Teil 19 - Aiden

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Aiden

Wir tauschten Papierzettel aus. Wie Kinder! Wir saßen tatsächlich im Mathekurs nebeneinander und reichten kleine Papierschnipsel zwischen uns hin und her. Den Leuten, die hinter uns in der letzten Reihe saßen, konnte das wohl kaum entgehen. Der Lehrer hatte aber noch nichts mitbekommen. Und wer es von den Schülern sehen sollte, konnte mir komplett egal sein. Sollten die sich doch Gedanken machen, was wir so dringendes schriftlich zu diskutieren hatten. Es ging sie rein gar nichts an. Und eigentlich war es ja noch nicht mal was Wichtiges, was wir uns schrieben. Aber es war einfach schön, mit Ivy zu kommunizieren. Auch wenn es auf eine ungewöhnliche Art passierte.

Die letzten Tage hatten wir zwar nicht viel miteinander geredet, aber es war trotzdem wesentlich weniger frostig zwischen uns zugegangen als noch am Anfang der Woche. Vor allem lächelte sie mich wieder an, was ich als gehörigen Fortschritt ansah. Es hatte mir doch extrem viel ausgemacht, dass sie mich entweder ignoriert oder mit diesem eisigen Blick angesehen hatte, der überhaupt nicht zu ihrem sonst oftmals sonnigen Gemüt passte. Ivy hatte auf mich eigentlich immer wie jemand gewirkt, die keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Aber so, wie sie mich am Montag betrachtet hatte, war ich mir da doch nicht mehr so sicher gewesen. Ich war davon überzeugt, dass sie eine Person war, die bedingungslos zu einem hielt, solange man sie nicht enttäuschte. Und das hatte ich ja schließlich getan. Also hatte ich mir felsenfest vorgenommen, ihr Vertrauen zurückzugewinnen.

Ich strich das Blatt Papier glatt, dass sie mir zusammengefaltet überreicht hatte. Ich hatte gefragt, ob sie zum Homecomingball kommen würde und wenn ja, ob sie ein Date mit jemandem hatte. Keine Ahnung, was ich tun würde, wenn das tatsächlich der Fall wäre. Ihre Antwort aber fiel anders aus. Sie würde in einer Gruppe hingehen. Fast hatte ich mir das schon gedacht.

„Das war auch erst mein Plan", schrieb ich unter ihre Antwort. „Es wäre bestimmt spaßig geworden, einfach nur mit den Jungs hinzugehen."

Als unser Lehrer nicht hinsah, warf ich den Zettel zu Ivy herüber. Sie zuckte kurz zusammen, als er vor ihrer Nase herflog. Mit einem gespielt genervten Blick sah sie zu mir. In einem anderen Brief hatte sie ein paar Minuten zuvor geschrieben, ich sollte aufhören, mit den Zetteln um mich zu werfen und ihn stattdessen einfach nur mit ausgetrecktem Arm zu überreichen. Aber das machte lange nicht so viel Spaß. Dadurch liefen wir zwar eher Gefahr, erwischt zu werden, aber dieses Risiko ging ich gerne ein.

Während ich versuchte, mich wenigstens ein bisschen auf die Ausführungen unseres Mathelehrers zu konzentrieren, behielt ich Ivy trotzdem im Auge. Ich bekam genau mit, wie sie das Blatt Papier wieder auseinanderfaltete und auf meine Worte starrte. Manchmal schrieb sie sofort eine Antwort, manchmal wartete sie ab. Auch dieses Mal schob sie den Zettel zunächst etwas beiseite und starrte nach vorne zur Tafel. Hatte sie darauf keine Antwort oder wollte sie einfach nichts mehr schreiben? Ich musste wohl abwarten. Irgendwann zog sie den Zettel wieder näher zu sich heran und hob einen Stift über das Papier. Sie hielt ihn lange in der Luft, ganz so als würde sie überlegen, wie sie etwas formulieren sollte. Sehnsüchtig wartete ich darauf, dass sie wieder den Arm ausstreckte und ihn an mich übergab. Ich bemühte mich sehr, den Zettel nicht zu schnell zu öffnen. Sie sollte nicht mitbekommen, wie sehr ich darauf brannte, ihre Antworten zu bekommen.

„Warum gehst du dann mit Gina zum Ball, wenn du das gar nicht willst?"

Die Frage war absolut berechtigt. Und das Schlimme daran war, dass ich nun wirklich keine Antwort darauf hatte. Erwartete sie tatsächlich eine? Wollte sie etwa wissen, ob da was zwischen Gina und mir war? War sie eifersüchtig? Der Gedanke faszinierte mich.

„Ich habe aus Höflichkeit ja gesagt", schrieb ich nach kurzer Überlegung. Dann fügte ich noch etwas hinzu, von dem es mir wichtig war, dass sie es wusste: „Ich hätte dich gefragt, wenn ich nicht schon zugesagt hätte."

Torn - Die Liebe und alles dazwischenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt