Kapitel 45 - Familienleben

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Die Wochen vergingen und Talara wuchs in fast sagenhaftem Tempo.
Schon bald begann sie zu zahnen und Jeanne bekam Schwierigkeiten mit dem Stillen, ganz abgesehen davon, dass sowohl sie, als auch Vincent keine Nacht mehr durchschlafen konnten, was sich auf ihrer beider Leistungsfähigkeit auswirkte.

Abgesehen davon spürte Jeanne, dass Vincent immer unruhiger wurde.
Seit ihrer Hochzeit hatte er die Tunnel nicht mehr verlassen.
Er hatte ihr schon mehrfach im Wortsinne die Zähne gezeigt und reagierte zunehmend schreckhaft und aggressiv auf plötzlich Auftretendes Unvorhergesehenes und so entschloss sie sich, ihn zur Rede zu stellen.
„Dich drängt es, die Informationen, die du von Benett und Maxwell bekommen hast, anzuwenden und das verstehe ich.", gab sie ihm zu verstehen.
Vincent wirkte plötzlich wie ein Häufchen Elend, als er vor ihr am Tisch saß und auf dessen Platte starrte.
„Es ... es ist nicht das.", erklärte er schließlich stockend.
„Was ist es dann, Vincent?", drängte Jeanne „Du veränderst dich und das fällt inzwischen nicht nur mir auf. Du wirkst wie ein Tier, das man eingesperrt hat."
„Es ... es ist" Verwirrt schüttelte der Hüne den Kopf. „Ich ... ich war noch nie so lange ununterbrochen hier unten. Ich brauche den Himmel über mir und die langen Streifzüge."
„Warum hast du nicht schon eher etwas gesagt?", fragte Jeanne nun erschrocken.
„Ich glaubte", erwiderte Vincent leise „dass ich mich schon daran gewöhnen könnte. Mein Leben hat sich doch jetzt grundlegend geändert."
„Aber das heißt doch nicht, dass du dich selbst hier einsperren musst!" Jeanne war entsetzt über das, was Vincent um ihrer Familie Willen zu tun bereit gewesen war.
Sie beugte sich über den Tisch und legte ihm sacht die Hand auf seine Pranke.
„Vincent! Ich liebe dich! Und ich will, dass du glücklich bist.", erklärte sie eindringlich „Und wenn zu deinem Wohlbefinden deine Streifzüge dazu gehören, dann möchte ich, dass du nicht auf sie verzichtest, nur weil du denkst, dass ich mich dann einsam fühlen könnte oder so was."
„Macht es dir wirklich nichts aus?", fragte Vincent nach.
Jeanne grinste schief und erwiderte: „Ich würde lügen, wenn ich jetzt mit einem eindeutigen ‚JA' antworten würde, aber es ist nicht, dass ich befürchte, du könntest unserem Schwur untreu werden."
„Was ist es dann?", wollte Vincent ebenso eindringlich wissen.
„Es ist nur ..." Jetzt war es an Jeanne auf die Tischplatte zu starren, doch nur um ihre Worte zu wählen. „Ich ... ich habe jedes Mal, wenn du dort hinaus gehst, Angst, Angst um dich, darum, dass dir etwas zustößt und du vielleicht nicht mehr zurück kommst.
Doch wenn du hier unten krank wirst und vielleicht stirbst, nur weil ich dir etwas vorenthalte, was du so dringend zum Leben brauchst, dann wäre das noch viel schlimmer für mich. Das könnte ich mir niemals vergeben."
Eine Weile schaute Vincent seine zierliche Frau nur an, doch dann legte er seine andere Hand auf die Ihre, die bereits auf seiner einen Hand lag und sagte sehr ruhig: „Ich verstehe dich."
„Dann wirst du heute Abend wieder hinaus gehen?", fragte sie nach.
Vincent nickte nur und drückte ihre kleine Hand.
„Ich komme wieder. Das verspreche ich dir."

Nach der Abendmahlzeit machte Vincent sich auf den Weg in die Stadt, während Jeanne zuerst Jakob zu Bett brachte und dann allein in ihre gemeinsame Wohnkammer zurück kehrte.
Sie legte auch Talara schlafen und ließ sich dann in der Leseecke nieder und griff nach ihrem Nähzeug und der Decke, die sie gerade für ihre kleine Tochter fertigte.
Jeanne griff in das Körbchen, mit den zugeschnittenen Teilchen, um das nächste Stück an die Decke anzunähen, doch plötzlich wusste sie nicht mehr, wohin das Teil gehörte und ihre Hände sanken in ihren Schoß. Sie spürte, dass sie sich nicht konzentrieren konnte, dass ihr etwas fehlte.
Suchend blickte sie sich um und sah die Truhe in der Ecke stehen, in der sie ihre Schmutzwäsche aufbewahrten, bis sie diese wusch. Wie in Trance trat sie an das Möbel heran und öffnete es.
Im Moment lag dort zuoberst Vincents dicke Winterjacke, die er jetzt, da es wärmer wurde, nicht mehr brauchte und die er deshalb in die Wäsche gegeben hatte.
Wie im Rausch zog sie das Kleidungsstück heraus und tauchte ihr Gesicht tief in den Stoff, dem noch immer Vincents Geruch anhaftete. Dann legte sie sich die Jacke um die Schultern und ließ sich erneut in der Leseecke nieder und jetzt klappte es mit dem Nähen.
Stück um Stück wurde die Decke größer und Jeanne spürte gar nicht, wie die Zeit verging.

Ways of Destiny - Wege des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt