14 | Alea

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Minho wusste über alles bescheid. Er kannte meine Gedanken, meine Erinnerungen, die ich in den letzten Tagen sah, meine Sorgen und Ängste und meine tiefsten Gefühle. Es tat verdammt gut, endlich mit jemandem darüber reden zu können. Das Einzige, was ich Minho nicht erzählt hatte, war die Sache mit dem Frischling und wie suspekt er mir vorkam.

Obwohl ich ihm verdammt viel zu erzählen hatte, hörte Minho mir aufmerksam zu, nickte verständnisvoll und ließ mir die Sorgen von der Seele reden. Mittlerweile fühlte ich mich auch ein Stück besser; es war einfach schön zu wissen, dass jemand auf derselben Seite stand, wie man selbst auch.

Irgendwann, als ich alles erzählt hatte, gingen mir die Themen aus und es gab nichts mehr zu sagen. Mein Kopf pochte von der Anstrengung und Minho saß einfach nur da, um mir mentale Unterstützung zu geben. Zusammen saßen wir auf dem Gras und schwiegen vor uns hin, hingen unseren Gedanken nach und genossen die Wärme der nicht vorhandenen Sonne auf unserer Haut.

Während ich keinen Plan hatte, worüber Minho gerade nachdachte, hing ich meinen eigenen Gedanken nach. Ich wollte endlich wissen, wer ich wirklich war. Ich wollte alles wissen, egal wie hässlich die Wahrheit auch sein mochte. Aber es wollte mir einfach nicht gelingen. Ich presste meine Augenlider zusammen und stellte mir vor, wie es in meinem Kopf aussah. Vor mir tauchte eine große imaginäre Datenbank auf. Ich will alles sehen, flüsterte ich in Gedanken.

Ganz langsam, wie eine sanfte Brise an einem warmen Frühlingsmorgen, spürte ich ein Kribbeln, erst leicht, dann immer stärker, dass sich durch meine Venen pumpte. Zarte Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen Da war es, das Gefühl, dass ich sehnsüchtig erwartete. Mit weitausgebreiteten Armen hieß ich dieses Gefühl Willkommen. Jetzt musste ich mich nur noch an das Richtige erinnern, dann war alles gut.

Der lang ersehnte Sog der Gedankenwelt erfasste mich wie ein grauer Wirbelsturm. Er riss mir den Boden unter den Füßen weg. Genießerisch gab ich dem Kribbeln freie Bahn. Langsam ertaubten meine Finger, meine Hände, dann meine Arme. Die ganze Zeit über dachte ich, es war die Blockade. Doch es stimmte nicht ganz: Ja, es war eine Blockade, aber keine, die man nicht durchdringen konnte. Wenn ich mich dem Gefühl einfach hingab, dann ... gleich ...

Ich war bereit, für egal was. Egal was kommen würde. Ich war so bereit, wie noch nie.

༻༺

Ich stand auf einer Wiese. Sie kam mir bekannt vor. Doch, woher? Um mich herum waberten farbige Tröpfchen, die sich langsam zu einer Blase bildeten. Bunte Bilder reiften zu Filmen heran, die sich nun in den Blasen abspielten. Mit zitternden Fingern gab ich dem Drang nach, eine der Blasen zu berühren. Sofort stürzte ich in eine Szene.

Erschrocken schrie ich auf, als ich mich auf einem Boden liegend wiederfand. Über mir war ein Junge gebeugt. Seine schwarzen verschwitzten Haare hingen ihm wild in die Stirn. Ich spürte Panik. Ich spürte Angst. Ich spürte mein Herz. Ich sah ein Gesicht. Markant, unverkennbare braune Augen. Ein Name schoss mir durch den Kopf, direkt hintendran eine Verbindung. Bester Freund, Can. In seinen Händen hielt er ein Schwert oder etwas ähnliches. Er war im Inbegriff, mich zu ermorden, doch in seiner Brust steckte ein Dolch. Mit einem Mal wusste ich, dass ich diesen Dolch warf. Ich hatte ihn getötet. Taumelnd kam ich auf die Beine. Ich war verletzt. Panisch sah ich mich um, doch da entdeckte ich die Blasen. Heil froh, aus dieser Szene rauszukommen, griff ich nach einer neuen Blase, die mich sogleich in die nächste Szene zog.

Diesmal saß ich an einem Tisch, in einer Mensa. Diese Umgebung wirkte eindeutig freundlicher auf mich. Mein rasender Puls beruhigte sich allmählich. Plötzlich knallte ein Tablett vor meiner Nase auf den weißen Tisch. Erschrocken blickte ich auf und entdeckte einen sympathischen aussehenden Jungen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich das Gesicht erkannte.

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