Chenle saß schweigend am Sofa der verrückten Oma und beobachtete Jeno mit schief gelegtem Kopf, der dabei war, die getigerte Katze zu streicheln, die sich schnurrend gegen ihn schmuste und seine Berührungen zu genießen schien.
Jeno entfuhr ein Niesen und die Katze zuckte kurz zusammen, entfernte sich aber trotzdem nicht von ihm und spazierte vorsichtig auf Jenos Schoß und rollte sich dort zusammen.
»Bist du allergisch auf Katzen?«, fragte Chenle.
»Ja-« Ein Niesen. »Aber ich mag sie dennoch gern.«
»Ich merke es.«
Sie schwiegen.
Chenle wusste nicht, wo die anderen vier waren und wo die verrückte Oma war, doch die Stille, die sich auf sie legte, war entspannend und gemütlich lehnte Chenle sich zurück in die weiche Sofalehne, während er dem Schnurren der Katze lauschte.
»Was hat dich dazu getrieben, mit uns zu kommen?«, fragte Jeno plötzlich und riss Chenle aus der gedankenfreien Stille.
Chenle zuckte mit den Schultern, nicht sicher, ob Jeno dies sah. »Ich weiß nicht. Vermutlich habe ich nur auf die Möglichkeit gewartet, aus diesem Dorf zu entkommen.« Er stockte.
Er sah hinauf zu der hölzernen Decke und drehte dann den Kopf zu Jeno, der damit beschäftigt war, die Katze weiter hinter den Ohren zu kraulen, doch Chenle war sich sicher, dass ihm nicht die kleinste Bewegung Chenles entgehen würde.
»Wie ist es zu diesem Gefühl gekommen?«, fragte Jeno weiter und Chenle konnte das ehrliche Interesse heraushören.
Er seufzte, nicht wissend, wo er anfangen sollte und welchen Teil der Geschichte Jenle hören wollte. Also fing er am Anfang an. »Als ich ein Kind war, habe ich mich nie so wertgeschätzt gefühlt, wie ich andere wertgeschätzt habe.« Sein Blick schweifte ab ins Leere.
»Ich habe immer mein Bestes gegeben, aber anscheinend war das nie genug. Die Menschen, mit denen ich Kontakt hatte, waren begabt in etwas. Sport, Kunst, Mathematik, Sprachen, Philosophie... all die Dinge, die in meinem Umfeld »angesehen« waren. Ich war in Ordnung in all diesen Dingen, aber das war auch schon alles - mir wurde gesagt, dass es gut wäre, wenn ich von allem ein bisschen könne, aber für mich persönlich hat dies nichts besser gemacht, da mir nichts das Gefühl gab, in etwas gut zu sein. Ich wollte jede Person eigenhändig erhängen, die unglaublich in einem oder mehr dieser Dinge war, aber das Gegenteil behauptet hat. Solche undankbaren Arschlöcher.«
Chenle legte eine Pause ein, in Gedanken an die fernen Erinnerungen und Jeno gab nichts von sich, was er sehr schätzte.
»Als ich dreizehn war, konnte ich meine Eltern überreden, mir einen Lehrer für Kampfkunst zu bezahlen. Und was glaubst du, was passiert ist?« Chenle entfuhr ein Kichern, was den Schmerz der letzten Jahre zu vertreiben versuchte. »Ich war in Ordnung. Kein Naturtalent, grottenschlecht auch nicht. Normal.« Das Wort schmerzte in seiner Brust, ein Gefühl, was er seit langer Zeit nicht mehr verspürt hatte und ungewöhnlich plötzlich kam.
»Nach zwei Jahren der Ausbildung hat mein Lehrer mich eine Waffe wählen lassen, mit der ich mich das letzte Lehrjahr beschäftigen und mich darauf fokussieren könnte. Ich habe kleine Kopfäxte als genommen, damit ich zwei nehmen könnte und es noch verwirrender ist, da man eigentlich nur mit einem dieser Dinger kämpft. Die Waffe selbst, weil nicht viele wissen, wie damit umzugehen ist und niemand weiß, wie man sich gegen sie zu wehren hat.«
Unsicher sah Chenle zu Jeno, der ihn noch immer nicht angesehen hatte und aussah, als würde er ihm nicht einmal zuhören.
»Als ich sechzehn war und mit der Ausbildung fertig war, bin ich von zu Hause ausgezogen. Bei meinen Eltern wollte ich nicht leben, wenn ihre Teekränzchen mit Freunden wichtiger waren, als mich, ihren Sohn, bei den Dingen, die ich tun wollte und ihre Unterstützung gebraucht hätte zu bestärken und hinter mir zu stehen. Ich habe schnell einige Leute gefunden, die mir Aufträge von Morden erteilten. Es war seltsam, solche Aufträge zu bekommen, weißt du? Ein Leben zu beenden. Es klingt absurd.«
Seine Augen huschten durch den Raum, während er den Atem anhielt. »Aber ich tat es. Ich tötete jede einzelne Person, für die mir Geld gegeben wurde, sie zu töten, mochte das Dorf oder die Stadt noch so weit von meinem Heimatdorf entfernt sein. In diesen zwei Jahren habe ich aufgehört, über meine Gefühle nachzudenken, habe den kleinen Nebenjob in dem Gasthaus, wo ihr Unterkunft gesucht habt, bekommen. Dass ich euch helfen konnte und ihr mir die Möglichkeit gegeben habt, vollkommen wegzukommen, von dem, was mich umgeben hat, macht mich tatsächlich...« Er suchte nach dem Wort. »...glücklich.«
Eine Woge der Erleichterung durchflutete ihn und ließ ihn tief einatmen und den langen Atem aus seiner Brust entfliehen, als werfe er gerade eine schwere Last von seinen Schultern.
Als er wieder zu Jeno sah, konnte er ein Lächeln erkennen.
»Was lachst du?«, fragte Chenle.
»Ich habe danach gefragt, warum du mit uns gekommen bist, nicht nach deiner Lebensgeschichte.« Jenos Stimme hatte sich ein wenig gehoben wegen des versteckten Sarkasmus.
Noch bevor Chenle über eine Antwort nachdenken konnte, hatte Jeno das Wort wieder ergriffen und drehte den Kopf das erste Mal, seit sie miteinander sprachen, in seine Richtung.
»Jede Person hat ein Monster irgendwo in sich versteckt«, sagte Jeno, seine Stimme kehrte wieder in den emotionslosen und leicht gleichgültigen Ton zurück. »Und mit den richtigen Knopfdrücken kann jedes enthüllt werden. Bei jedem ist es anders, die Frage ist nur, bis zu welchem Punkt wir es zurückhalten können. Niemand verurteilt dich für etwas.«
Ein Lächeln erschien auf Jenos Gesicht.
»Danke«, sagte Chenle nur.
Jeno nieste erneut und sandte ein Lächeln auf Chenles Lippen. Er war froh, mit ihnen gekommen zu sein und neue Kontakte zu knüpfen, die ihn weder missachteten noch respektlos behandelten.
»Wann hattest du vor, dich wieder auf den Weg zu machen? Nicht, dass es uns hier zu gemütlich wird und wir hier Wurzeln schlagen.«
»Wie gesagt: wir sollten warten, bis es Jaemin besser geht, dann reisen wir so schnell es möglich ist weiter.«
Die Sonne stand schon hoch am Himmel und Renjun und Jaemin kamen ins Wohnzimmer, ihre Haare verschwitzt und die ersten Knöpfe Jaemins Hemdes waren geöffnet und man konnte etwas mehr sehen, als man normalerweise sehen konnte, wenn jemand ein Hemd wie ein normaler Mensch trug und sogar noch mehr, wie wenn Jaemin sein Hemd trug.
Chenle sah neugierig zu Jeno, wie er reagierte und überrascht hob Chenle die Augenbrauen, als er sah, dass Jenos Aufmerksamkeit vollkommen von der Umgebung gelöst zu sein schien und sein Blick nur auf den zweien lag, die gerade eingetreten waren und gleichzeitig so schien, als knöpfe er die restlichen Knöpfe des Hemdes, welches Jaemin trug, auf.
Jaemin grüßte sie mit einem leichten Winken und einem breiten Lächeln, Renjun sah sie nur kurz an, bevor er Jaemin in die Küche scheuchte, um dort vermutlich Wasser zu trinken.
»Sieht so aus, als ginge es Jaemin schon um einiges besser, wenn die zwei schon trainieren«, merkte Chenle an. Jeno antwortete nicht, sondern starrte nur auf die Stelle, an der Renjun und Jaemin um die Ecke verschwunden waren. Ein Lächeln schlich sich auf Chenles Lippen.
»Reagierst du so, weil du Jaemin, oder weil du Renjun magst?«
Jeno zog die Augenbrauen zusammen. »Ja.«
Chenle entfuhr ein amüsierten Lachen und er boxte Jeno spielerisch und ahnend leicht in die Schulter, was Jeno keineswegs zu stören schien.
»Das wird schon«, versprach er, während Jeno sich wieder an die Katze wandte und noch einmal niesen musste.
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sᴛᴀʀᴛ ᴀ ғɪʀᴇ | norenmin
FanfictionEin geheimer Auftrag. Geld. Ein alter Bekannter und Verbindungen. Jeno wurde auf Todesstrafe aus der Stadt verbannt, doch für ein Geschäft kehrt er zurück, wo er Verbündete trifft. Der Auftrag: einen entführten Geliebten zurückzuholen. Eine Aufgabe...