Mit leerem Blick starrt Luana an die Decke. Erneut befindet sie sich in dem viel zu engen Schlafzimmer des Schiffes, was ihre Laune nicht grade bessert. Die Luft ist stickig und fühlt sich schwer auf ihrer Haut an. Es ist als würde diese eintönige und finstere Umgebung sie nahezu erdrücken.
Mit der Gefahr jedoch Scaramouche außerhalb dieses Raumes zu begegnen, scheint es ihr das geringere Übel zu sein.
Inzwischen ist der nagende Schmerz in ihrer Brust ein wenig abgeklungen. Oder womöglich hatte Luana sich auch nur bereits daran gewöhnt. Das Resultat ist eine wachsende Taubheit, die sich bemüht jegliche Gedanken über das Geschehene zu verdrängen. Doch früher oder später wird sie sich sowieso damit auseinandersetzen müssen. Es noch länger hinaus zu zögern, wird die Sache nicht weniger schwer machen.
Mit einem resignierten Seufzen setzt sich Luana im Bett auf und lehnt sich mit dem Rücken gegen das harte Kopfende. Durch das gegenüberliegende Fenster verirren sich schmale Streifen des Sonnenlichts bis hin zu ihrem Bett. Der nächste Tag hat bereits begonnen.
Nun, da sich die Wogen in ihrem Inneren allmählich glätten und das schiere Chaos an Emotionen nicht länger ihren Verstand überschattet, kehren einige der Dinge, die der Balladeer zu Luana sagte in ihr Gedächtnis zurück.
Er behauptete, dass Mai für ihn gearbeitet hatte.
Und sie Liyue verriet, um die Erwartungen ihrer Familie zu erfüllen. Um sie versorgen zu können?
Eine erneute Welle der Wut überkommt Luana. Sie ballt ihre Hände zu Fäusten. Sollte das etwa bedeuten, dass sie indirekt an ihrem Tod schuld waren? Weil Mai diese Vereinbarung für ihre Familie einging?
Ein dumpfes Krachen durchbricht die Stille, als ihre Faust mit der Wand neben ihr kollidiert. Das Holz stellte kein besonders großes Hindernis dar. Ihre Faust hinterlässt somit ein beachtliches Loch darin. Leider half dieser kleine Wutausbruch Luana nicht unbedingt bei der Bewältigung ihrer Gefühle weiter.
Nein, es wäre vollkommen dämlich sich nun die Schuld dafür zu geben. Womöglich ist es doch bloß das, was der sechste Harbinger erreichen will.
Was Luana allerdings viel mehr verletzt, ist die Tatsache, dass ihre Schwester die Wahrheit vor allen verheimlicht haben soll. Dass sie die gesamte Last alleine auf ihren Schultern trug, ohne irgendjemandem etwas davon zu sagen. Nicht einmal ihr. Mai war immerzu ihre einzige Ansprechpartnerin. Egal, was sie auf dem Herzen hatte, Luana wusste, dass sie es ihrer Schwester anvertrauen konnte. Doch... scheinbar war sie diese Person niemals für Mai.
Luana glaubte immer, dass sie und ihre Schwester sich nahe standen... all die Jahre. Und nun sollen all die guten Erinnerung, welche sie mit Mai verband, bloß dem beschönigte Glauben eines Kindes entstammen? Etwas, das in dieser Form nie existierte?
Wieso hatte sie bloß nie etwas bemerkt?
Hatte sie ihre Schwester dann überhaupt jemals richtig gekannt?
Mit ausdrucksloser Miene starrt Luana auf ihre Hände. Tränen tropfen von ihrem Kinn hinab auf den dunklen Stoff der Handschuhe, die sie trägt.
Oder hatte Scaramouche sich diese Geschichte bloß ausgedacht, um die Gehirnwäsche fortzuführen, welche er vermutlich bereits von Anfang an bei ihr durchführte? Vielleicht soll diese Erkenntnis ihre Überzeugungen endgültig zunichte machen. Woher könnte sie denn nun noch wissen, welche Dinge aus seinem Mund der Wahrheit entsprachen? War überhaupt jemals irgendetwas wahres daran? Wobei es bei ihrer letzten Unterhaltung eigentlich nicht so schien, als wolle er ihr etwas vormachen.
Aufgebracht streift Luana die Handschuhe von ihren Händen und wirft sie gegen die Wand gegenüber des Bettes.
Wieso trug sie diese verdammten Dinger überhaupt noch?
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To Be Hated By Her
FanfictionDer Grad zwischen Liebe und Hass ist sehr schmal, so sagt man... Doch in Luanas Fall kann davon nicht die Rede sein. Sie hasst den Mörder ihrer großen Schwester mit jeder Faser ihres Körpers. Dies könnte ihr allerdings früher oder später zum Verhäng...