06 - Ein Blick in ihre Vergangenheit

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Die staubigen Holzdielen unter Luanas Füßen beben, als die Haustür vor ihren Augen aus den Angeln gerissen wird. Mit einem Poltern kracht sie direkt vor ihre Füße. Doch noch ehe Luana erkennt, wer sich auf eine solch zerstörerische Weise Zutritt zu ihrem Zuhause verschafft hat, wird sie von jemandem an der Schulter zurückgezogen.

Verwirrt sieht Luana zu ihrer großen Schwester auf, welche sich schützend vor sie gestellt hat. Die Eltern der beiden Geschwister kauern verängstigt in der hinteren Ecke des Raumes.

Auf das Poltern der Tür hin, folgt Stille. Und dann Schritte. Die abgenutzten Holzdielen quietschen, während eine Person durch den Türrahmen tritt.

,,Na, wen haben wir denn da? Dachtest du etwa, du könntest dich vor mir verstecken?" erklingt eine männliche Stimme. Luana spürt, wie sich ihr Körper vor Angst anspannt. Trotzdem siegt ihre Neugierde über die Panik. Sie erhascht einen kurzen Blick auf den Mann im Türrahmen, in dem sie hinter dem Rücken von Mai hervorschaut. Ein finster dreinblickender Kerl mit einem großen Hut. Seine kindliche Erscheinung wirkt an sich ganz und gar nicht bedrohlich. Doch die Ausstrahlung seiner Augen jagt Luana einen Schauer über den Rücken. Ihre Schwester breitet nun schützend die Arme aus und schiebt sie weiter zurück.

,,Bitte lass meine Familie da raus. Töte mich, anstelle von ihnen."

Der Mann lacht laut auf.

,,Ihr Menschen seid auch wirklich alle gleich," schnaubt er daraufhin herablassend und tritt näher. Seine Stimme ist in Wut getränkt. Doch in Wahrheit schwingt noch etwas anderes darin mit.

Schmerz.

Luana weicht verängstigt zurück, als der Mann ihre Schwester nun am Hals packt und hochhebt.

,,Ver-versteck dich... s-schnell," kann Mai noch mit erstickter Stimme hervorbringen. Luana ist allerdings wie gelähmt. Die Angst betäubt ihren Körper, wie ein langsam wirkendes Gift. Und somit kann sie lediglich dabei zusehen, wir der unheimliche Mann mit einer schnellen Bewegung seine Hand direkt in ihr Herz stößt. Ihr lebloser Körper fällt einen Augenblick später mit einem Poltern direkt vor ihre Füße.

Die Augen des Mörders treffen auf die Luanas. Diese erstarrt vollkommen. Unfähig die Geschehnisse um sie herum verstehen zu können. Alles was sie spürt, ist ein starker, zehrender Schmerz, welcher droht ihre Brust zu zerreißen.

Ohne ein weiteres Wort wendet sich der Mann von Luana ab und verlässt das Haus.

Zurück bleibt der Tod. Und ein tiefklaffendes Loch in ihrem Herzen, welches schon bald mit Hass gefüllt werden sollte.

...

Luana schlägt die Augen auf. Ihr Atem geht ruhig, doch die Bilder ihres Traumes pulsieren noch immer durch ihren Kopf, wie ein durcheinander gewirbelter Stapel Blätter. Der Schmerz in ihrer Brust sitzt tief. Wenn, so wie in dieser Nacht, ihre Erinnerungen erneut zu Tage befördert werden, ist es als würde man eine alte Wunde von neuem aufreißen.

Allerdings ist es auch nicht das erste Mal, dass dieser Fall eintritt.

Also atmet Luana tief durch und setzt sich auf. Zuerst muss sie sich in ihrer Umgebung orientieren. Es ist das Zimmer, welches ihr als persönliche Assistentin des Balladeers bereitgestellt wurde. Sehr groß, mit hochwertiger Einrichtung und sogar einem Kamin. Eine Weile würde es wohl noch dauern, bis Luana sich daran gewöhnt hat, dass sie nun in diesem Zimmer leben würde.

Zu ihrer linken befindet sich ein großes Fenster. Die schneebedeckte Landschaft Snezhnayas thront dahinter in seiner vollen Schönheit. Still schweigend rieselt der Schnee auf den Boden hinab. Leblos. Und unberührt.

To Be Hated By HerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt