Kapitel 37

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Nick ist wütend. Sehr wütend. So wütend, dass er nach kurzer Zeit aufgibt mich zu überzeugen, dass ich die Tür öffnen soll und mich durch die Tür anschreit. "Mirja, weisst du eigentlich, was du für eine Scheisse gemacht hast? Nicht mal eine so leichte Aufgabe kann ich dir anvertrauen. Bei allem bist du sofort überfordert. Manchmal denke ich echt, es wäre besser gewesen, wir hätten dich nicht hergeholt. Du bist so, so..." ich höre ihn seufzen. "Ich bin enttäuscht von dir!" Dann höre ich zischende Worte von draussen.

Ich heule richtig stark. Ich weiss selber, dass ich versagt habe. Nicks Worte machen alles noch schlimmer. Man kann mir nichts anvertrauen. Ich bin nutzlos. Ich bin wirklich nutzlos. Mein Bruder hat es mir gerade bestätigt. Alles was ich mache ist falsch. Ich kann nichts. Er ist enttäuscht. Von mir. Ich kann das nicht mehr. Ich stehe auf und öffne den Badezimmerschrank dort ist ein Rasierer. Ich operiere die Klinge raus und lasse sie über meinen Arm gleiten. Wie befreiend!

Plötzlich klopft es an der Tür. "Mirja, alles gut?", fragt Noah von aussen. Schnell lege ich die Klinge weg und beginne alles zu säubern. "Ja bestens.", sage ich sarkastisch. Mit meiner verweinten Stimme klingt es aber nicht so wie ich wollte. "Komm, mach mal die Tür auf.", bittet er mich.

"Warum", frage ich, um Zeit zu gewinnen. "Weil ich dir etwas sagen will und dies nicht durch die Tür. Und ich will sehen, wie es dir geht.", Leise putze ich die Sauerei. "Mirja, bitte.", fleht er mich an. "Du bekommst auch was du willst.", meint er.

"Hab alles was ich brauche", murmle ich, während ich weiter putze. "Wenn du die Tür nicht bald öffnest, trete ich sie ein. Als ich fertig geputzt habe, setze ich mich in die leere Badewanne und ziehe die Knie an und lege meinen Kopf drauf. Wieso bin ich nur so dumm. Eine erste Träne rollt über meine Wange. Weshalb schaue ich nicht, dass Mom die Tablette schluckt, wenn sie muss. Weshalb bittet sie mich, niemandem etwas zu sagen, dass sie die Tablette nicht nimmt? Weshalb nimmt sie die Tablette nicht? Will sie nicht leben?! Und weshalb ist sie kurz lieb und dann wieder böse zu mir? Ich verstehe nichts mehr. Sind meine Brüder auch so?

Plötzlich dreht sich ein Schlüssel im Schloss und die Tür geht auf. Schnell schaute sich Jack um und als er mich mit einem Tränenüberströmten Gesicht in der Badewanne sieht, kommt er langsam auf mich zu. "Komm her", fordert er mich auf. Als ich mich nicht bewege, hebt er mich sanft aus der Badewanne.

Er drückt mich fest an sich. Mit der einen Hand hält er meinen Kopf, während die andere sanfte Kreise über meinen Rücken malt. "Es ist nicht deine Schuld, Mirja.", flüstert er mir ins Ohr. "Mom hat dir sicher gedroht, oder?" Ich nicke kaum merklich. "Nick hat das alles nicht so gemeint, versuch es zu vergessen. Er wird noch eine Zeit lang wütend sein, aber dann wird er merken, dass du die beste Schwester bist, die er sich wünschen kann, deshalb, mach dir bitte keinen Kopf darüber."

Ich seufze und drücke mich fester an ihn. Er ist mein einziger Halt. Ich merke, wie Jack langsam mit mir aufsteht und in ein Zimmer geht. Als ich wieder Stimmen höre, weiss ich, in welchem Zimmer wir gelandet sind, Moms Zimmer. Jack setzt sich auf einen Stuhl und hält mich weiterhin fest. Mein Gesicht ist immer noch in seiner Halsbeuge und ich habe auch nicht vor, meine Position bald zu ändern. Deshalb schaue ich auch nicht auf, als Nick mich dazu auffordert. Nick hat mich heute zu fest verletzt. Allgemein alle ein bisschen. Niemand glaubt mir was. Alle beschuldigen mich nur. Wieder löst sich eine Träne aus meinem Auge. Jack merkt, dass sein T-Shirt langsam feucht wird und versucht mich dazu zubringen, ihn anzuschauen. Doch ich wehre mich erfolgreich dagegen. Auch seine Versuche mit mir zu reden, gelingen ihm nicht. Ich will einfach nicht.

Mom fängt an mir zu sagen, wie respektlos ich bin, bis Jack sie hart unterbricht. Er steht auf und läuft mit mir ins Wohnzimmer. Dort sitzen wir schweigend, immer noch eng aneinander gepresst. 

Ich weiss nicht, wie lange wir so sitzen, jedenfalls stürmt plötzlich ein aufgelöster Ethan ins Zimmer und sagt, wir müssen dringend zu Mom kommen.

Ich versuche mich von Jack zu lösen, um in Moms Zimmer zu kommen, doch Jack hält mich fest und läuft mit mir Ethan hinterher. Wieder setzt sich Jack mit mir auf einen Stuhl. Er hat mich aber so gedreht, dass ich Mom anschauen kann. Sie beginnt etwas in Englisch zu sagen und ich brauche eine Weile bis ich verstehe, dass sie sich von jedem meiner Brüder verabschiedet. Mir kommen erneut die Tränen. Auch meine Brüder haben teilweise Tränen in den Augen. Ethan hat sich neben Mom gekniet und weint vor ihrem Bett. Michael hat sich ihre Hand geschnappt und sitzt mit Tränenüberlaufenen Gesicht auf dem Bettrand. Nick sucht in den Schränken nach Tabletten und Medikamenten. Noah kämpft sichtlich verzweifelt und unerfolgreich gegen seine Tränen an. Jack hält mich immer noch fest. Ich will mich aus seinen Armen lösen, schliesslich geht es jetzt definitiv nicht um mich, sondern um Mom. Sie soll sich von uns verabschieden und Jack soll ihr nahe sein. Sie verabschiedet sich vom ältesten zum jüngsten der Reihe nach. Als sie sich von den Zwillingen verabschiedet hat, liegt sie entspannt ins Bett zurück und schliesst die Augen.

Mehr Tränen treten mir in die Augen. Sie ist am Sterben, aber will sich nicht von mir, ihrer Tochter, verabschieden! Ich bin wertlos. 

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