Teil 7 - Aiden

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Aiden

Ich versuchte mich so unauffällig wie möglich durchs Haus zu bewegen, was angesichts der vielen Leute eigentlich nicht besonders einfach hätte sein sollen. Aber die Mehrheit schien mich gar nicht zu beachten. Also konnte ich tatsächlich relativ unbemerkt von einem Raum zum anderen laufen. Zuerst hatte ich alle Schlüssel, die ich brauchte, aus dem Versteck geholt. Danach war ich kurz in das Zimmer meiner Schwester geschlüpft. Sie wäre bestimmt richtig sauer gewesen, wenn sie wüsste, dass ich es ohne ihre Erlaubnis betreten hatte, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Ich brauchte etwas daraus. Dann ging ich wieder ins Erdgeschoss. Ich lief zu der Stelle, an der ich Ivy kurz zurücklassen musste und atmete erleichtert auf, als ich sie dort immer noch an der Wand lehnen sah.

Sie sah mich einfach nur an, fragte nicht, wo ich war oder wieso ich sie hierhergebracht hatte. Stattdessen schaute sie einfach nur zu, wie ich den Schlüssel ins Schloss steckte und die Tür zu dem Raum öffnete, in den ich an diesem Abend eigentlich niemanden hatte führen wollen. Aber für sie würde ich eine Ausnahme machen.

„Komm rein", sagte ich und sie folgte mir tatsächlich. Ich schloss die Tür hinter uns, allerdings nicht ohne mich zu vergewissern, dass uns niemand dabei beobachtete, wie wir zusammen in einem Zimmer verschwanden. Die Gerüchte, die daraufhin kursieren würden, konnte ich mir nur allzu gut vorstellen.

„Wo sind wir hier?", fragte Ivy und sah sich neugierig in dem Raum um.

„Das war der Rückzugsort meiner Mom", antwortete ich und Ivy nickte nur kurz. Es gab keine Nachfragen, auch keine Mitleidsbekundungen, wofür ich ihr dankbar war.

Unschlüssig blieb sie in der Mitte des Zimmers stehen, das für meine Mom Arbeitszimmer und Ruhestätte zugleich gewesen war. Ich war relativ selten hier drin. Meine Schwester war öfter hier. Es war wie eine Bibliothek. An den Wänden standen Regale mit Reihen von Büchern, für die ich mich ehrlicherweise nie wirklich interessiert hatte. Aber es gab auch einen Fernseher hier, sodass auch ich manchmal hier war, um einfach nur zu entspannen. Freunde hatte ich hier aber noch nie hineingelassen. Als ich Ivy jedoch eben gesehen hatte, fand ich, dass dies der perfekte Raum sein könnte, sie zu verstecken und in Sicherheit zu bringen. Das Problem war nur, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich ihr erklären sollte, dass es mir lieber wäre, sie würde erstmal keinen Schritt aus dieser Tür setzen.

„Hier", sagte ich und warf ihr ein paar Sachen herüber. „Ich dachte, du willst dich vielleicht umziehen."

Überrascht fing Ivy die Kleidungsstücke auf, die ich aus dem Schrank von Clarice geholt hatte. Eine kurze Sporthose und ein blaues schlichtes T-Shirt.

„Sind die von deiner Schwester?", fragte sie und ich nickte.

Etwas unschlüssig schaute sie erst die Kleidung, dann mich an, bis ich kapierte, worüber sie wohl nachdachte.

„Ich schau schon nicht. Keine Sorge", sagte ich und drehte ihr demonstrativ den Rücken zu. Ich hörte nur leise raschelnde Geräusche, während sie wohl ihr Kleid abstreifte und die Sachen anzog, die ich ihr gegeben hatte.

„Wie alt ist deine Schwester eigentlich? Ich habe schon wieder vergessen, wie weit ihr auseinander wart."

„Sie ist dreizehn."

„Ist lange her, dass ich sie mal gesehen habe. Aber ist dir eigentlich klar, dass eine Dreizehnjährige vermutlich einen ganz anderen Körperbau hat als eine Achtzehnjährige?"

Automatisch drehte ich mich um, weil ich annahm, dass sie bereits fertig mit Umziehen war. Als ich mich ihr aber zuwandte, sah ich noch, wie sie sich das Shirt überzog. Ich sah ihren nackten Rücken, der nur von einem schwarzen BH-Streifen verdeckt wurde. Aber dann zog sie auch schon das Stück Stoff nach unten und der Moment war vorbei. Dafür drehte sie sich jetzt um und kniff wütend die Augen zusammen.

Torn - Die Liebe und alles dazwischenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt