Kapitel 38 - TRAUMZEIT

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Zwei Wochen später hatte Ja'a'nira Jeanne zu einer neuerlichen Untersuchung gebeten und nun waren sie und Vincent unterwegs zur Kristallhöhle.
Gerade durchquerten sie eine etwas schwierige Passage, als sich Jeanne plötzlich zusammenkrümmte und leise stöhnte.
„Jeanne!", rief Vincent, einer Panik nahe „Was ist mit dir?"
Die Frau jedoch richtete sich schon wieder auf und lächelte ihn an.
„Nichts, mein Geliebter", erwiderte Jeanne, in beruhigendem Ton „Es hat nur plötzlich ziemlich stark gezogen."
„Was hat gezogen?", fragte er, nun schon etwas ruhiger und trat dicht an seine Frau heran.
„Mein Unterleib.", erklärte sie ihm „Seit das morgendliche Erbrechen weniger geworden ist, hab ich das immer wieder mal. Aber noch nie war es so heftig."
„Kannst du weiter gehen?", wollte Vincent besorgt wissen und seine Frau nickte.
„Ja", bekräftigte sie „es geht schon wieder. Zum Glück dauern die Krämpfe immer nicht sehr lange."

Eine Weile später hatten sie Ja'a'nira erreicht und Jeanne lag auf der Untersuchungsliege im medizinischen Bereich.
Vincent war unruhig und für sein Gefühl dauerte der Scannvorgang heute eine Ewigkeit. Der Strahl strich mehrmals über Jeannes Bauch, ehe er sich abschaltete und die Frau von der Liege glitt und sich wieder ankleidete.
„Was ist mit ihr?", fragte der Hüne angespannt, als Jeanne in ihre Kleider schlüpfte.
„Es geht ihr und eurem Kind den Umständen entsprechend gut.", erwiderte das Schiffswesen für beide hörbar.
„Warum dann diese Krämpfe?", fragte nun Jeanne.
„Keine Krämpfe, Jeanne, Dehnungen.", erklärte das Schiff „Habt ihr meine Broschüre nicht gelesen?"
„Du meinst ...", begann Jeanne unsicher.
„Ja, Jeanne.", bestätigte das Schiff die unausgesprochene Vermutung „Deine Mutterbänder dehnen sich, um Platz zu schaffen, denn euer Kind wird nun bald sehr an Größe zulegen."
„Aber das soll doch erst in der zwölften Woche ..."
„Ja.", bekräftigte Ja'a'nira „Deine Schwangerschaft entspricht etwa dem Stadium einer menschlichen Schwangerschaft der zwölften Woche."

Da es bereits Nachmittag war, beschlossen Jeanne und Vincent die Nacht im Schiff zu verbringen und erst am nächsten Morgen zurück zu kehren.
Um die Gemeinschaft zu benachrichtigen, wanderte Vincent noch einmal hinauf zu Narcissa, um in deren Kammer die Rohrpost zu benutzen, während Jeanne, die der Marsch zu ihrem Schiff doch sehr angestrengt hatte, sich in ihrem Quartier ins Bett verfügte.

Nach fast zwei Stunden kehrte Vincent zurück und fand seine Frau in dem riesigen Bett zusammengerollt schlafend vor. Ihre Kleider lagen auf ihrem Stuhl am Esstisch.
Leise kleidete er sich aus und schlüpfte dann sehr behutsam an ihre Seite.
Obwohl er sich noch nicht müde fühlte, so hatte er doch das Bedürfnis möglichst nahe bei ihr zu sein und er wusste, wie sehr sie es liebte, sich in sein Fell zu kuscheln.
Kaum hatte sich Vincent nieder gelegt, kuschelte sich Jeanne an ihn und als er den Arm um sie legte, seufzte sie leise, wachte jedoch nicht wirklich auf.
Vincent lag noch eine Weile wach, schlummerte jedoch irgendwann auch ein.

Wie lange er geschlafen hatte, wusste er nicht zu sagen, als ihn etwas beziehungsweise das Fehlen von etwas weckte. Er vermisste die federleichte Berührung seiner Frau und ihren Kopf auf seiner Brust.
Suchend blickte er sich um und sah sie schließlich an der kleinen Arbeitsplatte, die aus der Wand schräg hinter dem Bett ragte, sitzen und mit einem Stift hantieren.
Leise stand er auf und trat hinter sie.
Jeanne legte den Stift einen Moment weg und strich sanft über sein Bein, bevor sie sich an die Fortführung ihrer Zeichnung machte.
„Was zeichnest du da?", fragte Vincent leise.
Er spürte das Lächeln, das er nicht sah, als Jeanne antwortete: „Einen Traum."
Sie wies auf den Stapel Zeichnungen, der in einer Mappe auf dem Tisch lag und fügte an: „Es ist eine Art Traumtagebuch. Manche Personen schreiben auf, was sie im Traum sehen und ich zeichne es, Bilder, Szenen, manchmal ganze Geschichten."
Im Moment, so viel konnte er schon sehen, zeichnete sie an einer Szene in ihrer neuen Wohnkammer.
Er sah, wie er, mit dem Rücken zum Betrachter am Schreibtisch saß und etwas schrieb, während Jeanne neben ihm in der Leseecke im Sessel saß und ein Kind im Arm hielt. Ihr Kleid war an der Brust offen und das Kleine trank gerade, offenbar mit viel Appetit und die Frau blickte nach vorn und lächelte.
Wärme breitete sich in seinem Inneren aus, beim Anblick der anheimelnden Szene, doch deutlich war auch zu sehen, dass im Vordergrund noch etwas fehlte, dort hatte Jeanne noch Platz gelassen, für den Betrachter der Szene, vermutete Vincent.
Gerade begann Jeanne die Person im Vordergrund zu zeichnen und Vincent blieb neugierig stehen und sah ihr über die Schulter.
Er erkannte, einen kahlen Schädel mit einer sehr ungewöhnlichen Hautzeichnung, einen kräftigen Nacken und offensichtlich breite Schultern.
Als sie fertig war und sich zu ihm umwandte, wies er auf die Person im Vordergrund und fragte: „Wer ist das?"
„Ich weiß es nicht.", gab Jeanne Auskunft „Ich sehe ihn immer wieder in meinen Träumen. Vielleicht hat er mir etwas bedeutet."
Sie wandte sich wieder um, öffnete die Mappe und schlug ein Bild auf, das Vincent schon einmal gesehen hatte. Es war dieser Fremde, doch diesmal von vorn und der Glanz seiner Augen war dem Hünen nur zu bekannt. Diese Person blickte ihr Gegenüber mit so viel Liebe und Sehnsucht an, wie Vincent sie auch für seine Frau fühlte.
„Ich wüsste zu gern, wer er ist.", bemerkte Jeanne verträumt „Sein Blick in meinen Träumen ähnelt so sehr dem deinen, wenn du mich ansiehst, dass ich zu gern wüsste, wem er gilt."
„Ich auch.", bestätigte Vincent "Doch nun komm wieder ins Bett, es wird bald Morgen und wir haben einen anstrengenden Marsch vor."
„Ja, du hast Recht.", gab Jeanne zu und stand auf „Gehen wir wieder ins Bett."
Dabei trat sie sehr dicht an Vincent heran und strich sanft durch sein dichtes Fell an der Brust und an seinen Seiten.
Behutsam nahm Vincent seine Frau in die Arme und streichelte ihr über den Rücken und die Arme und spürte bereits, was ihre bewussten Berührungen bei ihm auslösten.
„Ich dachte eigentlich, dass wir noch ein wenig schlafen wollten.", bemerkte er dabei mit einem Lächeln in der Stimme.
„ICH bin nicht mehr müde.", raunte Jeanne und blickte zu ihm auf „DU etwa?"
„Nein, nicht wirklich.", gab der Hüne zurück und küsste sie.
Jeanne, deren Lippen nun versiegelt waren, fuhr einfach mit ihrem Tun fort und schon bald nahm Vincent sie auf seine Arme und trug sie zum Bett, wo beide schnell intensiv miteinander beschäftigt waren.

Stunden später machten sich die jungen Eheleute plaudernd und scherzend auf in die Bereiche der Gemeinschaft.
In der Kristallhöhle genannten Grotte, trafen sie auf Narcissa und begrüßten diese fröhlich.
Sie wechselten noch ein paar Worte mit der alten Hawaiianerin und setzten dann ihren Weg fort, um kurz vor Mittag die Bereiche, die vornehmlich von der Gemeinschaft bewohnt wurden, zu erreichen.

Vincent machte sich auf in die große Bibliothek, um sich bei seinem Adoptivvater zurück zu melden, während sich Jeanne erst einmal in ihrer Wohnkammer hinlegte.
Der Marsch hatte sie erschöpft und sie war hungrig, also nahm sie sich aus dem Rucksack, den sie an Bord ihres Schiffes mit Riegelchen aufgefüllt hatten, einige der kleinen Energiespender und ließ sich auf ihr gemeinsames Bett fallen.
An einem der Riegel knabbernd dachte sie über das nach, was heute Morgen in ihrem Schiff geschehen war.
Sie versuchte den Traum, den sie gezeichnet hatte, zu analysieren und merkte dabei nicht, wie sie einnickte.

Nach geraumer Zeit kam Vincent von seinem Vater zurück und fand seine Frau auf dem Bett liegend und schlafend vor. Ein angebissener Riegel lag neben ihr auf der Decke und auf dem Sims neben dem Bett lagen noch zwei der kleinen Teilchen. Offensichtlich war sie beim Essen eingeschlafen, also beschloss Vincent ihnen etwas aus der Küche zu besorgen und erst dann seine Frau zu wecken.
Behutsam legte er seinen langen Mantel über die zierliche Gestalt und verließ dann leise wieder den Raum.
Jeannes Schlaf war jedoch nicht so tief gewesen, wie es den Anschein gehabt hatte, doch der Geruch, den Vincents Mantel verströmte, beruhigte ihr Unterbewusstsein so weit, dass sie sich nun endgültig entspannte und einschlief.

Als Vincent zurück kehrte, war er froh, Thermobehälter für ihr Essen gewählt zu haben, denn es war ihm unmöglich, seine Frau zu wecken.
Vorsichtig befreite er Jeanne von ihren Schuhen und ihrem Oberkleid, bevor er eine Seite des Bettes aufdeckte, sie behutsam auf die Arme nahm und ordentlich ins Bett legte und dann sacht zudeckte.
Leise murmelte Jeanne im Schlaf seinen Namen, doch sie wurde nicht wach und so ließ er sich auf den Rand des Bettes sinken und nahm ihre Hand.
„Ich bin hier, Geliebte.", raunte er.

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(1422 Wörter) 

Ways of Destiny - Wege des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt