Teil 53 - Ivy

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Ivy

Es war seltsam, wie einfach alles schien. Ich hatte mich von Dean herumreichen lassen wie ein Spielzeug, hatte mich mit irgendwelchen Leuten unterhalten, mit denen ich zuvor nie ein Wort gewechselt hatte. Und doch lief alles glatt. Ich wurde nicht zu dem stillen Mäuschen, das ich von mir selbst erwartete. Ich zog mich nicht zurück. Ich ließ auch Sprüche über mich ergehen, als jemand mich darauf ansprach, was mir im vergangenen Schuljahr passiert war. Ich lachte sogar mit, als jemand mir erklärte, er wäre damals dabei gewesen, als ich von Farbe übergossen, völlig blind in den Umkleideraum der Jungs gestolpert war und mein T-Shirt ausgezogen hatte, um mich zu waschen.

Es funktionierte super. Ich hatte selbst das Gefühl, dass ich mich gutschlug. Es hätte schlechter laufen können. Definitiv.

Natürlich spürte ich trotzdem die Blicke auf mir und dass jeder dachte, ich würde nicht hierhin gehören, war mehr als offensichtlich. Auch wenn sie es nicht unbedingt lautaussprachen.

Eigentlich widerstrebte es mir, nett zu diesen Leuten hier zu sein. Aber ich würde nichts erreichen, wenn ich mich von ihnen abkapselte. Für mich war das heute Nacht alles nur ein Spiel. Ich war quasi in einer Mission unterwegs, auf die mich meine echten Freunde geschickt hatten. Wenn das bedeutete, dass ich so tun musste, als würde ich mich mit diesen Idioten hier anfreunden, dann sei es so.

Verdammt, vermutlich war ich auch ein wenig betrunken. So langsam merkte ich, dass ich einen kleinen Schwips hatte, da man mir ständig irgendetwas zum Trinken anbot. Aber es reichte noch, um klar denken zu können.

Ja, ganz sicher.

„Ganz stark! Klasse, Ivy", rief Calum und klatschte mich ab. Wir hatten gerade ein Beer-Pong-Spiel für uns entschieden. Und ich hatte wirklich Spaß daran gehabt.

Calum war nett. Allerdings war er Aiden und mir keine große Hilfe gewesen, bei unserer Aufgabe, die Namen derjenigen herauszufinden, die bei Nora für so viele Scherben gesorgt hatten. Aiden hatte ihn gefragt, sobald wir ihn gefunden hatten. Calum hatte zwar gesagt, dass er nicht alle aus dem Footballteam gesehen hatte, nachdem er sich auf die Suche begeben hatte, aber die Villa war ja auch so riesig, dass das ja auch normal war. Das war zumindest seine Aussage gewesen. Und dann hatte er zugegeben, dass er seine Aufgabe nach ein paar Minuten wieder vergessen hatte.

Ich dagegen war noch voll fokussiert. Okay, man konnte meinen, ich hätte mich durch ein paar Partyspiele ablenken lassen. Aber so war das nicht. Ich wahre einfach nur den Schein einer Teenagerin, die nicht mehr wollte, als einfach nur Spaß zu haben.

Nach dem Beer-Pong-Spiel stellte ich mich neben den Tisch, um zwei anderen Teams zuzuschauen. Dabei achtete ich genau darauf, zu wem ich mich gesellte. Es war kein Zufall, dass ich mich zwischen Jonny – diesem Arschloch – und TJ platzierte. Immer in der Hoffnung, dass ich irgendetwas aufschnappen würde, das jemanden verraten würde. Allerdings war mir auch nur allzu bewusst, dass sie von alleine wohl kaum ihre Geheimnisse ausplaudern würden. Aber wie könnte man sie dazu bringen?

„Veranstaltet ihr eigentlich öfter solche Partys?", fragte ich Jonny.

„Ja. Du bist ganz schön beeindruckt, oder?"

War ich das? Ich wusste nicht so recht, was mich beeindrucken sollte. Am ehesten wohl die Tatsache, dass ständig irgendwer sturmfrei hatte. Die Eltern waren ständig auf Reisen, weil sie es sich leisten konnten. Oder sie waren beruflich unterwegs, um ihren Reichtum noch zu vergrößern. Dafür ließen sie ihre Kinder ständig allein. Ja, das fand ich beeindruckend, aber eher auch befremdlich. Aber das war sicher nicht das, was Jonny hören wollte.

„Ja, ist total cool hier", rief ich möglichst begeistert.

„Wahrscheinlich kennst du so was nicht, was?" Jonny machte nicht den Eindruck, als wollte er mich mit diesen Worten absichtlich verletzen, aber das machte es nur noch schlimmer. Er zeigte mir so deutlich, dass ich eine Außenseiterin war und er dachte sich noch nicht einmal etwas dabei.

Torn - Die Liebe und alles dazwischenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt