Teil 46 - Aiden

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Aiden

In mir brodelte etwas. Heiße glühende Wut stieg in mir auf, als ich Jonny und Trevor gemeinsam zur Sporthalle gehen sah. Sie waren nur ein paar Meter vor mir entfernt unterwegs, schlenderten gemütlich den Weg entlang und lachten über irgendetwas, dass ich aus der Entfernung nicht verstehen konnte. Der Anblick ihrer Hinterköpfe machte mich wahnsinnig. Dabei wusste ich nicht, warum ich ausgerechnet heute eine solche Wut auf die beiden empfand. Ich sah die zwei jeden Tag im Training und bislang hatte ich sie gut ignorieren können. Oder vielmehr hatte ich all die negativen Emotionen in mir ignorieren und beiseiteschieben können. Aber heute schaffte ich das nicht.

Es musste mit dem Vorfall in der Mensa zu tun haben und mit meinem Gespräch mit Ivy. Sie hatte mich daran erinnert, wie diese beiden Typen auf mich eingetreten hatten. Natürlich konnte ich das nicht vergessen. Sie waren zwei der fünf gewesen, die mich damals angegriffen hatten, weil sie mir eine Lektion erteilen wollten. Es hatte ihnen nicht gepasst, dass ich verschwiegen hatte, dass Finn, ein ehemaliges Teammitglied, für die Juckpulverattacke auf uns verantwortlich gewesen war. Niemals hätte ich gedacht, dass sie mein Schweigen als einen solch großen Verrat ansehen würden. Eigentlich war ich derjenige, der sich verraten fühlen durfte. Immerhin hatten sie sich auf mich gestürzt, als wäre ich ein Schwerverbrecher.

Ich wusste, dass Jonny und Trevor absolute Arschlöcher waren. Das Gleiche galt auch für Dean. Wobei er sich immerhin meistens korrekt verhielt. Zumindest wenn andere um ihn herum waren, die er beeindrucken wollte. Deswegen war er so beliebt. Weil er sich gut verstellen konnte. Aber im Gegensatz zu Dean waren Jonny und Trevor wirklich Idioten, die es darauf anlegten, nicht gemocht zu werden. Ich vermutete stark, dass sie Angst mit Respekt verwechselten und es genossen, wenn andere vor ihnen kuschten.

Ich zuckte kurz zusammen, als Trevor laut lachte. Es war wie ein dunkles Grollen und klang irgendwie teuflisch. Er konnte noch nicht einmal normal lachen. Irgendwie machte mir dieses Lachen sogar Angst. Ich überlegte sogar, kurz stehenzubleiben, um den beiden noch einen größeren Vorsprung zu geben. Denn ich wollte nicht mit ihnen alleine sein. Aber andererseits sträubte sich alles in mir, den beiden wirklich so eine große Macht über mich zu geben. Ich wollte nicht der Typ sein, der Angst vor Begegnungen mit ihnen beiden hatte.

Als ich Schritte hinter mir hörte, die sich näherten, hatte es sich eh erledigt, möglichst unauffällig stehenzubleiben. Aber immerhin war ich auch nicht mehr alleine mit den beiden auf dem Weg zur Sporthalle unterwegs. Ich drehte mich um und sah, dass Timmy hinter mir ging und schnellen Schrittes versuchte, zu mir aufzuschließen.

„Hey", sagte er, als er fast bei mir war.

„Hey", gab ich zurück und begrüßte ihn kurz mit Handschlag.

Timmy war einer derjenigen, zu denen ich in unserem Team absolutes Vertrauen hatte. Er war wie der Ruhepol, den jede Mannschaft brauchte. Er war auch einer der vernünftigsten und einer der wenigen, die zum Beispiel damals bei meiner Party offen gesagt hatten, dass das Spiel „Wer bringt den größten Loser mit?" absolut unter der Gürtellinie war. Er hatte niemanden extra eingeladen, genauso wenig wie ich. Und doch hätten wir beide vielleicht noch mehr tun können, ja sogar tun müssen, um das Spiel zu verhindern.

Als wir uns begrüßten, wurden Trevor und Jonny auf uns aufmerksam und drehten sich kurz um. Timmy nickte ihnen freundlich zu, aber die zwei gaben nur ein kurzes Hallo von sich und gingen dann einfach weiter, ohne irgendwelche Anstalten zu machen, auf uns zu warten. Mir sollte es recht sein. Allerdings sah Timmy das wohl etwas anders.

„Jonny, was war das eigentlich heute Mittag in der Mensa?", rief er doch tatsächlich und brachte die zwei vor uns dazu, doch noch abzustoppen und sich erneut zu uns umzudrehen.

„Was meinst du?", fragte Jonny, der eine Unschuldsmiene aufsetzte, die auf mich extrem falsch wirkte und wie geschauspielert aussah.

„Was hast du eigentlich gegen Jordan Hanson?", fragte Timmy, als wir zu den beiden anderen aufgeschlossen hatten. „Erst schleppst du ihn zu der Party an, um ihn bloßzustellen und jetzt schüttest du ihm auch noch Essen über seinen Kopf."

„Also ist das echt passiert?" Das hatte ich laut ausgesprochen. Und kaum hatte ich das gesagt, schaute mich Jonny fast schon verächtlich an. Aber er wandte sich schnell wieder an Timmy.

„Dir kann es doch egal sein. Der Typ hat das alles verdient", sagte er.

„Das ist doch Schwachsinn." Timmy blieb erstaunlich ruhig, als er das sagte. „Das ist einfach nur echt gemein. Du solltest wirklich aufhören, andere Leute zu mobben. Auf Dauer wird das nicht gut ausgehen. Es ist ein Wunder, dass sich die Szene heute Mittag so schnell aufgelöst hat."

„Ach, hör schon auf", mischte sich Trevor ein. „Es ist doch klar, dass wir gegen diese Loser was unternehmen müssen. Ein bisschen Essen auf dem Shirt ist da doch noch harmlos – eben ein kleiner Warnschuss, den der Kerl mehr als verdient hat. Es ist ein Wunder, dass bisher niemand härter zugeschlagen hat."

Bei diesen Worten richtete Trevor seinen Blick doch tatsächlich kurz auf mich. Mir wurde flau in der Magengegend.

„Jeder weiß, dass Jordan diese Juckpulverattacke gegen uns geplant hat", sagte Jonny. „Er hat Finn das Zeug übergeben."

„Das wissen wir nicht mit Sicherheit", erwiderte Timmy. „Und selbst wenn, war das nur ein Streich. Es gibt keinen Grund, ihn deswegen fertig zu machen."

„Der Kerl wird sich noch wundern." Trevors Grinsen, als er das sagte, behagte mir gar nicht.

Neben mir schüttelte Timmy laut seufzend den Kopf. Aber er hatte es wohl aufgegeben, belehrende Worte zu suchen. Trevor und Jonny konnte man eh nicht zur Vernunft bringen. Aber er hatte es immerhin versucht.

„Was hältst du eigentlich von dem Ganzen?", fragte Timmy, als die anderen beiden wieder außer Hörweite waren.

„Was genau meinst du?", fragte ich, weil ich nicht sicher war, auf was er hinauswollte.

„Ich meine dieses Gerede von Rache und dem Versuch der Einschüchterung. Viele im Team reden doch davon, unseren Mitschülern zu zeigen, wo sie hingehören. So hatten es doch einige formuliert."

„Ich fand die Sachen, die an Halloween passiert sind, ziemlich überzogen. Das hat einigen anderen wohl auch nicht gepasst. So etwas sollte nicht passieren. Aber das ist noch lange kein Grund, jemanden derart krass zu piesacken, wie es Jonny mit Jordan getan haben."

„Manchmal denke ich, dass viele diese Streiche an Halloween verdient hatten", murmelte Timmy nachdenklich. „Okay, vielleicht gilt das nicht für alle, aber vermutlich für einen Großteil."

„Meinst du das ernst?" Jetzt war ich doch etwas überrascht. „War dein Spind eigentlich auch beschmiert worden?"

Timmy nickte. „Ja, aber ehrlicherweise war mir das ziemlich egal. Da hatte irgendwer Dampf ablassen müssen und sich das gesamte Footballteam vorgenommen."

Seine Aussage verwunderte mich. Und das aus verschiedenen Gründen. Zum einen konnte ich nicht fassen, dass auch Timmys Schließfach dran glauben musste. Er war einer der nettesten Typen, die ich kannte. Zum anderen wunderte es mich, dass ihn das überhaupt nicht aufzuregen schien. Ich war komplett ausgerastet, als ich das bei mir bemerkt hatte, weil ich das absolut ungerechtfertigt fand. Aber, wenn es auch Timmy getroffen hatte, könnte das wirklich bedeuten, dass man schlichtweg einfach fast alle Schließfächer des gesamten Footballteams ramponiert hatte. Das ging vielleicht gar nicht gegen Einzelpersonen. Und das würde bedeuten, dass ich mir das Ganze womöglich gar nicht so sehr zu Herzen hätte nehmen müssen.

„Dir hat das echt gar nichts ausgemacht?", fragte ich, weil ich das überhaupt nicht glauben konnte.

„Nicht wirklich. Es ist ja niemand von uns verletzt worden. Nicht wie bei den Cheerleadern. Das fand ich übrigens auch nicht in Ordnung. Okay, es sollte witzig sein, aber leider ist dieser Spaß ein wenig nach hinten losgegangen."

Da hatte er definitiv recht. „Ich mache mir Sorgen, dass noch so etwas passieren wird."

„Hoffen wir einfach, dass keiner verletzt wird", sagte Timmy, klang dabei aber eher so, als befürchtete er, dass sich das nicht verhindern lassen würde.

Torn - Die Liebe und alles dazwischenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt