzen wir alle zusammen im Wohnzimmer. Keiner hat irgend ein Kommentar gemacht, dass er nicht hier sitzen möchte. Nick muss mit ihnen ein ernstes Gespräch geführt haben, vorher. 

"Also, wir sitzen hier, weil es in der letzten Zeit ausgeartet ist. Louisa, wir haben uns vollkommen nicht mehr um dich gekümmert aber wir haben uns auch untereinander nicht mehr unterstützt. Dies muss sich von nun an ändern. Schliesslich sind wir eine Familie", mit diesen Worten eröffnet Nick unsere Familiendiskussion. "Hier noch die Regeln: Wir hören einander zu, lassen uns ausreden und lachen einander nicht aus, Fragen oder Ergänzungen?", nach einem kurzen Schweigen sind Nicks Regeln akzeptiert worden.

"Wir haben einige Dinge, die für alle gelten und einige sind speziell für Louisa. Irgendwelche Ideen, wie wir unser Familienleben wieder optimieren können?", fragt Nick. Stille...


Hallo zusammen

Vielen Dank erstmal, dass ihr meine Geschichte lest und danke für eure Kommentare! Hier wieder einmal nach extrem langer Zeit ein Kapitel... Tut mir wirklich Leid für die langen Wartezeiten.

Bis bald :)

Meine neue FamilieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt