Kapitel 6 - flache Ausreden

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Ich liege nun mit entblößtem Oberkörper auf der Liege vor ihm. Obwohl er mich schon öfters oben ohne gesehen hat, fühle ich mich klein und verletzlich. Er rollt sich auf seinem Hocker zu mir und lächelt mir zu. Ich erwidere sein Lächeln nicht, sondern schaue zur Decke. Seufzend stellt er das Ultraschallgel, welches er in der Hand hatte, wieder zurück.
„Amelie!"
„Was?", sage ich mit gedrückter Stimme.
„Bist du jetzt wegen meiner Ansage ernsthaft eingeschnappt?", fragt er leise und legt mir sanft eine Hand auf die Schulter.
„Ehrlich gesagt schon. Ja!" Ich versuche die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.
„Ach Mädchen! Du wirkst immer so taff nach außen! Ich wollte dich nicht verletzen!"
„Vielleicht sollte ich doch den Hausarzt wechseln. Irgendwie ist es schon komisch, dass wir uns außerhalb eurer vier Wände kennen!", gebe ich beklommen zu. Max lächelt mir zu und nimmt die Sonde wieder in die Hand.
„Denkst du, du entkommst mir so?" Er schüttelt die Tube mit dem Ultraschallgel nach unten. „Achtung wird kurz kalt!" Schon gibt er das kalte Gel auf meinen Oberkörper. Ich zucke zusammen. Er lächelt mir nochmal zu und setzt dann die Sonde an.
„Dann schauen wir uns dein Herzchen mal an! Hat dir Chiara eigentlich von den Plänen für ihren Geburtstag erzählt?"
„Ähm nein, hat sie nicht! Warum?"
„Hast du denn an dem verlängerten Wochenende rund um den ersten Mai etwas vor?"
„Ich frage nochmal, warum?"
„Wir haben eine Hütte gemietet. Im Schwarzwald. Schließlich feiern wir beide gemeinsam einen runden Geburtstag. Und du bist natürlich fest eingeplant!" Er lächelt mich kurz an und wendet sich dann wieder meinem Herz zu, welches für einen Moment stolpert.
„Olala, was war denn das? Eine nette Extrasystole?" Er zwinkert mir zu. „So aufregend die Einladung?" Mein Kopfkino dreht hohl.
„So ein Frauenfrühstück wäre mir lieber gewesen...", murmle ich leise.
„Soso! Das wird bestimmt eine nette Runde!"
„Bestimmt. Ich glaube aber, dass ich da etwas vorhabe!"
„Ach ja? Was denn?"
„Da bin ich im Urlaub. Ein Yogaretreat!"
„Echt, ohne Chiara?"
„Yep."
„Soso. Na das kannst du ja bestimmt noch verlegen!"
„Ähm nein!"
„Gut, soweit ich das erkennen kann, sieht das total unauffällig aus. Zur Sicherheit, mit deiner Vorgeschichte, überweise ich dich noch zum Kardiologen. Dann wissen wir mehr." Max legt die Sonde beiseite und nimmt einige Tücher zur Hand. Sanft beginnt er das Gel von meiner Brust zu wischen. Gefühlt schon fast zu sanft. Es kribbelt in meinem Bauch. Entschlossen nehme ich ihm die Tücher aus der Hand.
„Das kann ich selber, danke!"
„Daran habe ich keinen Zweifel!" Er lächelt mir zu und macht einige Eintragungen in meiner Akte. „So, dann nehmen wir noch Blut ab. Was machen die Schmerzen und der Schwindel?"
„Ist okay. Geht gerade." Durchleuchtend schaut er mich an. Dann richtet er in eine Nierenschale die Utensilien für die Blutentnahme.
„Lieber liegen?"
„Geht so!", sage ich mit fester Stimme.
„Wenn du meinst..." Ich schaue weg, während er eine Vene sucht, desinfiziert und zusticht. Es fühlt sich irgendwie anders an, als sonst. Ich riskiere einen Blick und mir wird sofort schlecht. Fuck! Wie war das nochmal in den Instagram – Reels: dumb ways to die.
„Amelie?", höre ich wie von ferne.
„Ami?" Ich spüre, wie ich wieder gelagert werde. Ach Mann. Kann dieser Tag jetzt nicht einfach enden? Flatternd öffne ich die Augen. Max Hand drückt sanft meine Schulter.
„Es, es hat sich so anders angefühlt als sonst...", sage ich zu meiner Verteidigung.
„Ja, ich habe dir einen Zugang gelegt, damit ich dir Schmerzmittel und Magnesium verabreichen kann. Das wird die Schmerzen hoffentlich etwas lindern."
„Da hättest du mich ja auch echt mal vorwarnen können!", sage ich böse. Er grinst nur und befestigt eine Infusion. Kurz darauf betritt eine Helferin das Zimmer.
„Lagerung bleibt, bis die Infusion durchgelaufen ist. Vor dem Aufstehen nochmal RR messen und mir Bescheid geben!" Damit nickt er mir zu und verlässt das Zimmer. Shit!

Rezept auf UmwegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt