Kapitel 8

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Freitag, 21.08.

Als Matthias aufwachte, war es stockdunkel im Zimmer. Er lag auf dem Rücken und spürte, dass jemand seine Hand umklammerte. Etwas schwerfällig fiel ihm wieder ein, dass er gestern Abend noch zu Oskar gegangen war. 

Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit und er konnte Schemen erkennen. Er wandte den Kopf zur Seite und sah, dass Oskar näher bei ihm lag, als er es erwartet hatte. Doch er schien zu schlafen. Sein Atem war ruhig und gleichmäßig und doch war sein Griff um seine Hand fester, als es bei einem Schlafenden sein sollte. Er drehte sich vorsichtig auf die Seite, um ihn nicht aufzuwecken, doch es funktionierte nicht. Oskar schlug so plötzlich die Augen auf, dass er sich erschreckte. 

„Ich bin's doch nur", nuschelte er verschlafen, schloss aber wieder die Augen. Anscheinend wollte er weiterschlafen, doch mit einem Mal war Matthias hellwach. Er löste seine Hand aus Oskars und ging ins Bad, wo er sich mit den Händen am Waschbecken abstützte. 

Nüchtern betrachtete er sich im Spiegel. Er sah verhärmt aus. Dunkle Ringe unter den Augen, die schwarzen Haare ungekämmt. Je länger er sich betrachtete, um so mehr stieg der Hass auf sich selbst. 

Ein Knarzen ließ ihn aufschrecken. Er hörte, wie Oskar durch den Flur zu ihm ins Bad kam. Zwei Sekunden später öffnete sich langsam die Tür. Matthias sah seinen Freund durch den Spiegel ins Bad kommen. Auch er sah gebeutelt aus, so als hätte er schon lange nicht mehr richtig geschlafen. Er blieb im Türrahmen stehen und lehnte sich mit der Schulter dagegen, die Arme vor der Brust verschränkt. 

„Kannst du nicht schlafen?", fragte er. Matthias betrachtete sein Spiegelbild, drehte sich aber nicht um. 

„Scheint so", gab er nur zurück und es klang nicht besonders freundlich. Er sah, wie Oskar sich von Türrahmen abstieß und näher an ihn herantrat. 

„Denkst du an Esra?"

Erst da drehte Matthias sich zum ihm um. 

„Eigentlich denke ich die ganze Zeit an gar nichts. Das ist ja gerade mein Problem. Mein Hirn hat irgendwie Aussetzer."

Er seufzte. 

„Du willst nur nicht über Dinge nachdenken, die kompliziert sind," erwiderte Oskar und legte ihm die Hände auf die Schultern. Zögerlich begann er, zu massieren. 

„Du bist ganz verspannt."

Matthias schloss für einen Moment die Augen, doch dann wurde ihm schlagartig bewusst, was Oskar da tat. Er legte eine Hand auf seine und Oskar hörte auf, seine Schultern zu kneten, dann ließ er seine Hände sinken. Doch Matthias spürte, dass die Stimmung zwischen ihnen anders war als sonst. Oskar versuchte, ihn zu berühren. Er massierte ihn, hielt seine Hand. Das hatte er sonst nicht getan. Matthias versuchte das Gefühl zu finden, was dadurch in ihm ausgelöst wurde, doch es war kein richtiges Gefühl. Es war nicht unangenehm, aber richtig fühlte es sich auch nicht an. 

Mit einem Ruck stieß er sich vom Waschbecken ab und ließ Oskar stehen. Schnell ging er ins Schlafzimmer und stieg in seine Klamotten. Wieder kam Oskar ihm hinterher, hielt aber diesmal mehr Abstand. 

„Warte", bat er und Matthias blickte ihn an. In seinen Augen war Schmerz zu sehen. 

„Ich höre damit auf, wenn du es nicht willst", sagte er, doch es fiel ihm sichtlich schwer. Für einen Moment hielt er in seiner Bewegung inne, doch dann wandte er sich ihm mit einem Seufzen zu. 

„Es fühlt sich nicht unangenehm an. Eigentlich fühle ich gar nichts dabei, aber ich will nicht, dass..."

Er brach ab. Was eigentlich? Wollte er, dass Oskar ihn ignorierte, bis die Gefühle für ihn verschwunden waren? Er hatte keine Antwort.

„Man kann nicht nichts fühlen. Du willst deine Gefühle nur nicht raus lassen."

„Ich habe keine Gefühle", fuhr er ihn an.

„Ach ja? Warum machst du dir dann seit Tagen so einen Kopf?"

Eilig wollte er an ihm vorbei gehen, doch Oskar versperrte ihm mit dem Arm den Weg. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen. 

„Du willst mir sagen, dass du gar keine Gefühle hast, wenn ich dich ansehe? Wenn ich das mache?", fragte Oskar sanft und legte ihm eine Hand an die Wange. Schnell schlug er sie weg. 

„Nein, habe ich nicht", giftete er und stieß seinen Arm weg, damit er an ihm vorbei gehen konnte. Dieses Mal kam Oskar ihm nicht nach und er lief so schnell er konnte zum Nachbarhaus und verzog sich in sein eigenes Bett.

Noch Minuten später spürte er ein Brennen auf der Stelle, auf die Oskar seine Hand gelegt hatte. Natürlich hatte er Gefühle für Oskar. Doch es war anders, als wenn er an Esra dachte. Sie war heiß. Unweigerlich dachte er die meiste Zeit an das Eine, wenn er bei ihr war. Zwar verstanden sie sich auch so gut, aber das war der Unterschied zu Oskar. Er wollte nicht mit ihm schlafen. Er wollte mit ihm Zeit verbringen, ihm von seinen Problemen erzählen und mit ihm herumblödeln, aber mehr auch nicht. 

Wieder einmal war er vollkommen überfordert. Und reden konnte er auch mit niemandem darüber. Wem sollte er schon erzählen, dass er dabei war, sich in seinen besten Freund zu verlieben? Der übrigens verheiratet war. 

Er riss die Augen auf. Was hatte er da gerade gedacht? Er verliebte sich doch nicht in Oskar! Das war Schwachsinn. Er schlug sich gegen die Stirn, in der Hoffnung, das würde endlich für Klarheit schaffen. Doch es funktionierte nicht. Und an Schlaf war auch nicht zu denken.

Er wartete darauf, dass es Zeit war, um aufzustehen. Er warf einen Blick auf sein Handy. Niemand wollte etwas von ihm. Wahrscheinlich war es am besten, wenn er ein paar Tage lang niemanden sah. Er würde sich einfach in sein Bett legen, ein paar Videos anschauen und abwarten. Das hatte er die letzten Jahre auch gemacht und war damit zufrieden gewesen. So verbrachte er den restlichen Tag.

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