Kapitel 30

1.5K 63 0
                                    


Fertig angezogen liege ich auf meinem Bett und lese ein Buch. Plötzlich klopft es an der Tür. "Ja", sage ich. Entgegen meiner Erwartung, dass es einer meiner Brüder sein muss, steht meine Mom im Raum. Ich atme tief durch, um mich auf ein weiteres "nettes" Gespräch mit ihr vorzubereiten. 

"Ja", frage ich unsicher und mustere den Boden. Ich traue mich schon lange nicht mehr ihr in die Augen zu schauen. Generell schaue ich selten mehr Personen ins Gesicht. Aly hatte gesagt, ich sei nicht würdig Personen in die Augen zu schauen und ich bin zum Schluss gekommen, dass sie recht hat. Ich meine schaut mich mal an! Wer will schon in so ein hässliches fettes Gesicht sehen? "Ich wollte dir nur sagen, dass du unnützlich bist. Hast du schon gesehen, wie der Fussboden in meinem Zimmer aussieht? Wenn er bis heute Abend nicht sauber ist, musst du auf das Nachtessen verzichten." Ich darf nichts mehr frühstücken und kein Mittagessen mehr zu mir nehmen. Meine einzige Mahlzeit ist an Wochentagen, wenn meine Brüder ausser Haus sind, nur das Abendessen und da achtet Mom immer genau darauf, dass ich ganz wenig esse. Eigentlich sollte ich ihr dankbar sein, denn so muss ich mich weniger übergeben. "Zuerst erhältst du aber noch Mitleitsbesuch." Mit diesen mysteriösen Worten verschwindet sie aus meiner Sicht. Und Aly steht mit einem jungen Mann vor der Tür. "Danke Miss." schleimt Aly und kommt mit dem Mann zu mir ins Zimmer. Wie schon erwähnt mag ich männliche Personen nicht sehr. Dies hat sich auch hier, nachdem ich mit meinen Brüdern in engerem Kontakt bin, nicht verändert. Misstrauisch schaue ich ihn an. Aly setzt sich unterdessen auf mein Bett, so als ob es ihr eigenes wäre.

"Das ist das Kind. Ich habe dir ja alles erklärt.", meint sie und zeigt auf mich. Ich bin ein Kind? Ich bin 17 Jahre alt! Aly wendet sich ihrem Handy zu, während der Mann auf mich zukommt. Automatisch weiche ich einen Schritt zurück. Er kommt mir immer näher, während ich plötzlich nicht mehr weiter zurück kann, weil ich an der Mauer stehe. Er grinst mich überlegen an. "Na, wer haben wir denn da?", fragt er mit einer tiefen rauen Stimme. Er streckt seine Hand aus und fährt mir langsam über die Wange. Ich drehe meinen Kopf von ihm weg. Keine Sekunde später höre ich ein Klatschen und meine Wange beginnt zu pochen. Im Zimmer ist es ganz still, bis auf das geklapper von Alys Fingernägel, die auf ihrem Handy herumdrücken.  "Wage es nie wieder, dich meiner Berührung zu entziehen.", faucht er mich an. Ängstlich nicke ich und senke meinen Blick. Ich spüre seine raue Hand auf meiner Schulter. Ich will nicht von ihm angefasst werden, aber ich traue mich nicht etwas zu sagen. Nur ein kleines Wimmern entflieht meinem Mund. Daraufhin werde ich in den Arm gekneift. "Sei still, du Miststück" Er beugt sich zu meinem Ohr und flüstert: " Du tust alles, was ich dir sage, oder es wird dir schlecht gehen. Hast du mich verstanden?" Ich nicke. "Ich habe nichts gehört" "Ja", flüstere ich. "Hervorragend", grinst er und geht zu Aly. Ich atme tief durch und versuche mich zu beruhigen. "Komm Walross", pfeift mich Aly zu sich. Ich atme tief durch und tue wie mir befohlen. Vor meinem Bett bleibe ich stehen. "Zeig deinen Arm" Mein Arm... Das ist ein Thema für sich. Ich habe mich in letzter Zeit oft geritzt. Mom war so oft sauer auf mich und hat mich geschlagen, zudem habe ich einfach meine andere Familie sehr vermisst. Der Schmerz hat mich von all diesen Problemen ein bisschen abgelenkt. Mein Arm ist total rot und verkratzt. Ich bin nicht stolz darauf. "Wirds bald?", drängt mich eine hohe Stimme. Unsicher ziehe ich mir meinen Ärmel nach oben. "Wow, ich hätte nicht gedacht, dass du das schaffst", meint sie. War das ein Kompliment? Ich lächle leicht. Ich habe schon lange keine lieben Worte mehr gehört, die an mich gerichtet waren.

Aly hatte mich daraufhin noch auf die Waage geschickt. Natürlich war sie mit den angezeigten Zahlen nicht zufrieden. "Immer noch viel zu schwer", hat sie geseufzt. Nachdem sie und der Mann gegangen sind, habe ich zuerst erleichtert durchgeatmet und dann beschlossen ein bisschen abzunehmen. Nach zwei Stunden Training, liege ich jetzt frisch geduscht im Bett und versuchen einzuschlafen. Ich kann jedoch nicht. Immer, wenn ich die Augen schliesse, sehe ich diesen Mann vor mir, der mich in die Ecke drängt. Er hat mir nicht mal viel angetan, aber trotzdem habe ich eine Scheissangst vor ihm!

Am nächsten Morgen wache ich müde auf. Nachdem ich überall den Boden geputzt habe, wollte ich in mein Zimmer gehen, als ich eine Stimme von oben hörte. Ich schleiche mich Nicks Tür an und höre ihn von drinnen telefonieren. "geht nicht. Wir können nichts tun. Es ist entschieden. Ich weiss. Danke dir auch. Tschüss." und bevor ich flüchten kann, wird auch schon die Tür aufgerissen und Nick steht ohne T-Shirt vor mir. "Huh", macht er erschrocken. "Ist etwas?", fragt er genervt. "Hast du etwas gehört?", fügt er an. "Ich, eh, nein.", stottere ich und schaue auf meine Füsse. Meine Hände werden gepackt und von seinen Händen umgeben. "Schau mich an." Schau ihm nicht in die Augen!, warnt mich meine innere Stimme. Wenn du es tust, wird er dich schlagen, wie es Aly immer tut. Ich halte also meinen Blick weiterhin gesenkt. "Mirja", knurrt er warnend. Mir treten die Tränen der Verzweiflung in die Augen. Was soll ich tun? Wie ist es möglich, dass so eine Scheisssituation mich zum weinen bringen kann?! Was soll ich tun? Wenn ich ihn nicht anschaue, wird er wütend und wenn ich ihn nicht anschaue wird er wütend. "Mirja.", sagt er sanfter, als er meine Träne sieht. "Was ist los?", ich schüttle nur den Kopf. Mehr kann ich gerade nicht tun. "Komm her." meint er, als er merkt, dass ich nichts sagen werde. Er zieht mich in eine Umarmung. Ich will aber nicht seine nackte Brust umarmen. Das ist irgendwie gruselig. "Kannst du dir bitte etwas anziehen?", flüstere ich deshalb peinlich berührt. Er lässt mich los und entfernt sich einige Schritte. Nicht mal zwei Sekunden später steht er mit einem Hoodie wieder vor mir und zieht mich in eine Umarmung. Nach einer halben Ewigkeit führt er mich zu seinem Bett. "Hör zu. Es muss so sein. Ich habe keine Wahl. Und du bist doch bestimmt auch froh, wenn du ein zuhause hast, wo wir uns mehr um dich kümmern können, nicht wahr?", fragt er mich sanft und streicht mir über die Wange. Sofort kommt mir wieder der Mann von gestern in den Sinn und eine Gänsehaut verteilt sich über meinen Körper. Aber moment, von was spricht er. "Was meinst du?", frage ich verwirrt. "Wegen dem Telefongespräch von eben. Mom muss ja ins Heim. Ich dachte du würdest dich darüber freuen." "Wieso sollte ich mich darüber freuen?", fragte ich verwirrt. Sie ist meine Mutter! "Ich ehm dachte, du würdest dich freuen, wenn wir uns besser um dich kümmern könnten.", meint er. Deswegen wurde ich schon oft beschuldigt, dass ich meine Brüder zu viel für mich beanspruchen würde. Aly, sowie Mom haben mir das schon vorgeworfen. "Ihr kümmert euch gut um mich!", reklamiere ich sofort. Sie dürfen nicht noch mehr Zeit mit mir verbringen. Ich komme gut alleine klar. Die anderen brauchen meine Brüder mehr! Nick wirft mir nur einen vielsagenden Blick zu. "Was ist mit deiner Wange passiert?", keucht er erschrocken.

Meine neue FamilieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt