Die helfenden Hände ließen mich erst los, als ich sicher auf beiden Füßen stand und den Staub von meiner ausgewaschenen Hose und meinem Rücken geklopft hatten. Mir war immer noch unglaublich unwohl, meine Gefühle spielten verrückt; ich wollte hier nicht sein. Mein Herz raste und obwohl ich vor Neugier fast platzte, war mir speiübel. Die anderen schwiegen voller Erwartung, während ich meinen Blick wandern ließ. Ich drehte mich einmal ganz langsam im Kreis und beäugte alles ganz genau.
Egal wo ich hinsah, keine Erinnerung schien den Weg zurück zu mir zu finden. Ich war hier noch nie in meinem Leben gewesen. Viele Jungs kicherten; manche starrten mich mit offenen Mündern an, während es andere etwas souveräner machten, die immer mal wieder wo anders hin sahen. Es mussten mindestens fünfzig Jugendliche sein, wenn nicht sogar mehr, in allen Größen und Hautfarben, mit allen möglichen Frisuren, mit dreckigen, verschwitzten oder löchrigen Klamotten, als ob sie jeden Tag hart arbeiteten. Ich hatte das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen, als mein Blick zwischen den Jungen und dem absonderlichen Ort, an dem ich gelandet war, hin- und herwanderte.
Wir standen auf einer großen Fläche ... also so richtig groß. Sie war von vier riesigen Wänden aus grauem Stein umgeben. Dichter Efeu und andere Schlingpflanzen wuchsen an der Mauer in die Höhe. Mein Blick folgte der Mauer bis in den Himmel; sie war bestimmt um die zweihundert Meter hoch. Genau in der Mitte jeder Mauer hob sich eine Art Tor hervor, das so hoch war, wie die Mauer selbst. Nur auf einer Seite war dieses Tor geöffnet. Bevor ich es mir genauer ansehen konnte, lenkten die Jungs mich ab.
»Wer kam auf die Idee ein Mädchen hier hochzu senden?«, hörte ich jemanden mit einer rauen Stimme fragen. »Der Neppdepp verrenkt sich ja noch den Hals vom vielen Glotzen! Was eine Idee, Mann! Ham die uns einfach ein Mädel hochgeschickt!« Einige der Jungs fingen an zu lachen.
»Halt die Fresse, Gally!«, brummte eine tiefere Stimme.
Ich richtete meinen Blick wieder auf die Fremden, die mich immer noch umringten, wie gaffende Schaulustige. Keiner schien eine Antwort auf meine Fragen zu haben, die mir Pausenlos durch den Kopf schwebten. Langsam sah ich mir einen nach dem anderen an.
Der Junge von vorhin, der mit den kurzen blonden Haaren, bedachte mich mit einem abschätzigem Blick. Ein kleiner, etwas pummeliger Junge tänzelte nervös von einem Fuß auf den anderen und sah mich mit großen Augen an, die nur so von Faszination trotzen. Ein stämmiger junger Asiate mit dicken Muskelpaketen verschränkte die Arme vor der Brust, die Ärmel seines enganliegenden T-Shirts waren hochgerollt, sodass sein Bizeps zu sehen war und musterte mich mit einem ausdruckslosen Gesicht, das mir erschwerte, aus ihm schlau zu worden. Und dann war noch der dunkelhäutige Junge, der mich mit gerunzelter Stirn von oben bis unten abcheckte. Er war derjenige, der mich begrüßt hatte. Seine Worte würde ich nicht mehr vergessen.
»Wo bin ich?«, fragte ich und war ein bisschen erstaunt, meine eigenen Stimme zu hören. Sie klang angenehm rau, aber nicht zu hart.
»An keinem sonderlich guten Ort.« Das hatte der dunkelhäutige Junge gesagt.
»Mach dir nicht ins Hemd, Frischling!« Ein anderer kicherte über sich selbst.
»Zu welchem Hüter schicken wir sie?«, rief jemand aus den hinteren Reihen.
»Hab dir doch gesagt, du Neppdepp!«, meldete sich eine belustigte Stimme zu Wort. »Sie ist ein Klonk, also wird sie zu den Schwappern kommen – das is' doch klar!«
»He! Aufpassen!« Einer hieb drohend die Faust, stimmte dann aber mit den anderen in schallendes Gelächter ein.
Ich fühlte mich total fehl am Platz. Die anderen Jungs wirkten absolut vertraut miteinander, lachten über ihre Scherze und ständig wurde ich mit Worten konfrontiert, die ich überhaupt nicht verstand oder noch nie gehört hatte: Klonk. Nepp. Hüter. Schwapper. Die Worte gingen den anderen so leicht über die Lippen und ich kannte sie nicht, was mich mehr als nur störte. Es war, als hätte ich mit meinem Gedächtnis auch einen Teil meiner eigenen Sprache verloren.
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RUNNERS - Wir sind nie sicher ✔
FanfictionTRILOGIE | BAND 2 ❛❛ »Ich weiß nicht, was die da draußen machen, aber das will ich auch.« »Du hast keine Ahnung, wovon du redest«, knurrte Chuck und rollte sich auf die andere Seite. »Jetzt schlaf.« Ich war völlig überzeugt davon, ob...