18 - Der Sinn ihres Lebens

224 24 13
                                    

Eine erdrückende Stille herrscht sowohl in Luanas Kopf, als auch in ihrer Umgebung. Sie starrt an die Decke des Zeltes. Unfähig auch nur an das Einschlafen zu denken. Doch genau genommen will sie sich noch weniger mit den Dingen befassen, welche Scaramouche ihr zuvor erzählt hatte.

Zu groß ist die Angst davor, wie sehr sich ihr Bild von ihm aufgrund dessen verändern könnte.

Luana dreht den Kopf zur Seite und betrachtet die Gestalt neben ihr. Die Dunkelheit lässt jedoch bloß erschwerte Sicht auf den Rücken des Balladeers zu.

Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass sie Mal in solch einer Situation stecken würde. In einem Zelt mit dem Mörder ihrer Schwester. Und eigentlich würde sie dieses Gefühl gerne ignorieren. Doch es ist offensichtlich, dass sie tief in ihrer Brust ein Hauch von Sympathie für ihn empfindet.

Das Schicksal hatte sich wohl einen grausamen Scherz mit ihr erlaubt.

Zum ersten mal fällt Luana nun das Zeichen des Elektro Archons an seinem Hals auf. Lediglich ein kleiner Teil ragt aus dem Kragen seiner Kleidung heraus. Ein unauffälliges, blass lilafarbenes Symbol. Unbestreitbar handelt es sich um das Elektro Zeichen, welches aus Inazuma stammt. Seine Geschichte ist wahr. Die verstoßene Puppe ohne Herz. Sie wusste ja, dass seine Vergangenheit womöglich kompliziert wäre, doch mit diesem Ausmaß hatte sie nicht gerechnet.

Allerdings spielt dies für Luana wohl kaum eine Rolle. Zumindest sollte es das nicht. Es rechtfertigt keine seiner Taten. Und es ändert nichts daran, dass er ein Mörder ist.

Dennoch lässt sich die bevorstehende Konfrontation ihres Gewissens nicht vermeiden. Tatsächlich hatte der Harbinger es nicht unbedingt leichter, als Luana, in seinem bisherigen Leben. Jahrhunderte langes Leid führte zu dem heutigen Resultat seiner Persönlichkeit. Der Wunsch nach einem Herzen verwandelte sich in einen rücksichtslosen Kampf um die Aufmerksamkeit der Götter. Oder viel mehr eines Gottes. Die anderen Harbinger betrachten ihn nicht als Kameraden, sondern als bloßes Werkzeug. Allem voran Dottore. Und solange er nützlich ist, wird der Balladeer von ihnen anerkannt. Letzten Endes ist es doch lediglich das Erstreben eines unerreichbaren Ziels.

Denn in Wahrheit benötigte er sicher nie ein Herz, um menschlich zu sein.

Die Gründe für sein Handeln sprechen dafür, dass er bereits von Geburt an so menschlich war, wie jedes unschuldige und unwissende Kind auf der Welt. Ein Kind, dass in seiner Einsamkeit und Verletzlichkeit niemals hätte den richtigen Weg einschlagen können, da es schlicht und ergreifend niemanden gab, der ihm ein Vorbild hätte sein können.

Ein Rascheln neben ihr holt Luana aus ihren Gedanken zurück. Scaramouche hatte sich umgedreht. Sie betrachtet nachdenklich sein schwach beleuchtetes Gesicht. Strähnen seines dunklen Haares liegen ihm in der Stirn. Die Augen sind geschlossen, seine Gesichtszüge entspannt. Ohne den von Wut oder Ironie gezeichneten Ausdruck in seinen Augen, wirkt er fast noch jünger als sonst. Ein 500 Jahre alter Geist in dem Körper eines jungen Mannes. So friedlich, wie in diesem Augenblick hatte sie ihn wohl noch nie erlebt.

Ob er schläft?

Kann er überhaupt schlafen?

Seine Schulter hebt und senkt sich jedenfalls stetig... Es sieht so aus als würde er atmen. Wenn Luana es sich jedoch recht überlegt, weiß sie gar nicht ob eine 'Puppe' atmen muss. Wäre dies nicht der Fall und der Harbinger liegt in Wahrheit bloß mit geschlossenen Augen dort, während er den Atem eines Menschen nachahmt, dann ist es verwunderlich welch spezifische Verhaltensmuster er sich angeeignet hatte, bloß um sich ein wenig menschlicher zu fühlen.

Viel fragwürdiger ist allerdings, weshalb der Dunkelhaarige diese Muster noch immer aufrecht erhält, obwohl er vorgibt die Menschheit inzwischen zu verachten.

To Be Hated By HerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt