- Kapitel 39 -

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Seine Augen sind jetzt vor Entsetzen weit geöffnet, aber ich schüttle schnell den Kopf, bevor ich über meine nassen Wangen streiche.

"E-Er ... also e-er ..."

Ich brauche einen Moment, um meine Stimme wiederzufinden. Es ist doch schwerer darüber zu reden, als gedacht ... Bislang hatte ich immer das Gefühl, wenn ich es nie laut aussprechen würde, ist es auch einfach niemals passiert ...

Ein Trugschluss, genau wie der Versuch es verdrängen zu wollen ...

"E-Er ist oft Abends im Dunkeln zu meinem Bett gekommen ... hat mich festgehalten, u-um mich zu streicheln und ähmm ... anzufassen. Dabei schob er seine widerlichen Hände jedes Mal langsam über meinen Mund, nachdem ich fast eingeschlafen war. W-Wenn ich mich zu sehr wehrte, auch über meine Nase, damit ich keine Luft bekam. Es bereitete ihm ziemlichen S-Spaß mich immer wieder aufs Neue zu quälen ... Das hat ihn a-a-an ..."

Ich räuspere mich, weil der Begriff einfach nicht über Lippen kommen will, aber nach Davis' entsetztem Blick zu urteilen, versteht er es auch ohne Worte ...

"E-Er sagte oft, dass ich selbst Schuld daran sei, w-weil ich mich so aufreizend für ihn anziehen würde ... u-und dass ich ihn damit provoziere. Ich wechselte meine Kleidung, a-allerdings machte das keinen b-beschissenen Unterschied."

Meine stotternden Worte tun weh ... Alles in mir brennt wie Feuer, wenn ich an diese qualvolle Zeit denke ...

Die Sätze wollen dennoch raus und gesagt werden ...

Unaufhaltsam ...

"E-Er schlug mich wenigstens nicht, weil man blaue Flecken hätte sehen können, aber das was er mit mir m-machte ... Eines Nachts hat ihm das nicht gereicht und er wollte unbedingt ... m-mehr. Ich wusste, wenn ich jetzt nicht für mich einstehe, dann hätte er mir das Bisschen meiner restlichen Würde und Persönlichkeit auch noch z-zunichte gemacht ... Er kniete nackt neben meinem Bett und machte sich a-an meiner Kleidung zu schaffen ... Seine Finger ..."

Ein eisiger Schauer durchläuft mich, meine Hände krallen sich bewusst in die Bettdecke unter mir ... Ich muss mich an irgendetwas festhalten ...

"Plötzlich sah ich die Nagelschere aus dem Augenwinkel auf meinem Nachttisch liegen ... I-Ich ergriff sie schnell, rammte sie mit all meiner Kraft seitlich in seinen H-Hals und zog ein Stück nach unten ... Es war überall Blut, so viel Blut ... Und dieses Röcheln ..."

Ich schluchze laut auf, schlage mir die Hand vor den Mund. Mein Körper zittert dermaßen stark bei dieser Erinnerung, so dass das metallische Bettgestell vibriert und leise klackernde Geräusche gegen die Wand abgibt ...

Minutenlang herrscht eine seltsame Stille im Raum ...

"E-Er hat es sicher überlebt ... zumindest suchte keiner nach mir, nachdem ich in dieser Nacht abgehauen bin. Ich schlief ein paar Wochen lang heimlich bei Schulfreundinnen auf der Couch und ging dann zur Bundeswehr, sobald ich 18 war. I-I-Ich ... ich weiß mich durchzukämpfen. Und ich habe erlebt wozu Menschen fähig sein können, was für eine scheiß Enttäuschung sie sind und welche tiefen Abgründe sich im Leben auftun ..."

Ich schaue Davis nun direkt in die Augen, die voll blankem Entsetzen in meine blicken und rede schnell weiter, bevor ich komplett weinend zusammenbreche ... Obwohl sich eine gewisse Erleichterung in mir breit macht nach all den Jahren ...

"Ab diesem Moment empfinden Sie bestimmt nur noch Mitleid, wenn Sie mich ansehen, oder definieren mich als Opfer. Genau deswegen gebe ich diesen Teil niemals von mir Preis. Kinder und Frauen sind das schwache Geschlecht und ich habe mir geschworen, dass ich mich nie mehr so fühlen werde in meinem Leben! So machtlos! Ich brauche diese Kontrolle und Stärke für mich und meinen inneren Frieden. Ich will unbedingt etwas Bedeutendes tun, vor allem für andere, die unterdrückt und gequält werden, oder denen schlimmes Unrecht widerfährt ..." 

Kampflos ergebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt