Kapitel 57

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Freitag, 14.05.

Matthias umklammerte seine Tochter, die auf seinem Schoß saß. Neben ihm saß Esra, die einen Kinderwagen hin und her schob. Das Baby darin schlief tief und fest. Gleich würde er erfahren, ob er der Vater war. Er war so nervös, wie schon lange nicht mehr und spürte, wie seine Hände anfingen zu schwitzen. 

Er hob den Blick und sah hilfesuchend zu seinem Vater und Lisa, die auf der anderen Seite des Flurs standen. Lisa hielt ebenfalls einen Kinderwagen fest, doch sein kleiner Halbbruder wollte nicht so friedlich schlafen wie Aaliyah. 

Matthias hatte schon einmal genau auf diesem unbequemen Stuhl gesessen, auf dem er jetzt saß. Auch für Duygu hatte er einen Vaterschaftstest verlangt, doch damals war er sich eigentlich sicher gewesen, dass er der Vater war. Anders als jetzt. Er konnte es sich noch immer nicht vorstellen, doch Esra war dabei geblieben, dass er es war. 

„Wie lange noch?", fragte Duygu, doch Esra warf ihr einen genervten Blick zu. 

„Sollen wir draußen was spazieren gehen?", fragte Darren und streckte die Hand nach ihr aus. Schnell sprang sie von seinem Schoß und lief zu ihrem Opa. 

„Wir warten draußen", sagte er zu ihm, dann gingen er, Lisa und die beiden Kinder nach draußen. Zögernd warf er einen Blick zu Esra, die ganz und gar nicht so nervös zu sein schien, wie er. 

„Bist du nicht nervös?", fragte er sie, doch sie sah ihn nur eindringlich an. 

„Ich weiß, wie das Ergebnis sein wird", sagte sie trocken, doch schnell wandte sie den Blick wieder ab. Matthias seufzte. Egal, wie das Ergebnis ausfallen würde, es würde ihr Verhältnis noch mehr belasten. 

Wenn er nicht der Vater war, hatte er endlich die Gewissheit, dass sie ihn betrogen hatte. Und das würde er ihr ziemlich übel nehmen, vor allem, weil sie ihn die ganze Zeit angelogen hatte. 

Doch sollte er wirklich der Vater sein, so wie sie es behauptete, würde er die Verantwortung für einen kleinen Menschen übernehmen müssen. Und er müsste es irgendwie Jonas beibringen, denn er hatte sich vorhin mit den Worten verabschiedet, dass er sich sicher war, dass er es nicht war. Doch auf einmal war er sich da gar nicht mehr so sicher. Vor allem weil Esra keine Zweifel zu haben schien. Seufzend stützte er die Ellbogen auf die Knie und starrte auf den grauen Linoleumboden. 

„Stell dir mal vor, du bist der Vater", hörte er Esra sagen und abrupt hob er den Kopf und sah sie an. 

„Dann hättest du die Geburt beider deiner Kinder verpasst. Einfach, weil du ein Penner bist", sagte sie trocken und starrte auf ihre Füße. Einige Sekunden lang betrachtete er sie, doch in ihrem Gesicht war keine Regung zu erkennen. Er schnaubte und stand auf und fing an, hin und her zu gehen. 

Mit einem Ruck wurde eine Tür neben der Sitzreihe geöffnet und eine junge Frau mit streng zurückgebundenen Haaren trat auf den Flur. Ihre Schritte hallten unter der hohen Decke des Gebäudes. Sie hielt ein Klemmbrett in der Hand und las irgendetwas darauf. 

„Familie Demirci", sagte sie mit lauterer Stimme als nötig, denn sie waren die einzigen in dem ganzen Flur. Esra erhob sich und ging strammen Schrittes den Kinderwagen vor sich herschiebend in das Büro, aus dem sie gekommen war. 

Matthias Herz sank ihm in die Hose. Kurz glaubte er, dass er gleich in Ohnmacht fiel, doch seine Beine bewegten sich wie automatisch hinter Esra her. Seine Knie fühlten sich an, als seien sie aus Gummi. 

Er betrat das kleine Büro, in dem ein Schreibtisch stand, davor zwei Stühle. Esra setzte sich auf den linken und sah noch einmal nach ihrem Baby, dann sah sie erwartungsvoll die Frau an, die hinter Matthias die Tür schloss und sich dann auf die andere Seite des Schreibtischs setzte. 

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