Kapitel 6

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Unruhig drehte ich mich im Bett herum. Normalerweise wurde ich ruhiger, wenn Draco irgendwann nachts zu mir kam – und er tat es sehr zuverlässig – doch heute war es nicht der Fall. Ich wälzte mich unruhig hin und her, während mein Blick alle paar Minuten zum Wecker glitt. Es waren wieder nur zehn Minuten seit dem letzten Mal vergangen.
Ich seufzte leise. So bald würde ich wohl nicht mehr einschlafen und ich wusste auch warum. Heute war Harrys Geburtstag. Ab heute war er siebzehn und volljährig. Die Spur hatte sich gelöst, weshalb er sicherlich sehr bald auf die Suche nach den Horkruxen gehen würde. Jedenfalls hoffte ich das. Den Stress konnte ich beim besten Willen nicht gebrauchen.
Aber was war, wenn etwas schief ging? Wenn er es nicht schaffte, die restlichen Horkruxe rechtzeitig aufzuspüren? Vielleicht zog er auch nicht los, sondern blieb lieber in einem sicheren Versteck. Was würde ich dann machen? Wenn er seiner Aufgabe nicht nachkam. Natürlich konnte ich noch meine Familienmitglieder um Hilfe bitten, aber ... Dumbledore hatte Harry nicht grundlos für diese Aufgabe ausgesucht. Mag sein, dass er uns alle als Schachfiguren angesehen hat, doch er hatte immer gute Gründe für seine Entscheidungen. Und ich vertraute seinem Urteilsvermögen, weshalb ich erstmal wollte, dass Harry auf die Jagd ging. Welchen Sinn und Zweck das auch immer haben würde.
Da mir eine ruhige Nacht nicht vergönnt war, stieg ich aus dem Bett. Ich wollte auf gar keinen Fall Draco durch mein Wälzen wecken. Außerdem wusste ich schon, wie ich wahrscheinlich mein Gedankenkarussell abstellen konnte. So wie auch damals als ich an Sirius und Marlon den Brief geschrieben hatte. Nur dass ich dieses Mal an Harry schrieb.
Ich setzte mich an den Schreibtisch. Im flackernden Licht einer magischen erzeugten Kugel begann ich all meine Gedanken aufs Blatt zu bringen. Alles, was ich Harry so gerne in den letzten zwei Jahren gesagt hätte. Wie enttäuscht ich von ihm war, dass er sich so einfach von mir abgewandt hatte. Wie gerne ich zwischenzeitlich seine Schwester gewesen wäre. Jedenfalls nachdem ich meine Sorge und Eifersucht überwunden hatte. All diese Dinge halt, die schon so lange tief in mir schlummerten und jetzt endlich mal raus mussten.
Es dauerte fast eine Stunde bis ich alles, was auf meinem Herz lag, seinen Weg aufs Papier gebracht hatte. Ich faltete gerade die drei vollgeschriebenen Seiten zusammen, als ich hörte, wie Dracos nackte Füße auf den Boden gestellt wurden. Ich wirbelte erschrocken zu ihm herum, weil ich mich irgendwie ertappt fühlte. Dabei hatte ich nicht einmal wirklich etwas Schlimmes getan. Na gut, außer einen Brief zu schreiben, der uns alle Kopf und Kragen kosten könnte.
„Kannst du nicht schlafen?", wurde ich überrascht gefragt.
„Mir schwirrte viel durch den Kopf. Aber jetzt ist es besser." Ich steckte die gefalteten Seiten in einen Umschlag, auf dem schon Harrys Name stand. Nach meinem Tod würde er ihn kriegen. So wie er momentan drauf war, würde er ihn sicherlich nicht lesen, aber das war mir irgendwie egal. Ich hatte alles, aus meinem Herzen und Kopf herausgeschrieben. Mehr brauchte ich nicht.
Ich hörte, wie Draco zu mir herüberlief. Seine nackten Füße machten bei jedem Schritt ein leises Geräusch auf dem Boden. Schließlich blieb er hinter mir stehen, weshalb er den Namen sah.
„Ein Brief an Harry?", wurde ich verwundert gefragt.
„Ich musste einfach mal all meine Gedanken aufschreiben. Keine Sorge, ich werden den Brief verstecken, genauso wie ich es bei Ares Medaillon und meinen Armband tue. Und jetzt komme ich auch wieder ins Bett." Ich drehte mich zu dem wasserstoffblonden Jungen um. Dieser wirkte noch immer etwas verwirrt aufgrund des Briefes. Ich wüsste allerdings nicht, was ich sonst noch dazu sagen sollte. Also verstaute ich das Schriftstück einfach in dem Versteck von Ares und den Armband, bevor ich Draco wieder zum Bett schob.

Am nächsten Tag schien nicht nur ich wenig geschlafen zu haben, sonder auch Voldemort. Entweder war ich nicht die Einzige, die sich wegen Harrys Volljährigkeit zu viele Gedanken machte. Oder er war wieder nachts heimlich unterwegs gewesen, um herauszufinden, wo sich der Elderstab befand. Jedenfalls ging ich davon aus, dass er ihn noch suchte. Bisher besaß er ihn noch nicht, sonst hätte er ihn anstelle von Lucius beim Angriff auf Harry genutzt. Und die Hadesnymphe gehörte nicht zu den Leuten, die einfach aufgaben.
Wirklich interessant wurde es allerdings erst gegen Abend. Wir hatten uns gerade alle im Speisesaal versammelt, als es in der Eingangshalle laut wurde. Ganz automatisch zog ich mein Messer, während ich auch schon in die Richtung schlich. Wer auch immer hier unangekündigt auftauchte, er würde gleich sein blaues Wunder erleben.
Der unangekündigte Besuch kam immer näher. Anscheinend war der Speisesaal auch tatsächlich ihr Ziel. Ich ließ sie einfach kommen. Wenn sie hier hereinkamen, hatte ich den Überraschungsmoment wahrscheinlich auf meiner Seite, wenn ich heraus stürmte, hatten sie mehr Zeit, um sich zu erholen. Nicht, dass ich es wirklich brauchte. Hier im Raum war mehr als ein fähiger Zauberer, der mir wahrscheinlich helfen würde. Das war sicherlich noch nicht Voldemorts Erschießungskommando. Schließlich brauchte er mich noch, um Hades zurückzuholen.
Die Tür wurde aufgerissen. Ich stand hinter ihr, weshalb die Leute nur den vollbesetzten Esstisch sehen konnten. Allerdings hatten dort alle mittlerweile ihre Zauberstäbe gezückt. Die Besucher kamen weiter in den Raum herein, weshalb ich sie endlich sehen konnte. Vier vermummte Gestalten. Die zwei vorderen zerrten eine bewusstlose Person zwischen sich her. Ich brauchte ein paar Sekunden, um sie mit Scrimgeour, dem aktuellen Zaubereiminister, in Verbindung zu bringen. Wahrscheinlich ging es bei dem Besuch weniger darum, jemanden anzugreifen, sondern viel mehr um das Opfer in ihrer Mitte. Man hatte wohl endlich den Zaubereiminister geschnappt und so das Ministerium zu Fall gebracht.
Trotz allem ließ ich es mir nicht nehmen, mich nach vorne zu schleichen und eine der vermummten Personen zu packen. Mein Messer landete an ihrer Kehle. Vorsicht war besser als Nachsicht. Ich wollte lieber sichergehen, dass unter den Masken auch wirklich Todesser steckten.
„Regel Nummer eins, niemand kommt auf diese Art und Weise in mein Heim, der keine Todessehnsucht hat", zischte ich bedrohlich meinem erstarrten Opfer zu.
„Verzeiht, Basílissa", murmelte einer der beiden Personen, die Scrimgeour mitschleppten. Ich schnaubte leise. Sie sollten froh sein, dass ich ihnen noch verzeihen konnte. In einer etwas anderen Situation hätte ich ihnen schon längst die Kehle aufgeschlitzt.
„Regel Nummer zwei: Niemand betritt es vermummt. Ich will zumindest sichergehen, dass niemand hier hereinkommt, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, Vielsafttrank zu nehmen."
Der Mann, welcher zu mir gesprochen hatte, zog sich schnell die Maske und Kapuze herunter, weshalb Bellatrix Schwager Rabastan Lestrange zum Vorschein kam. Kluger Mann. Auch die anderen folgten seinem Beispiel, auch wenn sie ein paar Sekunden länger brauchten, um sich von ihrem Schock zu lösen. Dafür waren sie umso hektischer beim Ausziehen. Nur dem Todesser, dem ich noch immer ein Messer an die Kehle hielt, fiel nach dem herunterreißen der Kapuze ein, dass weniger unkontrollierte Bewegungen mich wahrscheinlich auch weniger nervös machen würden. Also zog er die Maske demonstrativ langsam vom Gesicht.
„Wie ich sehe, habt ihr uns Besuch mitgebracht", meldete sich nun Voldemort zu Wort. Anscheinend war er der Meinung, die Zeit, in der ich mit seinen Untergebenen spielen durfte, war vorbei. Na ja, wenn er meinte. Mir sollte es Recht sein. Eigentlich hatte ich eh kein Interesse daran, einen von ihnen jetzt und hier aufzuschlitzen. Am liebsten wäre es mir, wenn niemand heute einen Tropfen Blut vergießen würde. Dafür war die Wahrscheinlichkeit allerdings mehr als gering. Mich wunderte es, dass man Scrimgeour lebend hierher gebracht hatte. Wahrscheinlich würde er allerdings diesen Tag trotz allem nicht überleben.
„Wir haben Scrimgeour gefasst, mein Lord", berichtete Rabastan von seinem offensichtlichen Erfolg. Ich verdrehte demonstrativ die Augen. Gerade wirkte er wie ein Hund, der gerne von seinem Herrchen ein Leckerli haben wollte, weil er einen Stock zurückgebracht hatte.
„Wurde auch Zeit. Das Ministerium hätte schon vor Wochen fallen sollen", kam die wenig dankbare Antwort.
Ich zog nun doch mal mein Messer von der Kehle des einen Todessers. Dieser atmete erstmal tief ein und aus, fast als hätte er vorher versucht, möglichst lang die Luft anzuhalten. Allerdings war vielleicht auch genau das sein Ziel gewesen.
Anstelle mich noch weiter mit den Eindringlingen zu befassen, lief ich zu dem bewusstlosen Mann in ihrer Nähe herüber. Es war eindeutig Scrimgeour, auch wenn dieser einiges abbekommen haben musste. Sein Gesicht war durch Wunden verunstaltet, ein Bein stand in einem komischen Winkel ab. Er hatte sich wohl gewehrt, doch das alles hatte nichts gebracht. Nun war er hier. Er würde sterben und niemand würde ihn retten können. Nicht einmal ich.
Ohne darüber nachzudenken, legte ich mein Messer an seine Kehle. Wenn ich ihn umbrachte, konnte ich sichergehen, dass es schnell ging. Dass er nicht vorher noch endlos gefoltert wurde, weil irgendjemand daran sadistische Freude hatte. Ich holte noch einmal tief Luft, bevor ich das Messer bestimmt in die Haut am Hals des Mannes drückte.
„Er könnte wissen, wo sich Potter aufhält", hörte ich in diesem Moment den dunklen Lord rufen, weshalb ich ihn wütend ansah. Unterm Strich ging ich nicht davon aus. Dumbledore hatte dem Ministerium nicht über den Weg getraut. Die anderen Ordensleute sicherlich auch nicht. Aus guten Grund. Trotz allem war es die klare Anweisung gewesen, den Mann nicht zu töten. Auch wenn ich vielleicht nicht Voldemorts Untergebene war, hatte ich kein Argument, mich nicht daran zu halten. Es gab keinen Grund, der Tahnea dazu bewegen würde, Scrimgeour sofort zu töten, also gab es auch keinen für mich. Ich würde mitspielen müssen.
„Bringt ihn in den Keller. Das wird wohl ein längeres Unterfangen. Aber vorher gibt es Essen."
Ich nahm mein Messer wieder vom Hals des Mannes. Ein wenig Blut klebte an der Klinge. Ich hatte die Haut ein wenig angeritzt, doch es hatte lange nicht dafür gereicht, ihn zu töten. Die Hauptschlagader, die ich eigentlich hatte erwischen wollen, war noch in Takt. Um sie zu durchtrennen, hätte ich einmal richtig schneiden müssen. Doch dafür fehlte mir nun einmal die Zeit.
Die vier Todesser sahen verwundert zu Voldemort herüber. Doch dieser schien mir in diesem Fall nicht widersprechen zu wollen. Wahrscheinlich fiel ihm auch kein gutes Argument ein, warum unbedingt sofort der Mann verhört werden musste. Jedenfalls keines, welches nicht seine Angst vor Harry noch einmal für alle offengelegt hätte.

Hexagramm - PhönixrufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt