»Im Prinzip haben wir alle das Gleiche erlebt«, keuchte Chuck unter Anstrengung, während er meine Hängematte an einen Baumstamm knotete. Ich hielt das andere Ende oben und knotete es ebenfalls an einen Baumstamm, der dem anderen gegenüberstand. »Wir wachen auf in der Box, Alby führt uns rum und da wären wir nun. Aber keine Sorge, du stellst dich besser an, als ich. In der Box hab ich mir dreimal die Hosen vollgeklonkt, bevor ich rauskam.«
Gerade, als ich etwas erwidern wollte, lenkte mich ein gellender Schrei ab. Sofort blickte ich mich um; Angst kroch mir den Nacken rauf. »Oh Gott. Was war das?!« Ich entdeckte einige Lichter, die ebenfalls von ihrer Arbeit abließen und sich voller Sorge umsahen. Die meisten sahen aber zu der Holzhütte, die ich vorhin entdeckt hatte. »Chuck – wer hat da so geschrien?« Obwohl ich mir meine Angst nicht anmerken lassen wollte, hörte ich selbst heraus, wie panisch ich klang. Chuck antwortete mir nicht. Er kniff die Lippe zu einem schmalen Strich zusammen und zurrte weiter am Knoten der Hängematte rum. »Chuck??«
»Alles gut, mach dir keine Gedanken drum. Wir habend das im Griff.«
Misstrauisch betrachtete ich ihn. »Der Schrei klang aber ganz und gar nicht danach, als ob alles gut wäre. Klang eher so, als ob ihr hier hobbymäßig ein paar Jungs foltert. Oder sogar tötet.«
Chuck begann prustend zu lachen, als ob ich etwas Urkomisches gesagt hätte. Während er sich vor Lachen den Bauch hielt, wackelten seine braune Locken hin und her. »Himmel, was denkst du nur von uns? Ich mag dich!« Er wischte sich eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel, wurde dann aber ganz ernst. »Wir foltern keine Jungs. Und wir töten sie auch nicht. Wir pflegen nur unsere Leute wieder gesund.«
»Oh, sorry«, entschuldigte ich mich verlegen und wechselte schnell das Thema. »Ihr nennt mich alle immer wieder Frischling oder Strunk ... was bedeutet das alles? Es kommt mir vor, als ob ich einen Teil meiner Sprache verlernt habe.«
Nun grinste Chuck wieder. »Wir reden hier so. Das ist unsere Sprache, Mann. Ich kann dich voll verstehen, ich hab auch so dämlich geguckt wie du, als die mich mit den Worten zugelabert haben. Und ein Frischling bist du, weil du als letztes mit der Box hochgekommen bist. Alby hat dir bestimmt schon erzählt, dass wir jeden Monat einen neuen Frischling bekommen? Aber normalerweise waren es nur Jungs. Du bist das erste Mädchen, vielleicht sind die anderen deshalb so skeptisch. Du bist einfach anders.«
Damit bestätigte er meine schlimmste Vermutung. Ich war allein unter vielen Jungs, die mich größtenteils alle nur schräg anstarrten. Meine Hand glitt von der Schnur der Hängematte und fiel dann schlaff neben meinen Körper. Tränen wollten wieder aufsteigen, doch ich kämpfte dagegen an. »Ich hasse es hier.«
Mit großen Augen sah Chuck mir dabei zu, wie ich gegen den Kummer ankämpfte. »Wir hassen es alle hier, glaub mir. Aber du wirst dich an alles gewöhnen – wir sind eigentlich ganz nett, wenn du uns kennenlernst. Sogar Gally, auch wenn der am Anfang echt unerträglich ist.«
Ich sah zu den Jungs rüber, die sich an der schäbigen Hütte tummelten. »Wer ist Gally?«, fragte ich, obwohl ich mir irgendwie schon fast denken konnte, wer er war.
»Ganz kurze blonde Haare ... also falls das überhaupt blond ist. Aber das war der, der dich so angepöbelt hat.«
»Ah«, machte ich. Also doch. Wenigstens hatte ich jetzt einen Namen.
»Pfanne ist einer der besten! Ganz in der Nähe steht seine Kochhütte. Da kocht er uns immer frisches Essen!« Chuck deutete in die Richtung, in der einige Bänke und Tische aus Holz standen.
»Wer ist denn jetzt schon wieder Pfanne?« Mir waren das eindeutig zu viele Namen, die ich mir unmöglich alle merken konnte.
»Der mit der Schürze«, antworte Chuck wie aus der Pistole geschossen. Ich stellte mich auf Zehenspitzen und spähte zu der Kochhütte rüber. Tatsächlich entdeckte ich jemanden, der eine Schürze trug. Er war bei meiner Ankunft ebenfalls dabei gewesen, ich erinnerte mich an ihn. Wie Alby war Pfanne dunkelhäutig und seine Haare waren kurzgeschoren. Wenn ich schätzen müsste, dann war Pfanne vielleicht ein bisschen kleiner als Alby und jünger. Mehr konnte ich von hier aus nicht erkennen.
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RUNNERS - Wir sind nie sicher ✔
FanfictionTRILOGIE | BAND 2 ❛❛ »Ich weiß nicht, was die da draußen machen, aber das will ich auch.« »Du hast keine Ahnung, wovon du redest«, knurrte Chuck und rollte sich auf die andere Seite. »Jetzt schlaf.« Ich war völlig überzeugt davon, ob...