Die beiden Ärzte waren seit einiger Zeit mit den Verbänden am Körper der fremden Frau beschäftigt, als Michael plötzlich meinte: „Vater?"
„Ja, mein Junge?"
„Hältst du es wirklich für klug, dass Vincent sie pflegt?"
„Hmm.", nickte der Alte und erklärte „Ich glaube zwar zu wissen, warum du mir jetzt diese Frage stellst, aber ich versichere dir, Vincent ist der Richtige. Er ist alt genug und kennt seine Grenzen und außerdem wird es ihm helfen, mit seinen Schuldgefühlen fertig zu werden."
„Mhm, da magst du Recht haben.", brummte der andere.
Der Alte sah auf und dem jüngeren tief in die Augen. „Du denkst an Catherine, nicht wahr?"
„Ja.", bestätigte Michael.
„Catherine war ein großer Glücksfall, vor allem auch für Vincent.", bekräftigte der Alte noch einmal seine Entscheidung „Und ich denke, dass es allen beiden hilft, wenn sie sich in Ruhe und allein aussprechen können. Ich spüre deutlich, dass Vincent die kurze Erklärung der Fremden nicht reicht."
„Da hast du wohl Recht.", lenkte der jüngere ein und beide arbeiteten schweigend weiter.
Als der stabilisierende Verband um ihren Brustkorb angelegt war, machten sich beide daran, auch die operative Versorgung der Brüche zu bearbeiten und als auch das erledigt war, waren beide erschöpft.
Michael rief Vincent in die Krankenkammer, in der, auf einem weichen Bett, unter einer ebensolchen Decke, die Fremde nun ruhte und wies ihn unter den wachsamen Blicken des alten Mannes in alles ein, bevor er diesen in dessen Kammer geleitete und dafür sorgte, dass er zu Bett ging. Erst danach zog auch Michael sich in seinen Raum zurück, um sich ebenfalls ein wenig auszuruhen.Vincent hatte sich inzwischen einen Stuhl herangeholt und saß nun am Bett der Verletzten. Er beobachtete sie, las ihr aus einem der mitgebrachten Bücher vor und erinnerte sich daran wie er das schon einmal vor langer Zeit getan hatte.
In regelmäßigen Abständen unterbrach er sich, kontrollierte die Vitalwerte der Fremden und trug die Ergebnisse in eine bereitliegende Liste ein.
Plötzlich spürte er, dass sich etwas verändert hatte und blickte von dem Blatt auf und in dunkelblauviolette Augen, deren Iriden von moosgrünen Ringen umrandet waren.
„Hallo.", raunte er leise. „Möchtest du etwas trinken?"
„Ja", nickte die Fremde und beobachtete jede seiner Bewegungen, als er nach dem Krug auf dem Nachttischchen griff und ein wenig Wasser in ein bereitstehendes Glas goss.
„Ich muss dich nun ein wenig anheben, damit du trinken kannst, also hab bitte keine Angst."
Die Frau lächelte leicht. „Keine Angst.", hauchte sie rau.
„Gut", bestätigte der Hüne, trat ans Bett und schob ihr sacht die Hand unter den Kopf und die Schultern, bevor er sie behutsam anhob und ihr dann das Glas an den Mund setzte. „Schön langsam.", mahnte er noch, als die Flüssigkeit ihre Lippen benetzte.
Sie nickte leicht und sog dann sehr vorsichtig etwas aus dem Glas in ihren Mund.
Nach ein paar Schlucken lächelte sie und drehte den Kopf ein wenig zur Seite. „Danke.", raunte sie, jetzt mit nicht mehr rauer Stimme.Behutsam ließ Vincent sie zurück auf das Bett gleiten und nun wandte sie ihm wieder ihr Gesicht zu.
„Du, Vincent?", fragte sie leise und als er nickte, stellte sie sich nun auch vor „Jeanne."
„Jeanne?", fragte der Hüne nach „Wie Jeanne D'Arc?"
Die Frau grinste nun fast. „Nicht wie", erklärte sie „Jeanne D'Arc."
„Es freut mich, dich kennen lernen zu dürfen.", meinte Vincent, als er sich von seiner anfänglichen Überraschung erholt hatte. „Darf ich Jeanne zu dir sagen?"
Als sie nickte, fügte er erklärend an: „Hier sprechen wir uns alle praktisch nur mit dem Vornamen an."
„Oh!", erwiderte sie nur und schloss einen Moment die Augen und fragte dann: "Dein Familienname?"
„Wells.", erwiderte er.
„Vincent Wells.", raunte Jeanne und blinzelte kurz, bevor ein herzhaftes Gähnen ihre Kiefer auseinander zwang.
„Bist du noch müde?", fragte er nach „Wir können später noch reden, wenn du erst einmal noch schlafen möchtest."
„Ja, danke.", raunte sie und schloss wieder die Augen.
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Ways of Destiny - Wege des Schicksals
FantasyIn einem Tunnelsystem unter einer Großstadt an einer Küste lebt eine kleine Gemeinschaft, die für sich einen anderen Weg des Zusammenlebens geht, als die Gesellschaft an der Oberfläche. Vincent, Beschützer und einer der Führer dieser Gemeinschaft...