Teil 45 - Ivy

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Ivy

Es passierte in der Mittagspause. Wir saßen wie immer an unserem Tisch – Lilly, Kendra, Miles und ich. Wir unterhielten uns gerade über das Kunstprojekt von Kendra, was mich etwas neidisch werden ließ. Es erinnerte mich daran, wie sehr ich Kunst gemocht hatte, bis mir Nelly Sullivan für immer die Freude an dem Fach genommen hatte. Nachdem sie mir die Farbe über den Kopf gegossen hatte, malte ich manchmal nur zu Hause in meinem Zimmer. Und selbst da machte es mir nicht mehr so viel Spaß wie früher.

Als Kendra gerade erklärte, was die Schwierigkeiten bei ihrer Kunstaufgabe waren, hörten wir plötzlich lautstarkes Gelächter und Gejohle vom anderen Ende der Mensa. Erst war nicht zu erkennen, was da für so viel Heiterkeit sorgte. Aber sofort breitete sich auf meinen Armen eine Gänsehaut aus, weil ich fand, dass das Lachen nicht gerade amüsiert, sondern eher schadenfroh klang.

Mehrere Leute waren zwischen den Tischen zum Stehen gekommen, darunter viele Footballspieler. Erst nachdem sich einige von ihnen wieder in Bewegung setzten, konnte ich einen Blick auf die Szene werfen, die sich dort abgespielte.

„Ach du Scheiße", stieß Lilly aus.

Selbst aus der Entfernung konnte man das Essen sehr gut sehen, das sich komplett über Jordan verteilt hatte. Der arme Kerl nahm seine Brille ab und versuchte, sie an einem Zipfel seines Hemds sauber zu wischen, allerdings klebte auch an seinem Oberteil viel von dem Zeug, das soeben auf ihm gelandet war.

Nachdem er seine Brille wieder aufgesetzt hatte, bückte er sich, um sein Tablett wieder hochzuheben, dass er wohl fallengelassen hatte. Allerdings war das nicht das einzige Tablett, das auf dem Boden lag. Jemand anderes in der typischen Footballjacke bückte sich ebenfalls. Als er sich danach kurz umdrehte, erkannte ich Jonny, einen Jungen aus unsrem obersten Jahrgang. Was mir sofort auffiel, war, dass sein Outfit komplett essensfrei war. Aber noch etwas anderes an ihm war besonders auffällig: sein Grinsen.

„Dieses verdammte Arschloch", zischte Miles neben mir wütend.

Wir dachten wohl alle dasselbe. Dieses Essen war mit voller Absicht auf Jordan gelandet. Es war nicht das erste Mal, dass jemand in der Mensa so etwas abbekam. Das gehörte hier leider zum Schulalltag manchmal dazu. Aber dieses Mal fühlte es sich irgendwie anders an. Die ganze Atmosphäre war angespannter. Vielleicht bildete ich mir das nur ein, weil ich dieses Mal denjenigen, den es erwischt hatte, gut kannte. Vielleicht lag es aber auch an den Gesichtern der anderen Mensagäste, in denen kein Mitleid, sondern einfach nur extreme Wut zu erkennen war.

Es hätte wohl niemand zugegeben, aber Jordan war in unserer Untergrundentwicklung so etwas wie der Anführer geworden. Und unsere Gruppe war groß geworden, selbst wenn einige nach den Halloweenstreichen gesagt hatten, sie würden so etwas nicht mehr wollen. Die Solidarität unter den Außenseitern war trotzdem stark gestiegen und somit schürte ein Angriff auf Jordan die Wut jedes Einzelnen auf diejenigen, die meinten, ihre Mitschüler tyrannisieren zu können.

„Sollten wir ihm helfen?", fragte Lilly flüsternd.

Zu unserer eigenen Schande hatte sich noch überhaupt niemand erhoben, um Jordan irgendwie zur Hilfe zu eilen. Und sei es nur, um sein Tablett wegzubringen oder ihn aus der Mensa zu begleiten. Alle waren wie in Schockstarrte. Jeder hatte schnell gelernt, dass man in solchen Situationen lieber nicht eingriff. Was natürlich ziemlich dämlich und vor allem hochgradig feige war.

Die Entscheidung wurde uns abgenommen, weil es seltsamerweise Vince war, der als Erster aufstand und sich ihm näherte. Auch wenn die beiden sich nicht immer einig waren, war es doch schön zu sehen, dass Vince in der Not eben kein Feigling war. Er war relativ klein, baute sich aber trotz seiner geringen Größe vor Jonny auf und forderte ihn lautstark zu einer Entschuldigung auf.

Torn - Die Liebe und alles dazwischenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt