Teil 8 - Ivy

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Ivy

Erst hatte ich nicht wirklich gewusst, was ich hier machen sollte. Es war schon seltsam gewesen, hinter Aiden tatsächlich die Tür zuzumachen und den Schlüssel im Schloss umzudrehen. Es kam mir irgendwie falsch vor, mich selbst einzuschließen. Zudem hatte ich das Gefühl, in das Privatleben einer fremden Person einzudringen. Einer toten Person.

Dieses Zimmer musste Aiden und seiner Familie wirklich viel bedeuteten. Sie schienen nicht mal auf die Idee gekommen zu sein, nach dem Tod von Mrs. Walsh irgendetwas zu verändern. Sie hatte sich hier ihre eigene kleine Bibliothek eingerichtet, was ich bemerkenswert fand. Hatte sie diese Bücher wirklich alle gelesen, oder waren sie einfach nur Zierde? Eigentlich war mir die Antwort ganz egal, denn der Anblick hatte auf jeden Fall etwas Inspirierendes an sich. Daher hatte ich auch irgendwann meine Scheu abgelegt und war an den Regalen entlanggeschlichen, um mit den Fingern über die Buchrücken zu streichen. Ab und an zog ich eins heraus, um entweder einfach nur das Cover zu bewundern, oder kurz darin zu blättern. Hier stand wirklich alles. Von Bestsellerbüchern über Jahrhunderte alte Klassiker bis hin zu Sachbüchern. Sogar Kinderbücher standen hier. Ob sie wohl Aiden und seiner Schwester früher viel vorgelesen hatte?

Ich entdeckte ein Buch, das Mrs. Walsh selbst verfasst hatte. Es war eine Sammlung von Kurzgeschichten. Ich wusste nicht, dass sie so etwas auch geschrieben hatte. Mir war zwar bewusst gewesen, dass sie eine erfolgreiche Autorin gewesen war, aber ich hatte bislang gedacht, dass hätte sich auf Romane beschränkt. Aber da ich ja nicht vorhatte, mich hier ewig einzuschließen, wollte ich kein Buch anfangen, dass ich nicht zu Ende lesen konnte. Kurzgeschichten schienen mir daher die beste Möglichkeit, die Zeit zu vertreiben.

Aiden hatte gesagt, ich sollte mich wie zuhause fühlen. Also tat ich das auch. Das Sofa war genauso bequem wie es aussah. Man konnte so richtig darin versinken. Wie hatte Mrs. Walsh bloß in diesem Zimmer arbeiten können? Es strahlte eher Gemütlichkeit als Arbeitsatmosphäre aus.

Erstaunlicherweise konnte ich besser abschalten als ich es vermutet hätte. Zwar hörte ich die laute Musik, aber irgendwann nahm ich das nur noch als eine Art Hintergrundrauschen wahr. Ab und an schreckte ich auf, wenn ich irgendwelche Stimmen aus dem Flur hörte, aber in diesem Teil des Hauses war an sich weniger los. Richtig zusammengezuckt war ich nur einmal, als jemand an der Tür rüttelte und dann darauf losschimpfte, dass Aiden anscheinend alle möglichen Räume abgeschlossen hatte. Vermutlich war das ziemlich clever von ihm gewesen. Wer weiß, wie die Zimmer hinterher aussehen würden, wenn da alle Welt reinspazieren konnte. Umso erleichterter war ich, dass er mir erlaubt hat, hier zu sein. Allerdings fragte ich mich auch, was ihn dazu bewogen hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er jedes Mädchen, das an diesem Abend mit einem Drink übergossen wurde, wegbrachte.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, als es viermal an der Tür klopfte. Das ausgemachte Zeichen. Ich schwang mich vom Sofa und hoffte, dass nicht irgendjemand anderes vor der Tür stehen würde oder dass Aiden noch eine andere Person im Schlepptau hatte. Es wäre mir schon peinlich, wenn die Leute erfahren würden, dass ich mich hier während einer Party verkroch wie so eine schüchterne kleine Maus, die sich nicht unter Menschen traute. Was ja eigentlich nicht wirklich der Fall war. Aber die Leute auf der Party waren nun einmal nicht die Personen, mit denen ich sonst immer abhing.

Ich drehte den Schlüssel um und öffnete die Tür. Erleichtert stellte ich fest, dass es wirklich nur Aiden war, der da im Flur stand und nun schnell ins Zimmer huschte, bevor ihn jemand entdecken konnte.

„Hey", begrüßte er mich. „Ich hatte schon gedacht, dass du abgehauen bist."

„Wieso sollte ich?"

„Weiß nicht. Hätte ja sein können, dass dir hier längst langweilig geworden ist."

„Bei all den Büchern? Wohl kaum."

Torn - Die Liebe und alles dazwischenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt