Irgendwann schliefen sowohl die Jaridian, als auch Tho'rha und Vincent und Ja'a'nira hob den Schallschutz der Quartiere wieder auf.
Vincent lag erschöpft im Tiefschlaf.
Die Intensität, die seine Frau gerade von ihm gefordert hatte, war noch mehr gewesen, als das, was er ihr während seines Fiebers abverlangt hatte.
Etwas in seinem tiefsten Inneren fragte sich, ob das der Grund war, warum sie nicht nur einen Gefährten hatte. War ein einzelnes Wesen überhaupt in der Lage, diese Intensität immer und immer wieder zu erbringen?
Tho'rha und die Jaridian jedoch begannen zu träumen.
Die Hüterin schwebte hoch über dem Wald der Träumer und suchte jene Lichtung, auf der sie beim letzten Mal Vincent angetroffen hatte und als sie diese entdeckte, erschienen auf selbiger gerade zwei ineinander verschlungene Gestalten.
Langsam ließ sich Cassandra herab sinken und landete schließlich elegant neben den beiden Träumern, die so hier erschienen waren, wie sie eingeschlafen waren.
„Na ja, für das Camp der Träumer seid ihr vielleicht ein bisschen underdressed, auch wenn ihr mir eigentlich ganz gut gefallt.", kicherte sie und beide Jaridian wandten sich ihr zu.
„Dann versetz uns alle drei doch einfach in dein Zelt.", kam es grinsend von Jedakar „Dann musst du dir keine Sorgen machen, dass uns jemand so sieht und sich womöglich erschreckt."
Die Hüterin grinste ebenfalls, schnippte kurz mit den Fingern und schon waren sie in besagter Behausung, sie noch immer stehend, mit halb zusammen gefalteten Schwingen und die beiden Jaridian liegend auf einer bequemen Bettstatt.
„Und wie verfahren wir nun weiter?"
„Das kommt auf dich an, meine Wichtigste und Nächste.", kam nun von Kharak „Willst du dich uns anschließen, oder ist dir eher nach reden?"
„Hmmm.", machte Cassandra, zog ein nachdenkliches Gesicht und legte zwei Finger an ihre Lippen.
„Ich würde gern erfahren, was du in den letzten, für dich drei, Jahren so erlebt hast und wie es für dich war."
„Nun, dazu braucht ihr eure Gefährtin Tho'rha, nicht mich."
Im nächsten Augenblick standen da wo eben nur eine gewesen war, zwei Frauen in hellen Gewändern, nur eine mit und die andere ohne Flügel und dann verschwand die Geflügelte einfach und zurück blieb Tho'rha.
„Wollt ihr euch vorher noch was anziehen, oder wollt ihr so bleiben?"
„Nun, das ist uns eigentlich gleich."
„Dann sorgen wir mal für Gleichberechtigung." Tho'rha öffnete ihren Gürtel und griff sich dann in den Nacken, wo der Verschluss ihres Kleides war und im nächsten Moment sank der Stoff zu Boden und Kharak riss erschrocken die Augen auf. Zum ersten Mal, seit ihrem Aufbruch zur Erde vor einem reichlichen Jahr, sah er seine Kimera-Gefährtin bewusst unbekleidet.
Tho'rha wunderte sich über seine Reaktion und blickte an sich herab.
„Oh! Sorry!", meinte sie und ließ für einen Augenblick ihr energetisches Inneres durch ihre Fassade leuchten.
Dann schaute sie zu Kharak und fragte „Besser so?"
Als er nickte, lächelte sie. „Verzeiht, dass ich euch das jetzt zugemutet hab. Ich hab mich noch nicht wieder daran gewöhnt, dass ich sie nicht mehr tragen muss."
„Woher hast du sie?", fragte Jedakar leise.
„Das ist eine lange Geschichte. Nur so viel, ich verdanke Vincent mehr als dass er mir die letzten Jahre mit seiner Gesellschaft versüßt hat. Er hat viel für mich riskiert."
„Und du für ihn?"
„Ja. Niemand anderes wäre in der Lage gewesen, ihn dort so schnell raus zu holen, als er entführt worden war und selbst ich wäre fast zu spät gekommen."
„Sind es Kampfnarben?", fragte Kharak angespannt, doch Tho'rha schüttelte den Kopf. „Nein, Folternarben. Vincent hat mich dort raus geholt, sonst wäre ich nicht mehr hier."
„Er kann sich wahrhaft mit Fug und Recht dein Gefährte nennen."
„Wenn ich deine Andeutungen richtig verstehe, ist er auch nicht unbeschadet dort raus gekommen.", bemerkte Jedakar.
„Ja. Er wurde, kurz nachdem er mich befreit hatte, entführt und noch viel schlimmer zugerichtet. Trotz seiner immensen Selbstheilungskräfte hätte er wahrscheinlich die Nacht in der ich ihn dort raus geholt habe nicht überlebt. Er hat riesige Flächen auf dem Rücken, wo sein Fell nie wieder wachsen wird."
Plötzlich schüttelte die Hüterin den Kopf und hob die Hände.
„Bitte keine weiteren Fragen, zu diesem Thema. Es ist vorbei und wir haben es beide gemeinsam verarbeitet."
„Gut.", bestätigte Jedakar und Kharak nickte.
„Was hast du sonst noch so erlebt?", fragte er weiter.
„Es war eine schöne Zeit und ich würde es als schicksalhaft bezeichnen, dass wir uns begegnet sind, genauso wie bei dir, Kharak."
„Erzähl."
Mit einem Fingerschnippen verwandelte Tho'rha die Bettstatt in eine bequeme Sitzgruppe mit weichen Sesseln und kleinen Tischchen, auf deren jedem nun ein Kelch mit Nektar standen und ließ sich in einen der Sessel sinken.
Als die Jaridian es ihr gleich getan hatten, begann sie zu erzählen.
„Als die Energieentladung mich traf, dachte ich, dies wäre mein Ende. Doch ich konnte und wollte es nicht akzeptieren und so verwandelte ich mich, in einem letzten Aufbäumen von Widerstand in Jeanne D'Arc."
Sie berichtete, wie sie an Bord ihres Schiffes, das, ihrer letzten klaren Weisung folgend, inzwischen in der Höhle gelandet war, erwacht war und wie sie mit dessen Hilfe nach und nach entdeckt hatte, dass sich ihr Geist zwar, bis auf ihren Namen, an nichts aus ihrer Vergangenheit mehr erinnerte, ihr Körper aber sehr wohl. Sie erzählte von ihren ersten Erkundungen im Tunnellabyrinth und wie sie dort eines Tages Vincent über den Weg gelaufen und zunächst vor ihm geflohen war und wie er sie aus dem tiefen Schacht, in den sie dabei gestürzt war, gerettet hatte.
Ihr Bericht über sein Fieber und dass er sich um Hilfe ausgerechnet an sie und nicht eine der Frauen der Gemeinschaft gewandt hatte, ließ beide Jaridian erstaunt aufhorchen. Tho'rha unterbrach sich, um ihnen Gelegenheit zu Fragen zu geben und sofort kam eine von Jedakar.
„Wie oft bekommt er dieses Fieber, muss sich also binden, um sein Leben zu schützen?"
„Soweit ich bisher weiß, so etwa alle zehn Jahre, seit seinem fünfzehnten Lebensjahr.
Wirklich nur diese eine Lösung gab es jedoch wohl zum ersten Mal, als er mit Catherine zusammen war, vor dreizehn Jahren.
Vorher hatten sie ihn, wie ich es verstanden hab, immer nur fixiert und gekühlt, bis er sich von allein wieder erholte. Sie wussten ja nicht, welche Ursache das Fieber hatte."
„Und du hast es heraus gefunden?"
Tho'rha schüttelte den Kopf.
„Ja'a'nira hat es heraus gefunden, was es ist. Mir fehlte zu diesem Zeitpunkt das dazu nötige Wissen."
„Warum ist er zu dir gekommen?"
„Ich weiß es nicht und er auch nicht.
Vielleicht wusste er instinktiv, dass er nicht einfach irgendeine Frau um diese Hilfe bitten konnte.
Seine Intensität während des Fiebers übersteigt noch die deine, Kharak, um einiges. Eine menschliche Frau hätte das in diesem Stadium wahrscheinlich nicht aushalten können, geschweige denn, dass sie dabei noch Spaß gehabt hätte."
„Wie meinst du das?"
„Er war in der ersten Nacht ziemlich grob und sehr fordernd, so sehr, dass er sich am nächsten Morgen vor dem Ergebnis selbst so sehr erschreckt hat, dass es einiger Überredung bedurfte, ihn zur Rückkehr zu bewegen."
„Wie, zur Rückkehr?"
„Am Morgen danach, standen etliche Mitglieder der Gemeinschaft vor meinem Schiff und warteten, unter ihnen auch der Mann, der ihn aufgezogen hatte und den hier alle Vater nennen. Sie haben mit dem Schlimmsten gerechnet, doch ich konnte ihnen einen positiven Bescheid geben und dann ist Vincent erst einmal mit ihnen gegangen, doch ich habe ihn nicht gehen lassen, ohne ihm das Versprechen abzunehmen, dass er am Abend zurück kehrt, um die ‚Behandlung' fortzusetzen."
„Was ist in jener Nacht noch geschehen?"
„Etwas eigenartiges.
Als Vincent das erste Mal in voller Ekstase in mich eintauchte, flutete mir sein Geist entgegen und ich sah seinen persönlichen Alptraum und gleichzeitig etablierte sich zwischen uns eine tele-empathische Brücke, die bis heute anhält und die mit jeder Schwierigkeit und jedem Hindernis die wir überwanden immer stärker wurde."
„Ihr seid miteinander verbunden?"
„Ja. Und wie er mir erzählte, war es auch mit Catherine der Fall, nur war da die Brücke einseitig, nur von ihm ausgehend. Er wusste zu jeder Zeit, wie sie sich fühlte und konnte sie über dieses emotionale Signal sogar orten, bis sie, nach seinem Fieber, schwanger war."
„Dann ist die Brücke erloschen?"
„Nein, nicht wirklich. So wie ich aus seinen Erzählungen schließen konnte, war sie lediglich blockiert. Wir haben jedoch nie heraus gefunden, wodurch, denn als ich schwanger war, hat sich unsere Verbindung eher noch verstärkt."
„Du hast ein Kind mit ihm?"
„Ja.", lächelte die Hüterin verträumt „Eine kleine Tochter, Talara."
„Wie alt ist sie?", wollte Kharak wissen.
„Fast drei."
„Ich habe in der Gemeinschaft kein so kleines Kind bemerkt, das Ähnlichkeit mit dir hat."
„Aber bestimmt ein weißlockiges Mädchen, das wirkt, als wäre es fast doppelt so alt. Oder?"
„DIESES Mädchen ist deine Tochter?!"
„Ja." Kurz strich Tho'rha durch die Luft und vor ihnen allen erschien ein Bild ihrer kleinen Familie, das im Hintergrund Vincent, den Arm um seine weißlockige Frau gelegt und im Vordergrund einen blonden Jungen an der Schwelle zum Jugendlichen und ein ebenso weißhaariges Mädchen von etwa sechs Jahren zeigte. Die zweite Hand Vincents lag auf der Schulter seines Sohnes, während Jeannes sichtbare Hand auf der des Mädchens lag.
„Wer ist der Junge?"
„Vincents Sohn Jakob, den er mit Catherine hat."
„Und wo ist seine Mutter jetzt?"
„Sie wurde kurz nach seiner Geburt ermordet.
Vincent hat sehr unter ihrem Tod gelitten, war wochenlang praktisch handlungsunfähig vor Trauer, also sprecht ihn bitte nicht darauf an."
„In Ordnung.", nickten beide Jaridian.
„Und wie ging es weiter?", wollte Jedakar nach einem Moment wissen.
„Nach meiner Flucht und dem Sturz brachte mich Vincent zur Gemeinschaft, zu Vater. Er ist Arzt, müsst ihr wissen.
Und als er und ein jüngeres Mitglied der Gemeinschaft, das ebenfalls ein Medizinstudium absolviert hat, mich zusammen geflickt hatten, hat Vincent sich um mich gekümmert und ich bekam Gelegenheit, ihn kennen zu lernen."
Sie erzählte von den Tagen in der Krankenkammer, von ihren Gesprächen und wie ihr der Hüne mit sanfter Stimme vorgelesen hatte und wie, wie durch ein Wunder, all ihre Verletzungen plötzlich geheilt waren, sehr zum Erstaunen der Ärzte.
„Inzwischen ist mir klar, dass ich, schlafend und träumend, einfach nur meine Shaqarava eingesetzt hatte, doch damals war mir meine Genesung genauso rätselhaft, wie Vater und Michael."
„Du hast nicht gewusst, wie du dich geheilt hattest?"
„Ja. Ich hatte keine Ahnung. Mein Gedächtnis war bei meinem Erwachen in Ja'a'niras Innerem eine Tabula rasa, bis auf den Namen des Wesens in das ich mich verwandelt hatte.
Ich habe erst im Laufe der Zeit wieder gelernt, was zum Beispiel auch diese diamantförmigen Male, die von Zeit zu Zeit in verschiedenen Farben leuchteten, zu bedeuten hatten."
Dann berichtete sie, wie Vincent einige Wochen später von jener Motorradgang angegriffen worden war und wie sie ihn gerettet hatte und wie er nach seiner Genesung, sie um ihre Hand gebeten hatte und sie geheiratet hatten.
Sie überging geschickt die Konflikte, die sie damit ausgelöst hatten und welche Folgen das für sie beide gehabt hatte, erzählte statt dessen von den glücklichen Zeiten, die sie zusammen erlebt hatten, ihrer Kammer, die die Gemeinschaft für sie beide ausgehoben hatte, als Hochzeitsgeschenk und wie sie später erweitert wurde, um auch Platz für die beiden Kinder zu schaffen. Sie berichtete, wie sie mit der Technik, die sie hierher mitgebracht hatte, ihrem gemeinsamen Schlafraum eine besondere Note verpasst und wie Vincent darauf reagiert hatte.
Dann berichtete sie von ihrer Zeit in der Gemeinschaft und ihren Pflichten, die sie freiwillig übernommen hatte und von ihrer Schwangerschaft und der Geburt ihrer kleinen Tochter an Bord ihres Schiffes.
Nach gefühlten Stunden, die sie zusammen gesessen und geredet hatten, wurden alle drei müde und Tho'rha beendete ihre Erzählung. Kurz darauf waren sie, einer nach dem anderen, in Tiefschlaf gesunken und aus dem Zelt verschwunden.
(1935 Wörter)
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Ways of Destiny - Wege des Schicksals
FantasyIn einem Tunnelsystem unter einer Großstadt an einer Küste lebt eine kleine Gemeinschaft, die für sich einen anderen Weg des Zusammenlebens geht, als die Gesellschaft an der Oberfläche. Vincent, Beschützer und einer der Führer dieser Gemeinschaft...