Kapitel 37

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Als ich am nächsten Morgen ins Shell Cottage zurückkehrte, hatten sich einige der Bewohner tatsächlich an einem Tisch davor zum Frühstück versammelt. Der Wind pfiff den Leuten um die Ohren und sie hatten sich alle in dicke Pullover gekuschelt. Hermine trug noch zusätzlich einen Schal, welcher ihre Verletzung an der Kehle verbarg. Trotz des Windes wirkten sie alle ganz zufrieden mit ihren für den Frühstück gewählten Platz.
Kaum erschien ich in Sichtweite der Leute am Frühstückstisch, erschien auf Finns Gesicht auch schon wieder ein glückliches Lächeln. Er legte seine Brötchenhälfte auf einem Teller ab und schob seinen Stuhl zurück, um mir entgegenzukommen.
„Der Abholservice für Azura", stellte er breit grinsend fest.
„Und für dich", fügte ich noch hinzu. „Und wenn du Zeit hast, könnten wir noch zusammen etwas machen, wenn sie sicher in Frankreich ist. Heute Nachmittag muss ich allerdings in Hogwarts auftauchen. Besprechung mit Snape."
„Ich habe in einer Stunde eine Besprechung bei der MACUSA. Wir können uns nach deiner treffen. Also wenn du Zeit für mich hast."
„Ein wenig auf jeden Fall", versprach ich.
„Das soll mir fürs erste reichen."
Ich nickte erleichtert. Das hatte ich hören wollen. Ich hatte mich allerdings auch auf Vorwürfe gefasst gemacht, weil ich mich nicht genug Zeit nahm. Daher war ich jetzt umso erleichterter, dass sie ausblieben.
„Azura wird gerade noch einmal von einem Heiler untersucht, ob sie wirklich verlegt werden kann. Also kann ich noch in Ruhe mein Brötchen aufessen. Ich würde dir ja auch etwas anbieten, aber das beißt sich wohl mit deiner Tarnung", stellte Finn fest.
Ich gab ein leises Grummeln von mir. Ja, damit hatte er leider recht. So gut der Kaffee hier auch roch, ich konnte keinen einzigen Schluck trinken. Ich würde einfach daneben sitzen müssen, bis dieser blöde Heiler fertig war. Dabei wollte ich am liebsten so schnell wie möglich wieder von hier verschwinden. So viel Zeit hatte ich bisher mit noch niemanden unter den Umhang verbracht. Außer mit der MACUSA, wo aber eh schon bekannt war, wer darunter steckte. Hier hatte ich aber immer die Gefahr, jemand würde mich doch noch erkennen.
Finn schien sich allerdings nicht allzu viele Sorgen darum zu machen, ob mich jemand erkennen könnte. Er zog mich zum Tisch, ließ sich wieder auf seinen Platz fallen und zog mich dann gleich auf seinen Schoß. Er begann einfach weiter zu frühstücken, als wäre ich nicht gerade angekommen.
„Wie ich sehe, beehren sie uns mal wieder mit ihrer Anwesenheit", stellte Bill Weasley schlecht gelaunt fest.
„Keine Sorge. Das hier wird voraussichtlich mein letzter Besuch. Sofern ich Azura Sansouci wieder nach Frankreich verfrachten kann, gibt es hier für mich nichts mehr zu tun. Dann werden wir uns wahrscheinlich so bald nicht wiedersehen."
„Außer sie greifen uns mit ihren Todesserfreunden an", zischte Ron mies gelaunt.
„Aktuell sind keine Angriffe auf das Shell Cottage geplant. Der dunkle Lord geht davon aus, ihr wärt schnell weitergezogen und nicht mehr hier. Es ist daher wieder ein untergeordnetes Ziel. Die Todesser sind aktuell damit beauftragt, herauszufinden, wie man in das ehemalige Schloss von Artemis hereinkommt. Ohne Erfolg allerdings."
„Und dir vertraut man solche heiklen Informationen bestimmt an", murrte der junge Weasley.
„Ich stehe sehr weit oben in der Nahrungskette. Also ja, ich weiß, wie der Stand diesbezüglich ist."
„Das tat Snape auch. Und er hat Dumbledore ermordet", wurde mir entgegengespukt, weshalb Finn ein leises Seufzen von sich gab. Dieses Argument hatte er wahrscheinlich in letzter Zeit sehr oft gehört. Vermutlich immer gepaart mit der Empfehlung, mich fallen zu lassen.
„Ihr müsst mir nicht vertrauen. Die Sicherheitsvorkehrungen hier sind hervorragend. Sprecht einen neuen Fidelius-Zauber, sobald ich weg bin. Dann komme nicht einmal mehr ich aufs Gelände."
„Das werden wir auch", bekam ich als patzige Antwort.
„Jetzt hört aber alle auf. Sie hat uns geholfen. Seid dankbar für ihre Hilfe, anstelle immer wieder auf sie loszugehen", fuhr Hermine Bill und ihren Freund an.
Erneut hatte ich das Gefühl, ein Déjà-vu zu erleben. Ron beschimpfte mich, Hermine schlug sich auf meine Seite. Genau wie in der Schulzeit. Scheinbar war es egal, ob das Trio wusste, wer ich war oder nicht. Ich hatte einfach diesen Effekt auf sie.
Ron sah als Antwort seine Freundin böse an. Ihm gefiel es genauso wie früher gar nicht, dass sie sich nicht einfach kommentarlos auf seine Seite stellte. Anders als früher schien er allerdings mit ihr keine lange Diskussion darüber führen oder Ewigkeiten die beleidigte Leberwurst spielen zu wollen. Vielleicht besann er sich auch einfach darauf, dass seine Freundin schwer verletzt und gefoltert worden war, und sie deshalb geschont werden musste.
Am Tisch wurde es ganz ruhig. Bill, Ron und Harry warfen mir misstrauische Blicke zu, während Hermine es mit einem freundlichen Lächeln versuchte. Nur manchmal war das Klappern von dem Geschirr zu hören, wenn jemand seine Kaffeetasse auf seine Untertasse abstellte.
„Du hast gemeint, du würdest eine hochrangige Todesserin sein", durchbrach schließlich Hermine das Schweigen am Tisch.
„So etwas habe ich gesagt", stellte ich unbekümmert fest.
„Dann hast du sicherlich auch Kontakt zu Tahnea."
Ich warf Finn einen verwirrten Blick zu. Wieso wollte Hermine plötzlich über mich reden? Wollte sie fragen, wie es ihrer alten Freundin ging?
„Man meidet besser den Kontakt zu ihr."
„Aber manchmal hast du ihn, nicht wahr?", wurde noch einmal nachgehakt.
„Was willst du über Tahnea wissen?"
„Wie es ihr geht? Wir waren Freundinnen, bevor – na ja – ihr Vater starb und sie ist danach durchgedreht."
„Sie ist schon vorher durchgedreht", unterbrach Ron seine Freundin. „Dumbledore wollte sie nicht im Orden haben, also hat sie einfach die Seiten gewechselt und uns im Stich gelassen."
„Das stimmt doch gar nicht. Sie hat uns die ganze Zeit geholfen. Erst hat sie uns bei Dumbledores Armee unterstützt, obwohl ihr sie alle wie eine Schwerverbrecherin behandelt habt, und dann ist sie uns ins Ministerium gefolgt, um uns zu helfen."
Finn warf mir einen amüsierten Blick zu. Wahrscheinlich war auch diese Argumentation nichts Neues mehr für ihn. Wie oft sich die drei Gryffindors wohl die letzten Tage darüber gestritten hatten, wer nun vertrauenswürdig war? Wie oft das Gespräch wohl auf unser früheres gemeinsames Leben hinausgelaufen war?
„Es ist zu spät deshalb zu streiten. Tahnea hat deine damalige Freundin vernichtet, Hermine. Sie ist fort."
„Das sagt Kira auch immer. Aber ich denke, sie hat unrecht."
„Würdest du dein Leben darauf verwetten?", hakte ich noch weiter nach. Anstelle zu antworten schluckte Hermine nur schwer. „Dachte ich mir. Halte dich von ihr fern. Sieh Tahnea als euren Darth Vader an. Ja, Patricia war eure Freundin, aber sie ist es nicht. Sie ist eine tödliche Mordmaschine."
Hermine öffnete den Mund, wahrscheinlich um mir zu widersprechen. Im nächsten Moment machte sie ihn allerdings schon wieder zu. Ich fragte mich, was an meinen Worten sie dazu gebracht hatte, nicht weiter mit mir zu diskutieren. Oder sah sie vielleicht einfach ein, dass ich nicht unrecht hatte.
In diesem Moment ging auch endlich die Tür zum Shell Cottage auf. Einer der Heiler der MACUSA kam herausgetreten. Sein Blick glitt über den Tisch mit den Leuten und blieb schließlich an Finn und mir hängen.
„Miss Sansouci kann nach Hause verlegt werden. Denken sie daran, rechtzeitig zurück im Hauptquartier zu sein, Mr Bucket. Ich denke, meine Anwesenheit ist nicht mehr von Nöten. Daher würde ich mich verabschieden." Der Heiler nickte noch einmal zum Abschied, bevor er sich langsam in Richtung Rand des Geländes bewegte.
Anders als er hatte ich es allerdings eilig. Ich sprang von Finns Schoß auf, nur um ins Haus zu rennen. Die Treppen herauf und in das Zimmer, in welchen man Azura untergebracht hatte. Finn folgte mir.
Als ich den Raum betrat, lag meine Verwandte noch immer in ihrem Bett. Man sah ihr noch immer an, wie sehr die letzten Wochen an ihr und ihren Kräften gezerrt hatten. Anders als Finn wirkte sie nicht wesentlich gesünder als noch vor ein paar Tagen. Ihr Haut war noch immer blass und ihr Körper ausgemergelt. Da sie bisher auch kaum ansprechbar gewesen war, überraschte es auch nicht wirklich. Anders als mein Freund hatte sie sich nicht den Bauch vollgeschlagen, um ihren ausgehungerten Körper wieder aufzupäppeln. Die Heiler hatten sie ernähren müssen und vor allem mit einem Haufen Heiltränke vollgepumpt.
Jetzt hatte sie allerdings ausnahmsweise ihre Augen geöffnet. Sie wirkte allerdings noch ziemlich benommen. Trotzdem erschien ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht, kaum dass sie mich sah.
„Du bist hier", brachte sie nuschelnd heraus.
„Finn und ich bringen dich nach Hause. Wir haben gerade vom Heiler die Freigabe dafür gekriegt."
„Sicher, dass du ihn mitnehmen willst. Ich glaube, dein Schatz könnte den Hintern versohlt kriegen."
„Da muss er dann durch.", erklärte ich ihr mit einem Augenzwinkern, weshalb Finn ein beleidigtes Schnauben von sich gab. „Bisher will ich ihn behalten, also müssen wir sie aneinander gewöhnen. Na komm, wir verfrachten dich jetzt auf eine Trage und dann ab nach Hause mit dir."
Ich sah zu Finn herüber, welcher jetzt wieder zufrieden grinste. Vermutlich weil ich gerade zugegeben hatte, unsere wackelige Beziehung beibehalten zu wollen. Auch wenn es vielleicht nicht das ist, was sich meine Adoptivfamilie vorstellte.
Ich beschwor eine Trage herauf. Finn hingegen trat ans Bett und hob die junge Frau darin einfach hoch, als wäre sie nur eine Spielzeugpuppe. Sie wurde vorsichtig auf dem Transportmittel abgelegt.
Wir wollten gerade wieder nach unten gehen, als die Tür zu dem Schlafzimmer erneut aufgerissen wurde. Zu meiner Überraschung und meinem Entsetzen kam Elaina mit ihren Drachen-Occamy Meggie auf der Schulter hereingestürmt. Charlie Weasley folgte nur Sekunden später.
„Azura, du bist wach!", rief die junge Frau erleichtert. Sie fiel ihrer ehemaligen besten Freundin um den Hals. Azura hingegen wirkte einfach nur verwirrt. Aufgrund ihrer Benommenheit schien sie gerade bei den ganzen Ereignissen nicht hinterherzukommen. Die Rothaarige schien das allerdings nicht zu bemerken: „Es tut mir leid. Ich hätte dich nicht wegschicken dürfen, als du zu mir gekommen bist. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Das kannst du dir gar nicht vorstellen."
„Elaina, wie wäre es, wenn du solche Reden schwingst, wenn Azura wieder auf den Beinen ist", schlug mein Freund vor.
Tatsächlich sprang nun die Rothaarige wieder auf. Anstelle ihm allerdings einfach zuzustimmen, stürmte sie auf ihn zu. Die Warnglocken in meinem Kopf sprangen an. Im nächsten Moment versuchte sie auch schon Finnlay zu Ohrfeigen, welcher diese allerdings abwehren konnte. Das schien die Rothaarige nur noch mehr in Rage zu bringen, die nun begann, wütend mit Fäusten auf meinen Freund einzuschlagen.
„Du hast hier gar nichts zu sagen, Bucket! Ich weiß genau, was du getan hast und vor allem warum du in England bist! Du wolltest Patricia umbringen, du Idiot! Du hast deine Ausbildung missbraucht, um sie zu töten. Nur wegen dir hat Azura in diesem Schlamassel gesteckt!"
„Sie erfreut sich noch bester Gesundheit. Nach unseren Informationen kam Bellatrix nach unserer Flucht noch in den Genuss ihrer Folterfähigkeiten. Ich glaube, bei ihr waren es aber weniger Psychospielchen als bei mir", verteidigte sich Finn.
„Elaina, hör auf. Er war genauso ein Opfer der Todesser wie Azura. Und bei Patricia hat er nur seinen Job gemacht." Charlie zog seine Freundin von meinem weg. Kurz sträubte sie sich, doch dann beruhigte sie sich. Finn wurde nur noch mit ihren Blicken erdolcht.
„Wir bringen Azura jetzt nach Hause", stellte ich klar.
„Dann kommen wir mit", bestimmte die Rothaarige, weshalb ich mir unruhig auf die Lippe bis. Das Letzte, was ich wollte, war, Elaina Caron in Frankreich zu haben und auch dort meine Maskerade weiter aufrecht erhalten zu müssen.
„Ich glaube nicht, dass es in ihrem Interesse wäre. Wie wäre es, wenn du ihr einen Brief schreibst. Wenn sie dich sehen will, wird sie sich melden, sobald sie dazu in der Lage ist", murrte Finn.
„Ach, und du denkst, du weißt, was sie will?", knurrte Elaina.
„Anders als du habe ich in den letzten eineinhalb Jahren Kontakt mit ihr gehabt. Und zwar welchen, bei dem ich sie nicht angeschnauzt habe."
Mein Blick glitt zu Azura. Sie hatte zwar noch immer ihre Augen offen, allerdings schien sie weiterhin dem Gespräch nicht folgen zu können. Kein Wunder, wo so viele Personen sprachen. Es war ihre Entscheidung. Ich sollte nicht aus selbstsüchtigen Gründen ihr die Versöhnung mit Elaina kaputt machen. Es war schon schlimm genug, dass die beiden sich wegen mir nicht vertragen hatten.
„Azura", sprach ich die junge Frau direkt an. Sofort fixierten ihre Augen mich. „Elaina ist hier, um dich zu besuchen. Sie kommt mit nach Frankreich, damit ihr dort in Ruhe reden könnt, wenn es für dich in Ordnung ist."
„Nicht heute", wurde mir erschöpft mitgeteilt, weshalb ich erleichtert aufatmete. Heute würde keine Versöhnung stattfinden.
„Doch, natürlich komme ich heute mit. Ich bin deine beste Freundin. Wir kennen uns, seit wir vier sind. Ich lasse dich nicht noch einmal gehen", rief Elaina verzweifelt. Dieses Mal schien Azura sie auch wahrzunehmen, jedenfalls sah sie die junge Frau an.
„Wir sind keine Freundinnen, Elaina", antworte Azura nun mit brüchiger Stimme. „Ich bin nicht mehr deine Leibwächterin, also sind wir nichts mehr."
Ich biss mir erneut auf die Unterlippe. Auch wenn es mir ganz recht war, wenn wir Elaina nicht mit nach Frankreich nehmen würden, erschraken mich die Worte doch ein wenig. Bei unserem letzten Gespräch über die Beziehung der beiden, ging es schließlich noch darum, dass Azura sie für mich aufgegeben hatte. Jetzt, wo Elaina ihr ein Friedensangebot machte, hatte ich nicht mit so einem Spruch gerechnet. Normalerweise sagten mir doch alle, ich sollte nicht aus Angst und Verletztheit alle Beziehungen zu Menschen zertrümmern. Jetzt hatte ich das Bedürfnis, der Verletzten das Gleiche zu sagen.
Allerdings würde ich das nicht. Azura stand hinter mir. Sie hatte mich vor meiner leiblichen Familie gedeckt und damit die Beziehung zu Elaina zerstört. Ich würde ihr nicht in den Rücken fallen, indem ich sie jetzt dazu überreden würde, ihre Meinung zu ändern. Nein, ich würde zu Hause noch einmal das Thema ansprechen.
„Was sagst du da? Das hört sich ja so an ... du warst nicht nur meine Leibwächterin", rief Elaina verzweifelt.
„Elaina, ich glaube, jetzt ist kein guter Zeitpunkt, um das zu diskutieren. Azura schafft es kaum, bei Bewusstsein zu bleiben. Finn hat Recht. Sie möchte momentan nicht mit dir reden. Gebe ihr die Zeit gesund zu werden und setzt euch dann in Ruhe zusammen."
„Nein, ich ..."
„Elaina. Nimm das Angebot an. Du siehst doch, wie es Azura geht. Beim letzten Mal bist du nicht gerade sanft mit ihr umgesprungen. Lass ihr die Zeit sich zu erholen und in Ruhe über alles nachzudenken", schaltete sich Charlie erneut ein.
„Nein, sie ist meine beste Freundin. Ich weiß, ich hätte nicht so mit ihr reden sollen, aber ... ich kann nicht." Der Rothaarigen entfuhr ein leises Schluchzen. Im nächsten Moment sah man ihr auch schon Tränen über die Wangen laufen. „Ich habe sie schon einmal verloren. Ich lasse das nicht noch einmal zu. Auch wenn sie es anders will. Mir egal, wenn sie behauptet, sie wäre nur meine Leibwächterin gewesen. Ich lasse mich nicht vergraulen."
„Ich weiß, du hattest Angst um sie, Elaina", stellte Charlie fest. Er zog seine Freundin an sich heran. „Sie wird dir allerdings in den nächsten Tagen nicht davonlaufen. Morgen früh reisen wir nach Frankreich, aber heute lassen wir sie erstmal wieder dort ankommen."
Die Rothaarige wirkte nicht ernsthaft so, als würde sich mein Vorschlag aus dem Mund ihres Freundes besser anhören. Noch immer liefen ihr Tränen über die Wange, während sie verzweifelt nach Hilfe im Raum suchte. Sie würde allerdings niemanden finden. Nicht einmal Meggie schien auf ihrer Seite zu stehen, denn diese hatte sich mal wieder auf ihren Kopf gelegt.
„Heute Abend. Wir gehen heute Abend zu ihr", verlangte Elaina.
„In Ordnung. Heute Abend", gab Charlie nach.
Na ob das eine gute Idee war? Ich vermutete, es würde kaum etwas an Azuras Meinung ändern, wenn sie den ganzen Tag über bewusstlos im Bett lag. Aber eine weitere Diskussion würde wohl kaum etwas bringen.

Ungeduldig beobachtete ich die Wand in meinem Wohnzimmer, welche den Geheimgang nach draußen versteckte. Eigentlich müsste sie sich endlich öffnen. Ich hatte Finnlay beschrieben, wo der Eingang lag, und hatte nach Ares Anleitung seinen Ring in einen Türöffner verwandelt. Wo blieb er also? Auf der anderen Seite, waren drei Minuten Verspätung schon ein Grund zum Ausflippen?
Gerade als meine Uhr eine Minute weiter sprang, trat Finnlay durch die scheinbar undurchlässige Wand. Tatsächlich hatte er eine Tüte mit Nachos unterm Arm und eine DVD in der Hand. Auch die Tasche, in welcher bei unserem ersten Treffen seine Kamera steckte, hatte er wieder dabei. Alles für unseren typischen gemeinsamen Abend auf dem Sofa.
„Dein Gang hierher habe ich echt unterschätzt. Ich habe 15 Minuten hierher gebraucht", stellte Finnlay gut gelaunt fest und legte seine Mitbringsel auf meinem Sofatisch ab. Dann schmiss er sich neben mich auf die Couch. Zufrieden kuschelte ich mich an ihn.
„Habe schon überlegt, ob sie dich wieder geschnappt haben. Ich bin wahrscheinlich etwas paranoid geworden."
„Kann ich verstehen. Ist momentan eine gefährliche Zeit da draußen. Aber ich habe einfach nur die Länge deines Geheimgangs unterschätzt. Und wenn hätte mich eher dein Vater erwürgt als ein Todesser. Ich war nach meiner Besprechung wieder in Frankreich, um nach Azura zu sehen. Wenn du nicht daneben stehst, ist er wesentlich schlechter auf mich zu sprechen. Eigentlich hat er mir sogar gesagt, wenn ich mich nicht so gut um Azura gekümmert hätte, hätte er mir eine ordentliche Tracht prügel verpasst und dann irgendwo am Straßenrand ausgesetzt."
Ich musste grinsen. Das hörte sich sehr nach meinem Onkel-Vater an. Ich hatte mich schon gewundert, dass Finn ohne blöde Kommentare davonkam, als wir Azura zurückgebracht hatten. Zwar hatte ich gehofft, die Aufmerksamkeit würde auf der Verletzten liegen, aber irgendwie war es mir dann doch ein Stück zu friedlich gewesen. Anscheinend hatte sich meine Familie für mich auch einfach sehr zurückgehalten.
„Gibt es etwas Neues von Azura?", fragte ich besorgt.
„Sie hat eigentlich die ganze Zeit geschlafen. Euer Heiler-Hauself meinte, dass würde wohl auch noch die nächsten Tage so bleiben. Sie braucht Zeit, um zu heilen."
Ich seufzte leise. Zwar stimmte dieser Bericht mit dem des MACUSA-Heilers überein, allerdings hatte ich trotzdem auf einen anderen gehofft. Ich hatte gehofft, sie hätten nicht nur extra Medikamente für mich, sondern eben auch für die restlichen Mitglieder der Familie. Allerdings gab es sie wohl nicht. Oder jedenfalls nicht für diese Situation.
Ich schob den Gedanken bei Seite. Es brachte nichts, mir jetzt über die Gesundheitsversorgung meiner Familie den Kopf zu zermartern. Finnlay war hier, was auch hieß, dass wir das erste Mal seit seiner Entführung wirklich ungestört Zeit miteinander verbringen konnte. Es war niemand Drittes in der Wohnung, niemand konnte einfach hereinplatzen und wir mussten daher auch nicht ständig darauf vorbereitet sein, ein Blutbad vorzutäuschen.
„Willst du dir meine Wohnung ansehen. Sie ist ein wenig größer als deine Waldhütte."
„Das habe ich mir schon fast gedacht. Schließlich ist dein Wohnzimmer schon so groß wie meine Hütte."
Ich musste schief grinsen. Damit hatte er nicht ganz unrecht. Wenn man es genau nahm, müsste es sogar größer sein. Allerdings würde ich ihm das nicht unter die Nase reiben.
„Zeig mir dein zu Hause. Und wenn der Krieg vorbei ist, zeige ich dir meine eigentliche Wohnung in Amerika."
„Ich dachte, dann kaufen wir ein Wohnmobil und reisen durch die Weltgeschichte."
„Machen wir auch. Aber vorher gebe ich mit meiner Wohnung an. Nach diesem Wohnzimmer habe ich das Bedürfnis, das zu tun. Ich bin mir sicher, meines ist noch einmal fünf Quadratmeter größer."
„Ich mochte eigentlich unsere kleine Hütte. Sie war alles, was wir brauchten."
„Ich hoffe, das sagst du auch über unser Wohnmobil. Ich habe Kataloge dabei." Mein Freund griff in seine Tasche herein. Tatsächlich holte er gleich sieben heraus. Anscheinend hatte er die Zeit zwischen seinem Meeting und unserem Treffen nicht nur dafür genutzt, noch einmal nach Azura zu sehen, sondern hatte auch einen Zeitschriftenladen leer gekauft.
„Ich brauche nicht viel", gab ich ehrlich zu.
Sollte ich den Krieg überleben, war es mir ziemlich egal, wie viel Platz ich zum wohnen hatte. Hauptsache es war ein Ort, wo ich meinen Frieden finden konnte.


Hexagramm - PhönixrufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt