Teil 26 - Aiden

488 20 3
                                    

Aiden

Ich hatte selten so wenig Lust gehabt, in die Schule zu gehen wie heute Morgen. Wobei ich das Gefühl hatte, diesen Gedanken in letzter Zeit öfter zu haben. Am Vortag war das passiert, was ich schon erwartet hatte. Coach Simmons hatte uns gesagt, dass Finn nicht mehr Teil der Mannschaft sein würde. Als er erklärte, warum das so war, war die Entrüstung natürlich groß. Und leider ging danach die Diskussion los, wie er dafür bezahlen sollte.

Als ich heute die Schule betrat, hatte ich nach Finn Ausschau gehalten, aber ohne Erfolg. Ich hatte am Tag zuvor versucht, ihn anzurufen und ihm eine Nachricht geschrieben, aber er hatte nicht reagiert. Ich hatte zwar nicht gewusst, was ich wollte oder was ich von Finn erwartete, aber jetzt tat er mir leid. Er hatte einen heftigen Fehler gemacht, aber jetzt schlug ihm sicherlich extreme Wut entgegen. Ich war ja auch wütend auf ihn, aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr fragte ich mich, ob wir wirklich das Recht hatten, sauer auf ihn zu sein.

Bereits in der ersten Stunde hatten mich einige angesprochen und gefragt, ob es stimmte, dass Finn an der Juckpulver-Attacke schuld war. Natürlich hatte es nicht lange gebraucht, bis es sich herumgesprochen hatte. Wahrscheinlich war die Nachricht gestern bereits direkt nach dem Training verbreitet worden. Was sich allerdings noch nicht herumgesprochen hatte, war, dass ich tatsächlich der Erste aus unserem Team gewesen war, der es gewusst hatte. Der Coach hatte mich kurz rausgenommen und gefragt, wie ich an diese Information gekommen war, aber ich hatte mich bedeckt gehalten. Auf keinen Fall hatte ich noch irgendwen da mitreinziehen wollen.

Als ich in den Raum unseres Mathelehrers kam, ging mein Blick sofort in die hintere Ecke, in der Ivy bereits an ihrem Tisch saß. Sie hatte sich mal wieder in ihren Büchern vergraben, klopfte mit einem Bleistift immer wieder gegen ihre Stirn, was irgendwie niedlich aussah. Ich fragte mich, ob ihr diese Bewegung überhaupt bewusst war.

Ich schlängelte mich an den verschiedenen Tischen vorbei und ließ mich dann auf meinen Stuhl fallen. Als ich das tat, blickte Ivy kurz auf. Bildete ich mir das ein, oder sah sie ziemlich traurig aus?

„Was ist los?", flüsterte ich.

Sie verdrehte nur die Augen und senkte wieder ihren Blick. Ich hasste es, wenn sie mir so auswich. Bei ihr wusste ich nie so wirklich, woran ich war. In einem Moment gab sie mir das Gefühl, dass sie mich mehr wollte als alles andere. Und im nächsten schien sie sich wieder von mir zurückziehen zu wollen. Das machte mich echt wahnsinnig.

Die komplette Stunde saß ich wie auf heißen Kohlen. Immer wieder sah ich zu meiner Sitznachbarin herüber, die mich wiederum völlig ignorierte. Als es endlich zur Pause klingelte, stand ich sofort auf und stellte mich direkt neben sie, als sie sich von ihrem Platz erhob. Etwas genervt starrte sie mich an.

„Rede mit mir", bat ich sie leise.

„Nicht hier", gab sie zurück.

„In der Mittagspause unter der Tribüne?", schlug ich vor. Keine Ahnung, warum ich ausgerechnet diesen Ort nannte. Es war hinlänglich bekannt, dass sich dort vor allem Pärchen zum Rumknutschen trafen. Aber es war die erste stille Ecke, die mir einfiel. Und überraschenderweise stimmte Ivy nickend zu.

Die nächsten Unterrichtsstunden ließ ich einfach an mir vorbeiziehen. Mir war alles egal. Ich konnte mich kaum auf den Unterricht konzentrieren, weil meine Gedanken immer wieder zu Ivy abdrifteten. In der Pause stürzte ich regenrecht nach draußen und machte mich auf dem Weg zum Footballfeld, um ja keine Zeit zu verlieren. Letztlich war ich aber vor ihr da und wartete an einen Pfeiler gelehnt darauf, dass sie erschien. Nach einer Weile sah ich sie endlich auf mich zukommen. Ihre Hände umklammerten die Gurte ihres Rucksacks, was ihr eine unsichere Haltung einbrachte. Je näher sie kam, desto langsamer wurde sie.

Torn - Die Liebe und alles dazwischenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt