27 - Der Sturm in ihrem Herzen

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Luana starrt regungslos auf die Tür, durch welche Scaramouche noch vor wenigen Minuten den Raum verließ.

Was hatte sie bloß getan?

Das Adrenalin in ihren Adern schwächt langsam ab. Die Wirkung des Glückszustands lässt nach. Und es holt Luana zurück auf den grausamen Boden der Tatsachen.

Unwillkürlich wandert ihre Hand nach oben zu ihrem Mund. Das Gefühl seiner Lippen auf ihren... Es war kaum vergleichbar mit irgendeiner anderen Emotion, die Luana jemals verspürte. Und vermutlich wird sie es auch nie wieder spüren. Denn ihr Gewissen würde es sicher nicht erlauben.

Doch weshalb fühlt sich ihr Herz dann bloß so schwer an? Handelt es sich um Reue oder Enttäuschung?

Die Enttäuschung über sich selbst. Darüber, dass sie es soweit hatte kommen lassen. Was sagt dies nun über sie aus? Womöglich macht es sie zu einem noch schlimmeren Monster. Doch viel schlimmer ist wohl die Tatsache, dass sie ihn inzwischen nicht mehr als solches ansehen kann. Nicht nachdem, was sie in seinen Augen sah.

Es war die Angst Luana zu verlieren.

Sollte das ein Witz sein? Ein grausamer Scherz des Schicksals?

Scaramouche hatte ihre Schwester getötet. Mai, die sie über alles liebte. Wie konnte sie bloß Gefühle für diesen Mann entwickeln, obwohl sie die Hälfte ihres Lebens damit verbrachte ihn zu hassen?

Der Grad zwischen Liebe und Hass ist sehr schmal, so sagt man...

Dies erklärte Mai ihr einst. Damals hatte Luana behauptet ihre Eltern zu hassen, weil sie ihr nicht genügend Aufmerksamkeit schenkten. Sie war bloß ein Kind. Nie verstand sie, was ihre Schwester damit meinte. Luana hielt es für ein blödes Sprichwort, was sie sich ausdachte, damit es ihr besser ging.

Was für eine Tragödie, dass sie die Bedeutung ihrer Worte in eben diesem Moment besser verstand als jeder andere.

Mit einem Mal fühlt es sich so an, als würden die Wände des Raumes näher kommen. Es nimmt ihr die Luft zum Atmen. Schnürt ihr die Lunge zu, wie ein unsichtbares Seil. Die Erinnerung der vergangenen Momente überschlagen sich in Luanas Kopf. Immer und immer wieder. Sein Geruch. Wie weich sich seine Lippen anfühlten. Das Verlangen, welches sie verspürte.

Hastig klettert Luana aus dem klapprigen Bett, durchquert das leere Büro, welches daran angrenzt und stolpert die hölzernen Treppenstufen im Flur nach oben.

Schwer atmend, schiebt sie schließlich die wuchtige Mettaltür am Ende der Treppe zur Seite, nur um endlich ihre schmerzenden Lungenflügel mit der kühlen Meeresluft zu füllen, welche ihr entgegen schlägt. Luana schließt kurzzeitig ihre Augen. Der kalte Wind beruhigt ihre überfluteten Sinne ein wenig. Dann betritt sie das Deck des Schiffes. Ihr Blick wandert über das offene Meer. Pech schwarze Wellen wiegen das Schiff ruhig hin und her. Der Mond spiegelt sich, wie eine große weiße Scheibe im Wasser.

Doch ist sie nicht die einzige, welche die beruhigende Wirkung des Meeres genießt.

Zu ihrer linken lehnt der Balladeer mit den Unterarmen auf der Reling des Schiffes und starrt in die Ferne.

Natürlich ist er hier. Es gibt immerhin nicht sehr viele Ort auf diesem Schiff, die er hätte aufsuchen können. Mit gemischten Gefühlen setzt Luana sich letztlich in Bewegung. Schweigend tritt sie neben ihn. Sicher hatte der Harbinger sie bereits bemerkt, als sie das Deck betrat. Dennoch sieht er weiterhin geradeaus. Keine Worte werden benötigt. Sie hat ihm ohnehin nichts zu sagen. Und selbst, wenn sie es wollte, könnte Luana keinen Ausdruck dafür finden, was in ihr vor sich geht.

Somit wendet sie ihren Blick von ihm ab. Nun erkennt sie, worauf der Dunkelhaarige seine Aufmerksamkeit in der Ferne gerichtet hat. Es sieht aus wie ein Sturm. Blitze flimmern auf und Gewitterwolken verdunkeln das Meer. Ein bedrohliches Naturschauspiel. Und doch irgendwie beruhigend anzusehen. Möglicherweise liegt es daran, dass ein solcher Sturm zurzeit auch in ihrem Inneren tobt.

To Be Hated By HerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt