Kapitel 26

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Dienstag, 08.09.

Am nächsten Morgen fuhr Matthias früher als sonst zur Arbeit. Oskar schlief noch, schließlich hatte er diese Woche keinen Dienst. Er würde heute Vormittag an seiner Doktorarbeit schreiben. 

Er dachte über den vergangenen Abend nach. Oskar schien irgendetwas zu beschäftigen. Er war normalerweise nicht so harsch, vor allem nicht wenn es um seine Tochter ging. Er würde ihn heute Nachmittag noch einmal darauf ansprechen, doch nun musste er sich erst einmal auf die Arbeit konzentrieren, was ihm heute schwerer fiel als sonst.

„Was ist los mit dir?", fragte Diana ihn, nachdem ein Betreuter von ihr gegangen war. Er zuckte die Schultern. Eigentlich hatte er keine Lust, mit ihr über Esra zu reden, doch sie sah ihn so herausfordernd an, dass er kurz daran dachte, ihr sein Herz auszuschütten. Doch er seufzte nur. 

„Liebeskummer?", fragte sie nach, doch er schüttelte den Kopf. 

„Los, raus damit! Das hilft immer!", versuchte sie es weiter. Sie hörte nicht auf, ihn eindringlich anzustarren. 

„Na gut."

Sie strahlte, setzte sich wieder auf ihren Stuhl, griff nach einem Blatt und einem Stift und sah ihn erwartungsvoll an. Er musste grinsen. 

„So besonders ist es eigentlich nicht. Du weißt doch, dass die Mutter von Duygu türkische Eltern hat", begann er. Diana legte Blatt und Stift wieder weg, dann nickte sie ernst. 

„Ihr Vater ist jetzt auf den Trichter gekommen, dass sie heiraten soll."

„Doch nicht etwa dich, oder?", rief sie aus und riss die Augen auf. Er zog die Schultern hoch. 

„Das hat er zuerst gefragt. Aber ich habe Nein gesagt. Also soll sie jetzt irgendeinen Typen aus der Türkei heiraten, den sie gar nicht kennt", fuhr er fort. Diana zögerte einige Sekunden, dann zog sie scharf die Luft ein. 

„Das klingt ziemlich blöd. Und du willst nicht, dass sie diesen Kerl heiratet?"

Er nickte. 

„Ich finde vor allem die Begründung, dass sie heiraten muss, weil ihre kleine Schwester heiraten will, ziemlich bescheuert. Bisher hat ihr Vater sie doch mit so einem Quatsch in Ruhe gelassen. Warum ausgerechnet jetzt? Das ist doch bekloppt!", beschwerte er sich. 

„Allerdings", stimmte Diana zu. 

„Und du willst jetzt was machen?"

„Ich versuche ihr klar zu machen, dass sie sich dagegen wehren muss. Ihr Vater hat gedroht, dass ich Duygu nicht mehr sehen darf, wenn ich sie nicht heirate."

Wieder ein langer Blick von seiner Kollegin. 

„Habt ihr nicht das gemeinsame Sorgerecht?", fragte sie dann, aber diesmal klang sie einfühlsamer. 

„Ja, aber es scheint ihm egal zu sein. Er wird sie solange bearbeiten, bis sie nachgibt. Gestern meinte sie, dass er ja vielleicht ganz nett ist."

„So ein Mist."

„Ja. Ich muss sie irgendwie überzeugen, dass sie sich nicht darauf einlässt."

„Wie willst du das machen? Du scheinst ziemlich überzeugt zu sein, dass sie sich nicht dagegen wehrt."

Matthias seufzte. 

„Ich habe noch keine Ahnung. Mir wird schon noch was einfallen."

„Wenn du drüber reden willst, wie es läuft...", sagte sie und lächelte ihn an. 

„Danke", murmelte er, doch dann versank er wieder in Gedanken. Zum gefühlt hundertsten Mal dachte er daran, wie das Treffen wohl ablaufen würde. Wahrscheinlich saß er die ganze Zeit nur da, verstand kein Wort, weil sie die ganze Zeit nur Türkisch redeten und kuschelte sich an seine Tochter, in der Angst, sie bald nicht mehr zu sehen.

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