Go tell your Mama

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Knapp eine halbe Stunde sitze ich nun in meinem Studio und bin fertig. Nicht fertig im Sinne von, fertig mit dem Lied und dem Video – nein – das genaue Gegenteil. Ich bin fertig mit den Nerven. So sehr ich es versucht habe und so oft ich versucht habe neue Motivation zu bekommen, schaffe ich es einfach nicht überhaupt irgendwas an meinen Sachen zu machen. Meine Gedanken sind abwesend und immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich einfach nur an eine Wand starre und ganz wo anders bin.

Nichts funktioniert, weder der Feinschliff noch das Schneiden des Musikvideos. Mein Kopf blockiert. Nichts geht rein oder raus. Nur die Gedanken, die sowieso in meinem Kopf herumschwirren sind dort und stiften nochmals Chaos.

Meine Augen hängen nur noch an der Uhr. Ich verfolge die Zeiger und sehe meine Zeit um das Lied fertigzustellen dahin verschwinden. Einerseits vergeht die Zeit schnell, anderseits fühlt sich aber auch jede Sekunde, wie eine Stunde, an. Das Gefühl, in dem ich gerade lebe ist vermutlich mit einer der unangenehmsten, die es gibt. Einerseits will ich produktiv sein, weil ich weiß, dass mir genau das, was ich tun möchte aus meiner Situation helfen kann. Es ist meine Therapie, die ich brauche und das ist mir klar, aber dennoch steht auch die Unmotivation im Raum und lässt mich nicht produktiv werden.

Egal was ich versuche, ob es das Zupfen an der Gitarre oder das kleine Klimpern an dem Keyboard ist, nicht bringt mich dazu produktiv zu werden. Zu tief bin ich mit meinen Gedanken, bei einer Person, die diese Zeit eigentlich gar nicht wert ist. Doch gegen das Chaos in meinem Körper komme ich nicht an. Wie versteinert sitze ich auf dem Schreibtischstuhl und finde mich erneut mit meinem Blick auf der Uhr wieder.

Meine flachen Handflächen, streiche ich harsch über meine Augen um meine Sicht auf irgendetwas anderes zu richten. Mich selber muss ich aufwecken und irgendwie dazu bringen etwas anderes zu tun, als dauerhaft über ihn nachzudenken. Ansonsten finde ich mich morgenfrüh immer noch hier wieder und bemerke, erst wie die Sonne aufgeht, wenn ich aus dem Studio gehe.

Seit dem letzten Vorfall, in dem ich die Nacht durchgearbeitet habe, habe ich mir eine Uhr für das Studio gekauft, weshalb es nun unwahrscheinlicher ist die Nacht durchzumachen, unmöglich ist es dennoch nicht. Zu meinem Beileid.

Dennoch schaffe ich es irgendwie mich aus meinem Stuhl zu erheben, mir eine neue Flasche Bier zu holen und mein Handy, welches tatsächlich noch immer in meiner Jackentasche verweilt. Das Bier öffne ich schnell und nehme dann mein Handy, auf dem ich eindeutig zu viele Nachrichten habe, dafür, dass ich gerade mal eine halbe bis dreiviertel Stunde nicht darauf geschaut habe.

Mehrere Anrufe und Nachrichten. Die Anrufe ignoriere ich sofort, da ich genau weiß, von wem sie sind. Auf WhatsApp ignoriere ich seinen Chat ebenso und gehe nur auf die anderen ein. Kenos Nachricht beantworte ich als erstes. Dann lese ich die Nachricht von Olli, der mit vor knapp 30 Minuten geschrieben hat, dass auch er zuhause angekommen ist. Als ich auf den Chat von Joonas klicke, bereue ich diese Entscheidung sofort.

Wenn ich nun Pech habe und er sowohl online ist und sieht, dass ich seine Nachrichten gelesen habe, als auch, dass er noch bei Joel im Studio ist, habe ich richtig verkackt. Und da man wissen sollte, dass ich so gut wie nie Glück habe, leuchtet nach nur einer Sekunde der Reue das kleine ‚online' unter seinem Namen auf. „Verdammt.", fluche ich kurz und überlege, was ich schreiben kann.

„Hilja, alles in Ordnung?" – „Bist du gut zuhause angekommen?" – „Bitte rede mit Joel." – „Er macht sich Sorgen." – „Melde dich, wenn du das liest.", lese ich die Nachrichten in meinem Kopf mehrmals von oben nach unten durch. Meinen Kopf lasse ich nach hinten an die Wand fallen und rutsche dann langsam diese hinunter, sodass ich auf dem Boden hocke.

Die Flasche stelle ich neben mich auf den Boden und fahre mir dann mit der leicht kühlen Hand durch meine Haare. Für einen kurzen Augenblick habe ich meine Augen geschlossen und hoffe, dass mir irgendetwas in meinem Kopf kommt, was ich dem Gitarristen schreiben kann.

Died enough for You [Joel Hokka FF] (German)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt