Teil 70 - Aiden

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Aiden

Diese Party war anders als alle, die ich bisher bei Dean erlebt hatte. Es war immer ums Saufen, ums wilde Feiern gegangen. Es war egal gewesen, was für dumme Aktionen man gestartet hatte, Hauptsache, die Party wurde am Ende legendär und brachte Anekdoten hervor, die man sich in der nächsten Woche erzählen konnte. Diese Storys waren wichtig gewesen, um in der Schule anzugeben. Andere sollten eifersüchtig werden. Es war immer das Ziel gewesen, dass jeder sich verdammt noch mal wünschte, Teil einer solchen Party sein zu können. Exklusivität war uns wichtig gewesen. Vor allem Dean. Er hatte zwar immer viele eingeladen, aber trotzdem nur die Coolsten und Reichsten. Andere sollten zu Hause schmoren.

Jetzt war alles völlig anders. Denn auf einmal hatte wirklich jeder Zugang zu Deans Haus. Jeder hätte kommen können. Das bedeutete nicht, dass auch wirklich alle da waren, die in den oberen Jahrgängen waren. Es wunderte mich nicht. Erstens trauten viele Dean und den anderen Sportlern womöglich immer noch nicht über den Weg. Konnte man es ihnen verdenken, nach alldem, was so passiert war? Bei meiner Party waren viele verarscht worden. Vielleicht befürchteten sie, dass so etwas erneut geschehen könnte.

Der zweite Grund dafür, dass nicht so viele da waren, war wohl schlichtweg die Tatsache, dass der Amoklauf noch nicht so lange her war. Der Schock saß bei vielen noch tief. Es war für einige sicher absurd, nun eine Party zu feiern. Die letzte, auf der viele gewesen waren, war der Winterball gewesen.

Auch Ivy und ich hatten länger darüber nachgedacht, aber uns letztlich dafür entschieden. Und für ein wenig Normalität. Wobei hier wirklich gar nichts normal war.

Es war seltsam, mit Ivy hier zu sein, die gerade aus der Küche zurückkam und einen eher verstörten Gesichtsausdruck hatte. Besorgt ging ich auf sie zu.

„Ist alles in Ordnung?"

Sie zuckte mit den Schultern. Ihre Miene wechselte von verstört zu nachdenklich. „Ich hatte gerade ein seltsames Gespräch mit Sophie", sagte sie.

„Was wollte sie denn?"

„Sie hat sich unter anderem bei mir entschuldigt. Dafür, dass sie mich damals zu deiner Party gelockt hat."

„Interessant. Offenbar machen gerade viele eine Art Sinneswandel durch."

„Angeblich selbst Dean. Zumindest sagt Sophie das."

„Zu hoffen wäre es ja." Mir entfuhr ein langer Seufzer.

„Glaubst du daran?", fragte Ivy mit einem Stirnrunzeln. „Glaubst du, dass Menschen sich so schnell wandeln können?"

„Eigentlich nicht. Aber wir haben alle etwas Schreckliches durchgemacht und Extremsituationen können Menschen verändern. Ich glaube, das ist sogar bewiesen. Speziell Dean hatte viel Glück. Wer weiß, was so eine Nahtoderfahrung mit einem macht. Ich hoffe, dass er sich geändert hat."

„Warum mussten erst Leute sterben, damit alle ein Einsehen haben?" Ivy klang extrem traurig.

Ich zog sie in meine Arme. „Ich weiß. Das ist alles nicht fair", flüsterte ich an ihrem Ohr.

Wir standen etwas abseits von den anderen und hatten uns in einen Flur zurückgezogen. Ab und zu lief jemand an uns vorbei, laute Musik war aus dem Wohnzimmer zu hören. Obwohl viele Menschen in der Nähe von uns herumwuselten, fühlte es sich gerade doch so an, als hätten wir einen Moment nur für uns.

„Dieses Schuljahr war so verstörend", murmelte Ivy an meiner Brust.

Ich versuchte, ihr beruhigend über den Rücken zu streicheln. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, denn natürlich hatte sie recht. Die letzten Monate waren für viele richtig schwer gewesen. Und die ganzen kleinen Katastrophen waren in einer riesigen gemündet. Und niemand von uns hatte das kommen sehen.

Torn - Die Liebe und alles dazwischenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt