Ivy
„Endlich Pause! Mein Tag war bisher der Horror." Laut aufseufzend ließ sich Miles mit seinem Tablett an unseren Tisch fallen.
„Willkommen im Club", murmelte Kendra, die missmutig in einen Apfel biss.
„Oh, nein. Bist du etwa schon wieder auf Diät?", fragte Miles und sein Blick sah so wehleidig aus, dass ich fast laut gelacht hätte.
Kendra verdrehte nur die Augen und hatte wohl kein Interesse daran, zu diesem Thema ein Gespräch anzufangen. Dabei war allen klar, dass sie wohl tatsächlich mal wieder weniger aß. Dabei hatte sie überhaupt kein Gewichtsproblem. Sie war einfach nur ein sehr großer Mensch. Ihre Statur fiel vor allem deshalb auf, weil sie auch einen Großteil der Jungen in unserer Schule überragte. Sie war kräftig, aber nicht dick. Nur bildete sie sich leider ein, dass sie mit weniger Fleisch auf den Rippen nicht so auffallen würde.
„Was war denn so schlimm heute?", fragte Lilly, die im Gegensatz zu Kendra ihr Essen regelrecht in sich hineinschlang. Kein Wunder also, dass Kendra, die ihr gegenübersaß, verbittert auf Lillys Teller starrte. Das störte diese jedoch nicht im Geringsten. Vielleicht nahm sie es noch nicht mal wahr. Außerdem aß sie immer so viel. Es war schon verrückt, was in eine so kleine und zierliche Person wie Lilly hineinpasste. Und noch unfairer war es, dass sie zu den Personen gehörte, die dadurch nicht ein Gramm zunahmen.
Da Kendra keine Anstalten machte, auf Lillys Frage, warum der Tag so schlimm war, zu antworten, übernahm Miles das mit Vergnügen. Ich kannte keinen, der sich so gerne in Selbstmitleid suhlte und ständig am Herumnörgeln war wie er.
„Also die Sportstunde war mal wieder der reinste Spießrutenlauf, weil Mr. Duncan mich komplett ignoriert hat", sagte Miles und strich sich dabei die Haare nach hinten, die nicht nur durch den Sport so verwuschelt aussahen. Das war sein ganz normaler Style.
„Also ich würde mich freuen, wenn mich manche Lehrer ignorieren würden", erwiderte Kendra.
„Tja, aber bei Mr. Duncan weiß man, dass es daran liegt, dass er schwulenfeindlich ist. Jeden anderen kritisiert oder lobt er, aber mich guckt er quasi nicht mal mit dem Arsch an." Während er sprach, fuchtelte Miles wild mit der Gabel in der Luft herum, was eigentlich echt witzig aussah.
„Also mir ist nie aufgefallen, dass er irgendwen unfair behandeln würde", sagte Lilly, aber das brachte ihr nur einen vernichtenden Blick von Miles ein.
„Siehst du? Genau das verdeutlicht, dass er ganz eindeutig etwas gegen mich hat. Alle anderen behandelt er normal."
Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass er sich bei einem solchen Verdacht an jemanden wenden sollte – an die Schulleitung zum Beispiel. Aber es hätte selbst in meinen Ohren lächerlich geklungen. Auch wenn Miles tatsächlich Recht hatte, hatte er überhaupt keine Beweise für seine Anschuldigungen. Dass ein Lehrer einen komplett ignorierte, war ja noch lange kein Grund, da irgendetwas hineinzuinterpretieren. Allerdings tat mir Miles ein wenig leid. Er liebte Sport und es war normalerweise ein Fach, in dem er sofort auf richtig gute Noten hoffen durfte, aber es schien ihm ja wirklich überhaupt keine Freude mehr zu machen, daran teilzunehmen. Miese Lehrer konnten einem echt alles versauen.
Auf einmal lenkte uns wildes Geschrei ab. Wobei das Wort Geschrei wohl nicht die richtige Beschreibung war. Es war eher ein allgemeines Aufjauchzen und quietschende Mädchenstimmen, die zuerst in Getuschel abebbten, bevor sich eine seltsame Stille über die Mensa legte. Automatisch wurde es überall ruhig. Gespräche wurden eingestellt. Alle Köpfe wandten sich in die Richtung, aus der der kurze Tumult gekommen war. An unserem Tisch war es nicht anders.
„Das ist wie ein Autounfall, bei dem man nicht wegschauen kann", flüsterte Kendra.
Der Vergleich hinkte gewaltig. Denn die Leute, die in dem Moment jeder anstarrte, gingen definitiv glücklicher aus der ganzen Geschichte heraus als irgendwelche Unfallopfer. Aber trotzdem musste ich Kendra auch ein wenig Recht geben. Die Neugier und Sensationslust aller anderen Menschen waren tatsächlich nicht zu übersehen.
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Torn - Die Liebe und alles dazwischen
RomanceAlles beginnt mit einer Party, auf der das Motto gilt, den größten Versager mitzubringen. Aiden gehört zu den beliebtesten Schülern seiner High School und beteiligt sich an dem Spiel, bis er feststellt, dass auch seine frühere Kindheitsliebe bloßges...