Kapitel 24

32 6 86
                                    

Sonntag, 06.09.

Als Matthias am nächsten Morgen aufwachte, lag Oskar tief schlafend neben ihm. Sein Atem war ruhig und gleichmäßig, sein Mund leicht geöffnet. Je länger er ihn betrachtete, desto sicherer war er sich, dass er diesen Mann liebte. Wieso er das all die Jahre nicht erkannt hatte, wusste er auch nicht. 

Er hatte seine Zeit mit Esra und vor allem mit Felicia verschwendet. Er fragte sich, wie seine Situation heute wäre, hätte er anstatt Esra Oskar für seine erste große Liebe gehalten? Würde er nun auch einen Ring am Finger tragen? 

Natürlich konnte man es nie wissen, doch er fühlte sich, als hätte er all die Jahre Scheuklappen getragen, die ihm erst jetzt entfernt worden waren. 

Leise zog er sich an, schlich nach unten und setzte sich wieder auf das Sofa. Er ließ den Blick durch das Regal neben dem Sofa wandern und stellte überrascht fest, dass Oskars und Johnnys Hochzeitsfoto nicht mehr an seinem Platz stand. Die anderen Fotos waren noch alle da, Oskar und Johnny auf dem Weihnachtsmarkt, beim Skifahren, am Strand. Doch dieses eine Foto fehlte. Suchend blickte er sich um, ob Oskar es vielleicht woanders hingestellt hatte, doch er konnte es nicht entdecken. Hatte er es bewusst weggeräumt? Sein Herz machte bei diesem Gedanken einen kleinen Hüpfer. 

Gedankenverloren warf er einen Blick nach draußen. Heute war der erste Tag seit langem, an dem die Sonne nicht schien. Es war bewölkt und grau. Der Sommer, der in den letzten Wochen noch einmal alles gegeben hatte, verabschiedete sich langsam.

Er schaltete den Fernseher ein und schaute mal dies, mal das. Es lief nichts wirklich Spannendes, doch er ließ sich gern berieseln. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und beschloss, sich ein wenig den sozialen Medien hinzugeben. Er selbst war zwar nicht sehr aktiv, doch er las sich interessiert den Quatsch durch, den die anderen Leute so posteten. 

Nach einigen Minuten fiel ihm plötzlich etwas ein. Mochte es eine übernatürlich Eingebung oder eine Art Geistesblitz sein, im Nachhinein konnte er es nicht sagen. Er klickte auf das Google-Symbol und suchte Johnnys Namen. Der zweite Treffer war sein Twitter-Account. Im Gegensatz zu ihm war Johnny dort sehr aktiv, schließlich verdiente er auch damit sein Geld, für bestimmte Dinge Werbung zu machen. Schon der erste Post war ein Volltreffer. Oder ein Eigentor, je nach dem, wie man es nahm. 

Johnny schrieb, wie sehr er seine Arbeit liebte, daneben ein Foto von ihm auf dem Eis. Es war ein schönes Bild, es schien ihn perfekt in seiner grazilen Art widerzuspiegeln. Daneben war jedoch ein zweites Bild, das Johnny zusammen mit Oskar zeigte. Johnny hielt Oskars Gesicht umklammert und küsste ihn auf die Wange. Oskar wiederum verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Es war lustig. Daneben schrieb er, dass er trotz der tollen Arbeit die Liebe seines Lebens vermisste. Er scrollte durch die Kommentare, alle positiv. Sie seien so ein süßes Paar, bla bla bla. Matthias sah sich den Post davor an, dann alle der letzten paar Wochen. Johnny schien keine Ahnung zu haben, was Oskar hier mit ihm tat. Johnny sah auf allen Fotos, die er postete so glücklich aus, dass es ihm ein wenig wehtat, dass er mit seinem Ehemann etwas angefangen hatte. Obwohl Johnny ziemlich peinlich sein konnte, mochte er ihn. Immerhin machte er seinen besten Freund glücklich. Beziehungsweise hatte er es getan, denn nun übernahm er selbst diese Aufgabe. Und doch überkamen ihn das erste Mal Zweifel, ob es nicht ziemlich unfair Johnny gegenüber war, was er hier tat.

Er verbrachte die nächsten Stunden mit Grübeln. Er würde es Johnny nicht erzählen, aber es kam ihm ziemlich gemein vor, ihn so zu hintergehen. Immerhin waren sich auch so etwas wie Freunde. 

Doch Oskar riss ihn aus seinen Gedanken. Matthias hörte, wie er die Treppe herunterkam und das Wohnzimmer betrat. Er trug eine Jeanshose, dazu ein weißes T-Shirt. 

„Gut geschlafen?" begrüßte er ihn und setzte sich zu ihm aufs Sofa. Mühsam setzte er sich auf und nickte. 

„Du siehst aber nicht so aus", stellte Oskar fest und sah ihn misstrauisch an. Matthias zuckte die Schultern. 

Slice of Life - A New ExperienceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt