Kapitel 45

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Es war irgendwie komisch, wie vertraut und gleichzeitig befremdlich es sich anfühlte, durch die Geheimgänge von Hogwarts zu schleichen. Obwohl ich schon seit zwei Jahrzehnten nicht mehr hier zur Schule ging, sahen sie noch genauso aus wie damals. Höchstens die Staubschicht war dicker geworden. Gleichzeitig fühlte es sich allerdings so befremdlich an. Es war fast, als würde man in der Luft riechen können, dass gerade ein Krieg direkt in diesen Gemäuern stattfand.
Wir erreichten das Ende des Ganges. Nur eine Geheimtür trennte uns noch von dem ersten Stock des Schlosses. Wir hatten beschlossen, lieber nicht einfach die Treppe in die Eingangshalle herauf zu stiefeln. Zum einen, weil wir keine Ahnung hatten, wie die Lage gerade in Hogwarts aussah. Wir wussten nicht, wo sich wer aufhielt und auch nicht, ob erneut ein Kampfgeschehen ausgebrochen war. Da die Todesser allerdings zwischenzeitlich die Schule verlassen hatten, war die Wahrscheinlichkeit höher, dass hier oben gerade keine Flüche flogen. Der andere Grund für diesen Platz war, die gute Position für einen Überraschungsangriff. Mit Pfeil und Bogen konnten wir von hier wesentlich besser angreifen, wenn wir eine erhöhte Position hatten.
„Zeit, sich zu trennen", stellte Maélys fest und sah etwas finster zu den Nymphen, die sich aus den Kämpfen heraushalten wollten. „Für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand hier hereinkommt, schockt ihr ihn. Fragen könnt ihr später stellen. Carolin, überprüfe, ob der Flur sauber ist!"
Anstelle der Aufforderung nachzukommen, sah ich zu Adina, welche noch immer wie ein Häufchen Elend aussah. Trotzdem hatte sich ihre zitternde Hand um ihren Zauberstab geschlossen, als die Kriegsnymphe ihre Ansprache gehalten hatte. Sie schien tatsächlich vorzuhaben, gleich diesen Geheimgang mit uns zu verlassen.
„Adina, du solltest hierbleiben. Ich verspreche dir, wir werden deine Familie beschützen. Aber dort draußen, wirst du uns keine Hilfe sein."
„Patricia hat mich hierfür ausgebildet."
„Sie hat dich ausgebildet, damit du bei deiner Familie bleiben und sie bei ihrer Mission unterstützen kannst. Nicht damit du in einen Krieg ziehen kannst. Bleibe hier", redete ich auf die junge Wassernymphe ein.
Jetzt gerade bereute ich es etwas, Remus und Samuel verboten zu haben, mit nach hier oben zu kommen. Als wir aufgebrochen waren, kam es mir noch wie das Richtige vor, wo der Werwolf doch verletzt war und deshalb nur humpeln konnte, während mein Großcousin noch immer nicht das Laufen wirklich beherrschte. Aber beide hätten ein Auge auf Adina haben können. Jetzt war es aber zu spät, sie zu holen.
„Malfoy, sitz machen, sonst wirst du als Erstes geschockt", drohte Maélys genervt. Gleichzeitig hob sie auch schon drohend den Zauberstab.
Die Slytherin schien jetzt innerlich zusammenzubrechen. Ihre Schultern sackten nach unten, dann öffnete sich ihre Hand, weshalb ihr Zauberstab klappernd zu Boden fiel. Vorsichtig strich ich ihr noch kurz über die Schulter, bevor ich Maélys Aufforderung nachkam, zu überprüfen, ob wir den Geheimgang verlassen konnten. Ich verbesserte mein Gehör, um herauszufinden, ob sich dort jemand aufhielt. Auf der anderen Seite der Geheimtür war allerdings nichts außer Totenstille wahrzunehmen. Man hörte kein Atmen einer Person, keine Flüche, die irgendwo einschlugen, und auch keine Schritte.
„Sauber", berichtete ich.
Maélys zog mich wieder von der Tür weg, nur um als Erstes durchzutreten. Mit einem leichten Augenverdrehen folgte ich ihr. Wir hatten alle keine Ahnung, ob wir uns noch immer eine Lebensenergie teilten oder nicht. Es war also wahrscheinlich ziemlich egal, wer das Risiko von uns beiden einging und als Erstes herausrannte. Wenn ich mich irrte, hatten wir ein Problem.
Ich folgte der Kriegsnymphe in den dunklen Korridor von Hogwarts. Tatsächlich war er bis auf Maélys komplett leer. Durch die hohen Fenster konnte man sehen, wie sich das Licht langsam seinen Platz erkämpfte und die Schatten der Nacht vertrieb. Es war schon hell genug, damit man in der ferne die dunklen Bäume des verbotenen Waldes erkennen konnte. Ob Patricia wohl noch immer dort war? Hatte sie ihren Kampf gewonnen? War sie verletzt worden? Oder schlich sie uns schon längst hinterher? Würde sie gleich doch noch aus dem Geheimgang treten, breit grinsend und stolz auf ihre Leistung?
„Da ist er ja", murmelte in diesem Moment Maélys, die direkt an die Fenster getreten war. Während sie auch schon Pfeil und Bogen von ihrem Rücken löste, trat ich neben sie, um zu sehen, was die andere Nymphe entdeckt hatte.
Ernsthaft nach ihrer Entdeckung musste ich nicht suchen. Der Massenauflauf am Eingangsportal war nicht wirklich übersehen. Direkt auf den Stufen davor standen die Kämpfer aus Hogwarts. Sie wurden von hinten mit Licht aus der Eingangshalle beschienen. Als ich meine Augen verbesserte, erkannte ich sogar ein paar bekannte Gesichter. Elaina, Jean, einige Kämpfer des ersten Ordens, Lehrer ... Ihnen gegenüber und einige Meter entfernt hatten sich Todesser versammelt. Eine Masse aus in schwarz gekleideten Menschen, die alle ein zufriedenes Grinsen zur Schau stellten. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass Harry regungslos vor Voldemorts Füßen lag. Ob es ihm wohl gut ging? Auch wenn Dumbledore und deshalb auch Patricia davon ausgegangen waren, er würde einen erneuten Todesfluch überleben, hieß es ja noch lange nicht, er wäre unverletzt. Vielleicht war er ja nicht tot, aber kurz davor ...
„Carolin, ist das die Schlange um Voldemorts Hals?", fragte Maélys ungeduldig. Mittlerweile war ihr Bogen auch schon schussbereit. Sie würde einfach nur noch die Sehne zurückziehen und loslassen müssen, schon würde die Waffe durch die Luft segeln und sich hoffentlich in ihr Ziel bohren.
Ich wandte meinen Blick von Harry ab, um Voldemort genauer zu betrachten. Tatsächlich hatte er sich Nagini um den Hals gelegt. Der letzte Horkrux war ungeschützt. Er hing einfach um seinen Pfeil, bereit ebenfalls noch vernichtet zu werden. Er und auch das Lebewesen, welches ihn beherbergte. Die arme Nagini.
Maélys schien allerdings kein Gedanken daran zu verschwenden, dass man nicht nur einen Horkux vernichten würde. Sie ließ einfach die Glasscheibe vor sich verschwinden, weshalb man nun hörte, was unten auf dem Schlossgelände besprochen wurde.
„Es wird an der Schule von Hogwarts keine Auswahl mehr geben", hörten wir Voldemort verkünden. „Es wird keine Häuser mehr geben. Das Wappen, der Schild und die Farben meines edlen Vorfahren Salazar Slytherin werden für jedermann genügen, nicht wahr, Neville Longbottom?"
Ich suchte das Gelände nach Alices und Franks Sohn ab. Ich brauchte ein paar Sekunden, um ihn im Niemandsland zwischen den beiden Parteien zu entdecken. Ganz alleine stand er dort, das Kinn stolz in die Luft gereckt. Sein Zauberstab lag etwas von ihm entfernt auf den Boden, während ein Ganzkörperkammerfluch ihn unbeweglich hielt. Im nächsten Moment flog auch schon der sprechende Hut auf seinen Kopf und rutschte über seine Augen. Nun kam Bewegung in die Zuschauermenge am Schloss. Synchron hoben die Todesser drohend ihre Stäbe, damit niemand dort auf die Idee kam, Neville zur Hilfe zu eilen.
Eilig löste ich ebenfalls meinen Bogen vom Rücken, legte einen Pfeil ein und zielte. Zwar hatte ich keine Ahnung, was die Hadesnymphe vor hatte, doch bei einer Sache war ich mir absolut sicher. Es waren keine guten Absichten.
„Neville hier wird nun vorführen, was mit jedem geschieht, der so töricht ist, mir weiterhin Widerstand zu leisten", sagte Voldemort und mit einem Schlenker seines Zauberstabs ließ er den sprechenden Hut in Flammen aufgehen.
Schreie waren zu hören. Neville stand noch immer in der Mitte des Platzes, aufgrund des Zaubers unbeweglich und nicht in der Lage, sich selbst zu retten.
Maélys und ich zögerten beide nicht. Fast synchron ließen wir die Sehnen los, weshalb die Pfeile fast lautlos durch die Nachtluft flogen. Während meiner auf den sprechenden Hut zuflog und diesen von Nevilles Kopf riss, bohrte sich die Waffe der Kriegsnymphe in die Schlange, welche leblos von Voldemorts Schultern rutschte. Der Hadesnymphe entfuhr ein lauter Wutschrei, welcher allerdings in den neu ausgebrochenen Lärm unterging.
Fast gleichzeitig füllte sich das Schlossgelände plötzlich mit Menschen. Es war fast, als hätte man aus Versehen in ein Ameisennest gestochen. Von den Rändern des Schlossgeländes und dem verbotenen Wald kamen bestimmte mehrere hundert neue Kämpfer. Ich erkannte die Gewänder der amerikanischen und kanadischen Auroren und auch die Mitglieder der Kriegsnymphenfamilie. Zu gleichen Zeit kam ein Riese um die Ecke des Schlosses getrampelt.
„Hagger!", rief er besorgt und stürmte in Richtung der Todesser.
Im ersten Moment überlegte ich, ob er wohl einen der anderen Riesen gemeint hatte, doch diese reagierten ziemlich aggressiv auf ihren Artgenossen. Sie antworteten mit Gebrüll und stürmten auf ihn zu, weshalb die Erde erbebte.
Dann mischte sich auch noch Hufgeklapper unter den Lärm. Im nächsten Moment schossen schon weitere Pfeile durch die Luft. Dieses Mal kamen sie allerdings nicht von unserer kleinen Gruppe, sondern von Zentauren, die aus dem Wald galoppiert kamen. Anscheinend hatten sie den Nichteinmischungsgrundsatz an den Nagel gehangen.
Unten entstand ein unübersichtliches Getümmel. Die Todesser stoben auseinander, um von den neuen Angreifern und den stampfenden Füßen der Riesen zu fliehen. Sie vermischten sich mit den Kämpfern aus Hogwarts und den Neuankömmlingen, weshalb wir von hier oben nichts mehr ausrichten konnten. Zu groß war die Gefahr, dass jemand anderes in die Schussbahn trat.
„Runter!", befahl Maélys und drehte sich auch schon von dem Fenster weg. Ohne zu zögern, lief sie auch schon los. Den Bogen noch immer in der Hand, einen neuen Pfeil schon eingelegt. Vermutlich hoffte sie, an den Treppen noch ein paar Todessern einen Pfeil in den Körper jagen zu können.
Ich wollte mich gerade wegdrehen, da vermischten sich neue Tierlaute mit dem Lärm von draußen. Um die Köpfe der Riesen kreisten Thestrale und Hippogreifen, angeführt von Seidenschnabel. Die fliegenden Wesen versuchten, den Riesen die Augen auszukratzen, während der Riese, der Hagger geschrien hatte, auf seine Artgenossen einschlug.
„Carolin!", wurde ich von Maélys angefahren.
Sirius legte mir eine Hand auf die Schulter und zog mich vorsichtig von der fehlenden Fensterscheibe weg. Er nickte in die Richtung, in welcher die Eingangshalle lag. Ja, wir sollten gehen und nicht nur nutzlos den Wesen beim Kämpfen zusehen.
Ich riss mich von dem Anblick der Schlacht draußen los. So wie Maélys zog ich ebenfalls einen weiteren Pfeil aus dem Köcher und legte ihn ein. Sirius hingegen hatte lieber seinen Zauberstab herausgeholt, bereit gleich mit Flüchen auf die Todesser zu feuern.
Tatsächlich war der erste Stock wie leergefegt. Man sah zwar überall die Spuren der vorangegangen Kämpfe, doch sie selbst tobten hier schon länger nicht mehr. Nur noch Trümmer, Glassplitter und Blutspuren zeugten von ihnen. Ob man es wohl geschafft hatte, alle verletzen zu bergen? Oder lagen hier noch welche von ihnen, eingeklemmt unter den Schutt, darauf hoffen, dass jemand sie fand, bevor sie ihren Verletzungen oder der mangelnden Sauerstoffversorgung erlagen.
Mein Blick glitt zu Sophia, welche wohl einen ähnlichen Gedankengang hatte. Jedenfalls betrachtete sie mit besorgtem Blick genauso wie ich das Chaos um uns herum.
„Carolin?", fragte mich Sirius besorgt.
„Glaubst du, sie konnten alle bergen?"
„Sie haben es auf jeden Fall versucht. Die meisten Schutthaufen sind nicht so zusammengefallen."
Ich sah mir noch einmal die Schutthaufen an, doch ich wusste nicht, woran er es ausmachte. Allerdings hatte er als Auror auch wesentlich mehr zusammengefallene Häuser und Wände gesehen als ich. Außerhalb von Ordensmissionen hatte ich immer nur die Verletzten von den Schlachtfeldern im St. Mungos versorgt. Ich war nie für die Erstversorgung herausappariert. Das waren immer Kollegen.
„Ich hoffe, es ist das letzte Schlachtfeld, welches ich je sehen muss", murmelte ich.
„Das hoffen wir alle, Prinzessin", erwiderte mein Ehemann.
„Sogar ich", gab Maélys zu. „Obwohl ich eigentlich gerne den Todessern in den Arsch trete, ist es mir lieber, wenn ich es nicht muss."
„Und trotzdem hast du in der Zwischenwelt wegen sehr viel Langeweile geklagt, weil du nicht kämpfen konntest", zog Sirius sie auf.
„Vernünftige Trainingskämpfe würden mir ausreichen", wurde uns versichert, auch wenn ich etwas Zweifel daran hatte. Sie war die Kriegsnymphe. Die Liebe zu einem guten Kampf gehörte zu ihrer DNA, so wie meine Liebe zu der Natur und den verschiedenen Wesen auf dieser Welt.
Langsam kamen wir den Treppen in die Eingangshalle näher. Nun hörte man erneut das Kampfgetümmel. Zaubersprüche, die laut ausgesprochen wurden, Flüche die in das Gemäuer krachten, Schmerzensschreie, wenn jemand getroffen wurde. Sehr viel Stoff für viele weitere Albträume.
Wir verlangsamten unsere Schritte, um nicht durch das Trommeln unserer Füße auf den Boden unsere Position zu verraten. Es hatte anscheinend niemand realisiert, dass wir die beiden Schüsse aus diesem Stockwerk abgegeben hatten. Je nach Lage dort unten konnten wir daher einen zweiten Angriff aus dem Hinterhalt starten.
Schließlich erreichten wir endlich die Treppen nach unten. Die Kämpfe hatten sich mittlerweile weitestgehend nach drinnen verlagert. Auch hier herrschte ein großes Chaos, in welchem die Menschen wild durcheinanderliefen. Trotzdem hob Maélys nun ihren Bogen, vermutlich, weil sie aufgrund der geringeren Distanz die Lage wesentlich besser einschätzen konnte. Sie sah uns andere kurz fragend an. Ich wusste, was sie von mir wissen wollte. Ob wir bereit waren.
Ich hob meinen Bogen ebenfalls hoch und nickte leicht. Ich war bereit, jedenfalls so bereit, wie man sich für einen Krieg fühlen konnte. Die anderen um uns herum taten es gleich. Sie hoben ihre Waffen, bereit gleich das Feuer zu eröffnen. Natasha klimperte sogar leise und ungeduldig mit einer Metallpeitsche. Der einzige Grund, warum sie noch nicht heruntergerannt war und sie als Elektroschocker benutzt hatte, war vermutlich, dass sie uns hier oben noch den Überraschungsmoment lassen wollte.
Fast schon lautlos traten wir an den oberen Treppenabsatz. Ich zielte auf eine dunkle Gestalt, welche sich gerade von hinten an Professor McGonagall anschlich. Er hatte wohl keinen Zauberstab mehr, jedenfalls hatte er anstelle der üblichen Waffe einen Stein in der Hand. Die Lehrerin für Verwandlung konnte ihn nicht sehen, weil sie zu sehr in ein Duell mit einem anderen schwarzen Magier vertieft war.
Und dann ließen wir erneut fast zeitgleich die Pfeile fliegen, während Sirius vor unserer Gruppe ein Schutzschild errichtete. Eine gute Idee, denn im nächsten Moment flogen auch schon mehrere Flüche in unsere Richtung, weshalb wir uns hinter den Wänden in Sicherheit brachten.
Lange hielt das Prasseln der Flüche allerdings nicht an. Vermutlich waren die Leute, die uns entdeckt hatten, damit beschäftigt, unten jemanden zu bekämpfen. Vorsichtig spähte ich um die Ecke, weshalb ich sah, dass Natasha lieber die Treppe heruntergelaufen war, als unten bei uns zu bleiben. Deborah entdeckte ebenfalls ihre Tochter unten. Ein kurzer Lichtblitz und schon stand sie ebenfalls in der Eingangshalle und gab ihr Rückendeckung. Allerdings war ich mir gar nicht so sicher, ob die junge Gewitternymphe diese brauchte. Sie bewegte sich mit dem Lasso, als hätte sie nie etwas anderes in ihrem Leben gemacht, als auf diese Art und Weise zu kämpfen.
Ich legte einen neuen Pfeil in meinem Bogen, spannte die Sehne und richtete meine Waffe aus. Erneut schoss ich, nur um mich im nächsten Moment hinter den schützenden Wänden hier oben in Deckung zu gehen. Wieder flogen kurz Flüche an uns vorbei und dieses Mal waren auch Schritte auf der Treppe zu hören. Jemand hatte wohl beschlossen, wir wurden zu einem Problem, um das man sich kümmern musste.
In diesem Moment war ein lauter Knall zu hören. Ich widerstand den Drang, nach unten zu sehen, weil ich Angst hatte, dann würde mich einer der Flüche erwischen. Maélys sah es allerdings wohl anders. Sie ließ ihren Zauberstab in ihre Hand gleiten, sprang hinter der Mauer hervor und schoss ein paar Flüche auf die Heraufkommenden.
„Maélys Acouret!", hörte ich in diesem Moment Professor McGonagall erschrocken und gleichzeitig verwirrt rufen.
Jetzt sah ich doch vorsichtig um die Ecke. Die Kriegsnymphe reagierte gar nicht auf den Ruf. Sie schoss lieber weiter Flüche auf die vier Todesser, die versuchten heraufzukommen. Sie wirbelte dabei von einem zum nächsten und wich den Flüchen ihrer Gegner aus. Ein zufriedenes Grinsen war auf ihrem Gesicht zu sehen.
Unten in der Eingangshalle war die Tür zu den Küchen geöffnet worden, aus der gerade Hauselfen strömten. Sie alle hatten irgendwelche Küchengegenstände als Waffen dabei: Messer, Pfannen, Töpfe ... eben alles, was sie finden konnte. Angeführt wurden sie von zwei etwas seltsamen Hauselfen. Einer von ihnen hatte Kleidung an, was für sich genommen schon nicht zu der Art passte, doch gleichzeitig war es einfach nur geschmacklos. Es passte einfach nichts zusammen: Er trug Krawatte zur Sporthose und verschiedenfarbige, grelle Socken. Dazu balancierte er auf dem Kopf drei Strickmützen, die farblich weder zueinander noch zu seiner Fußbekleidung passten. Der andere wirkte im Vergleich sogar recht normal. Er war um einiges älter als der gekleidete Elf. Seine Haut war so faltig, dass ein wenig so wirkte, als hätte er sie eine Nummer zu groß bestellt und aus seinen Ohren wuchsen weiße Haarbüschel. In dieser Hinsicht war er einfach ein normaler alter Elf. Sehr zu meiner Überraschung trug er allerdings ein Medaillon um den Hals. Schmuck sah man ebenfalls normalerweise nicht an dieser Art.
„Kämpft! Kämpft! Kämpft für meinen Herrn, den Beschützer der Hauselfen! Kämpft gegen den dunklen Lord, im Namen des tapferen Regulus! Kämpft!", rief einer, der vorne Weg lief.
Automatisch musste ich grinsen, weil mir dieser einfache Satz verriet, wer dort eigentlich in den Kampf zog. Es gab wohl nur eine Hauselfe auf dieser Welt, die im Namen meines Schwagers kämpfen wollte. Kreacher.
Anstelle die Hauselfen bei ihrem Kampf zu beobachten, lud ich erneut meinen Bogen. Dieses Mal schoss ich allerdings nicht in die Eingangshalle, sondern zielte auf einen von Maélys Gegnern. Zielen, loslassen, warten, bis der Pfeil trifft, nachladen. Ich hatte das Gefühl, Frédéric würde wie beim Training in der siebten Klasse hinter mir stehen und genau erklären, was ich als Nächstes machen musste, um mein Ziel zu treffen. Allerdings waren es heute keine Zielscheiben, die ich in der Mitte treffen sollte, sondern ich zielte auf Körper. Ein falscher Schuss und anstelle jemanden kampfunfähig zu machen, wäre er tot.
„Adina!", hörte ich in diesem Moment eine Frau verzweifelt schreien.
Als ich in die Richtung des Rufes sah, entdeckte ich Narzissa und Lucius Malfoy, welche sich einander fest umklammerten. Sie sahen hoffnungsvoll in unsere Richtung, vermutlich weil sie davon ausgingen, wir hätten ihre Tochter bei uns.
„Sirius!" Ich zeigte auf die beiden Erwachsenen, damit er mir half, sie hier wegzuschaffen, so wie ich es ihrer Adoptivtochter versprochen hatte. Im nächsten Moment bereute ich es allerdings auch schon. Vermutlich konnte ich hier jeden darum bitten, dabei zu helfen, sie in Sicherheit zu bringen. Wirklich jeden. Nur eine Person nicht. Meinen Ehemann. Er musste selbst entscheiden, ob er einen Schritt auf seine Cousine zumachen wollte oder nicht. Und auch, ob er ihr jetzt aus der Klemme helfen würde.
„Geheimgang oder Patricias Wohnung?", wurde ich fast schon tonlos gefragt.
„Hauptsache sicher", gab ich zu. Auch wenn ich sie am liebsten zu Adina schaffen wollte, hatte das Priorität. Sie sollten keinen Schaden abkriegen und ich wollte eigentlich auch möglichst schnell hierherzurückkehren. Jeder weitere Zauberstab konnte nur helfen, damit alles möglichst bald beendet war und es hoffentlich wenig weitere Verluste gab.
„Ich bringe sie weg. Du musst mir nur helfen, sie in den Gang da vorne zu bringen."
Ich nickte dankbar. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Es hatte so lange gedauert, bis Sirius bereit gewesen war, auf Regulus zuzugehen, und bis heute hatten sie ein ziemlich angespanntes Verhältnis. Dass er seine Cousine in Sicherheit bringen würde, hätte ich wirklich nicht gedacht.
„Ich liebe dich, Stallbursche", erklärte ich meinem Ehemann noch, bevor ich meinen Platz am oberen Treppenabsatz aufgab. Pfeil und Bogen befestigte ich wieder auf den Rücken, während ich den Zauberstab herauszog, den mir Patricia besorgt hatte. Das Holz fühlte sich irgendwie merkwürdig in meiner Hand an. Mein eigentlicher Zauberstab hatte sich immer angefühlt, als wäre er ein Teil von mir, aber dieser war fremd. Er gehörte nicht zu mir und ich nicht zu ihm.
Zusammen liefen Sirius und ich die Treppe herunter. Maélys war mittlerweile auch schon im Kampfgetümmel angekommen. Sie wirbelte noch immer zwischen den Gegnern hin und her, ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Sie hatte eindeutig zu viel Spaß.
Sirius und meine Anwesenheit blieb nicht lange unbemerkt. Die meisten sahen uns kurz an, als wären sie Muggel und wir Geister, bevor sie wieder von den Flüchen um sie herum abgelenkt wurde.
„Carolin!", hörte ich Jean über den Lärm hinwegschreien.
Ich wirbelte herum, weshalb ich sah, wie ein Fluch auf meine unaufmerksame Cousine fast von einem Fluch getroffen wurde. Im letzten Moment riss Avril sie noch zu Boden, weshalb er nur die Wand krachte.
Hinter mir war ein lauter Knall zu hören, weshalb ich erneut herumwirbelte. Sirius hatte hinter mir ein Schutzschild erscheinen lassen, in welcher ein Fluch geknallt war.
Ich musste mich konzentrieren. Das hier war ein Schlachtfeld und nicht der richtige Moment, das Wiedersehen mit dem lebendigen Teil meiner Familie zu zelebrieren. Also zwang ich mich dazu, nicht noch einmal zu Jean zu sehen, sondern mich auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Meine Cousine hatte Unterstützung von ihren Freundinnen, Sirius und ich würden nun den Malfoys zur Hilfe eilen. Adina zu liebe.
Wir kämpften uns weiter in Richtung der beiden Malfoys, welche langsam die Kämpfe um sich herum nicht mehr ignorieren konnte. Immer wieder flogen doch Flüche in ihre Richtung. Es waren eigentlich immer Blindgänger, die eigentlich jemand anderes hätte treffen sollen, doch dadurch waren sie nicht weniger gefährlich. Und auch die Hauselfen, die auf jeden losgingen, der irgendwie nach Todesser aussah. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis jemand den Kampf gegen Narzissa und Lucius Malfoy aufnahm.
„Wo ist Adina?", wurden wir panisch gefragt, kaum waren wir bei Sirius Cousine angekommen.
„In Sicherheit", versicherte ich der blonden Frau, welche sich noch immer suchend nach ihren Kindern umsah.
„Etwas, was man von euch nicht behaupten kann. Ich bringe euch von hier weg", bestimmte Sirius.
„Nein, Draco ist verschwunden", entgegnete die andere Frau panisch.
„Wenn er noch hier oben ist, bringen wir ihn zu euch. Wenn er auch nur ein wenig Verstand hat, hat er sich schon längst in einem Geheimgang verkrochen. Also kommt!", kam die genervte Antwort meines Ehemanns. Er lief schon in einen der Flure herein, der von der Eingangshalle weg und durch das Erdgeschoss führte. Narzissa und Lucius Malfoy warfen sich noch kurz einen Blick zu, doch schließlich folgten sie Sirius. Jedoch nicht ohne sich immer wieder umzudrehen und nach ihren Sohn Ausschau zu halten.
Ich wandte mich von der fliehenden Gruppe wieder ab und dem Kampfgeschehen hier wieder zu. Durch das Auftauchen der ganzen neuen Verbündeten waren die Todesser förmlich überrannt worden. Die meisten waren nicht mehr Lage zu kämpfen oder versuchten lieber zu fliehen, anstelle noch weiter zu kämpfen. Nur in der großen Halle, in die sich alles drängte, was noch laufen konnte, waren noch die Geräusche von Kämpfen zu hören. Diese und das überraschte Flüstern von Harrys Namen. Er hatte sich wohl wieder lebend gemeldet.
Ich versuchte, mich ebenfalls in die große Halle zu kämpfen. Hier draußen war nirgendwo Voldemort zu sehen, also musste er dort sein. Und ich war bereit, unsere Revanche auszutragen. Mein Ziel zu erreichen war allerdings gar nicht mal so einfach, weil die Tür mit Leuten verstopft war.
„Carolin! Runter!", hörte ich in diesem Moment Marlene rufen. Ohne zu zögern, ließ ich mich auf den Boden fallen, weshalb ein Fluch über mich hinweg raste. Er krachte gegen die Tür der Halle, welche durch die Wucht aus den Angeln gerissen wurde und in die Menschenmenge. Diese stob schreiend auseinander.
Ich blieb nicht lange am Boden. Jemand packte mich an der Schulter, zog mich auf die Beine und hielt mir den Zauberstab an der Kehle. Dann wurde ich langsam rückwärts gezogen. Ohne groß darüber nachzudenken, verwandelte ich meine Fingernägel in lange Krallen, nur um diese in die Seite meines Entführers zu rammen. Dieser schrie auf und ließ seinen Griff um mich locker. Ich brachte etwas Abstand zwischen uns, wirbelte herum und schlug dem fremden Mann mitten ins Gesicht. Die Nase gab aufgrund meines Schlags knirschend nach, während mein Gegner ein paar Schritte zurückmachte. Ein fremder Schockzauber traf ihn und er brach zusammen.
„Niemand außer mir entführt meine Prinzessin", zischte Sirius und zog mich wieder an sich, während er wütend den geschockten Gegner anstarrte.
„Sind die Malfoys im Geheimgang?", hinterfragte ich das Auftauchen meines Ehemanns.
„Ja, sind sie. Ich habe dir versprochen, sie wegzubringen, also habe ich es getan."
„Danke."
Ich zog Sirius erneut in Richtung der großen Halle. Es gab so viel zu besprechen, allerdings würden wir das alles auf später verschieben müssen. Auf nach diesem Kampf. So wie alle anderen auch.
Dieses Mal kamen Sirius und ich durch die Tür. Dadurch, dass eine Seite aus der Verankerung gerissen war, hatten die Leute reis aus genommen und sich lieber woanders an die Wand gestellt. In der Mitte war allerdings ein größerer Platz frei, auf welchem sich Voldemort und Harry gegenüberstanden. Die anderen Nymphen, die bereit gewesen waren, am Kampf teilzunehmen, hatten sich zwar von den Zuschauern am Rand gelöst, griffen allerdings auch nicht ein. Maélys hatte wenigstens schon wieder Pfeil und Bogen herausgezogen, bereit jederzeit in Voldemorts Kopf zu schießen. Die Art, wie sie immer wieder an der Sehne spielte, verriet mir auch, dass sie darüber nachdachte, einfach doch zu schießen, anstelle noch abzuwarten. Ich würde sie definitiv nicht davon abhalten.
„Also geht es nur noch um die eine Frage, oder?", fragte Harry gerade die Hades Nymphe. „Weiß der Zauberstab in deiner Hand, dass sein letzter Herr entwaffnet wurde? Denn wenn er es weiß ... dann bin ich der wahre Herr über den Elderstab."
In diesem Moment erschien die Sonne am Sims eines Fensters und tauchte alles in ein rotgoldenes Licht. Ich musste die Augen zusammenkneifen, weil ich so sehr geblendet wurde.
Und dann schien alles in Zeitlupe zu geschehen.
„Avada Kedavra!", hörte man Voldemort schreien.
„Expelliarmus!", kam sofort die Antwort von Harry.
Die beiden Zauber flogen aufeinander zu. Vermutlich dauerte es nur wenige Millisekunden, bis sie mit einem ohrenbetäubenden Knall aufeinandertrafen, doch ich hatte das Gefühl, sie würden sich langsam ihren Weg suchen. Fast zeitgleich ließ Maélys den Pfeil fliegen.
Und dann prallte der grüne Strahl des Todesfluchs von dem Zauber meines Neffen ab. Anstelle wie von der Hadesnymphe gewollt, Harry zu töten, flog er nun auf den schwarzen Magier zu. Diese schien darauf gar nicht vorbereitet gewesen zu sein, jedenfalls reagierte er überhaupt nicht. Er wurde einfach mitten in der Brust getroffen. Nur Millisekunden später bohrte sich der Pfeil der Kriegsnymphe in das linke Auge des schwarzen Zauberers. Voldemorts Zauberstab flog in die Luft, trudelte ein wenig dort herum und landete schließlich in Harrys Hand. Währenddessen sackte der Körper der Hadesnymphe nach hinten weg. Die Hadesnymphe blieb reglos auf den Boden liegen.
Ich brauchte ein paar Sekunden um zu realisieren, dass er tot war. Selbst wenn sein eigener Todesfluch aus irgendeinem Grund nicht tödlich gewesen sein sollte, der Pfeil war es auf jeden Fall. Er hatte sich so weit hereingebohrt, dass er durch das Auge auch das Gehirn getroffen hatte.
Und dann brachen Jubel und Gebrüll um uns herum aus. Die Leute fielen sich in die Arme, froh diesen Kampf überstanden zu haben. Über meinen Köpfen war der Schrei eines Hippogreifes zu hören. Ein Schatten legte sich über mich und dann landete Seidenschnabel vor mir, nur um mich mit einem zufriedenen Schnabelklappern zu begrüßen und mich zum Streicheln aufzufordern. Sein graues Fell war an ein paar Stellen durch Blut rot gefärbt. Vermutlich nicht sein Eigenes, denn er wirkte fit und zufrieden.
Voldemort war besiegt und somit die Gefahr gebannt. Jedenfalls aus der Sicht von allen anderen. Ich wusste es allerdings besser. Es gab gerade nur zwei Möglichkeiten: Entweder gab es doch noch irgendeinen nahen Verwandten, der seine Magie übernehmen könnte, oder die Macht von Hades würde bald auf der Erde schwinden, wenn wir sie nicht an jemand Neues – an uns – banden.
Als wären meine Gedanken gelesen worden, erzitterte plötzlich die Erde. Es dauerte nicht wirklich lange, doch es war sofort zu spüren. Das fröhliche Jubeln um uns herum verstummte schlagartig.
„Carolin?", rief Sirius verwirrt, während er sich suchend nach einer Ursache für dieses Phänomen umsah.
„Deborah, hohl die anderen!", rief ich der Gewitternymphe zu. Das musste ich ihr nicht zweimal sagen. Schneller als wir sehen konnten, war sie auch schon davongerannt. Maélys hatte ein Stück Kreide in der Hand und fing an, ein Hexagramm aufzuzeichnen. Die Spitzen waren allerdings durch Kreise ersetzt, in welchen das Symbol jeweils eines Gottes gemalt wurde.
„Aber Patricia fehlt noch", erinnerte mich Sirius. Die Worte bohrten sich in mein Herz wie einer von Maélys Pfeile. Am liebsten würde ich gerade meinen Ehemann anschreien, dass es mir sehr wohl bewusst war, dass unsere Tochter fehlte. Dass es unsere Schuld war, weil wir den Spuren von ihr und den Todessern nicht gefolgt waren.
„Wir brauchen sie nicht für den Zauber, Sirius. Wir verteilen Voldemorts Macht nur auf dreiundzwanzig, wenn sie nicht rechtzeitig zurück ist." Der Plan war es, die Magie auf möglichst viele zu verteilen, damit der Einfluss durch sie auf uns möglichst gering war. Wir wussten nicht, wie sehr Hades Magie dazu beigetragen hatte, dass Voldemort zu ... na ja Voldemort geworden war. Wir wussten nur, dass man bei eigentlich jeder Nymphenart ein paar bestimmte Eigenarten finden konnte. Zum Beispiel war noch nie eine pazifistische Kriegsnymphe aufgetaucht.
„Aber ..."
„Wir haben nicht die Zeit, erstmal Ewigkeiten nach ihr zu suchen." Erneut wackelte die Erde, als wolle sie meiner These zustimmen. „Sobald wir hier fertig sind, gehen wir in den verbotenen Wald. Wir werden sie dort finden, Sirius."
Ich wandte mich von meinem Ehemann ab. Jetzt gerade hatte ich wirklich nicht die Nerven dafür, mit ihm zu diskutieren. Ich wollte doch am liebsten sofort selbst losrennen, um Patricia zu finden. Es ging nur leider nicht.
Bei meiner Drehung rannte ich fast in Jean herein. Meine Cousine stand direkt hinter mir und schien nach Worten zu suchen. Ich schenkte ihr ein kurzes Lächeln, strich ihr kurz über die Wange, bevor ich mich an ihr vorbeischob. So leid es mir auch tat, unser Gespräch würde ebenfalls noch warten müssen.
Erneut legte sich ein Schatten über mich. Als ich in Richtung Decke sah, flog dort Seidenschnabel. Vermutlich war er auf dem Weg nach draußen, um sich wieder mit seiner Herde zu treffen. Das Innere eines Gebäudes war aber auch wirklich nicht der richtige Ort für einen Hippogreifen.
Maélys hatte mittlerweile das Hexagramm fertig. Sie stand schon auf ihrem Platz und spielte mit der Kreide herum. Natasha hingegen stand an der Tür und hielt wohl nach den anderen Nymphen Ausschau. Kira hingegen saß wenige Meter entfernt, Mary neben ihr.
„Stellt euch schon mal auf", befahl ich den beiden Mädchen.
Meine Nichte sprang tatsächlich sofort auf die Beine. Meine Tochter jedoch blieb auf den Boden sitzen.
„Mein Knie ist verletzt", wurde mir erklärt.
„Fluch?"
„Ich bin nur draufgeknallt."
Ich nickte verstehend. Vermutlich war es also nur halb so schlimm. Trotzdem schob ich das Hosenbein nach oben, sodass ich das Knie sehen konnte. Es war ziemlich gerötet und angeschwollen, doch ansonsten konnte man nichts sehen. Mit der richtigen Heilsalbe wäre sie sofort verschwunden, allerdings hatte ich sie gerade nicht hier.
„Nur eine Prellung, meine Kleine. Heilen wir ..."
„Ms Black", hörte ich in diesem Moment Madam Pomfrey hinter mir. Und schon hielt mir die Krankenschwester die richtige Heilsalbe hin.
„Danke." Ohne mich umzudrehen, nahm ich die Salbe, schraubte den Deckel von der Dose und begann das Knie von Kira einzuschmieren. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann verschwanden die Schwellung und die rote Färbung wieder.
„Jetzt komm."
Ich half meiner Tochter auf die Beine, nur um sie dann zu unserem Platz zu führen. Natürlich war er genau vor dem Lehrertisch, sodass wir von dort aus die große Halle überblicken konnten. Ich sah Harry, der von der Familie Weasley umringt war, und Sirius, der mittlerweile Jean im Arm hielt. Wie gerne wäre ich jetzt gerade bei den beiden. Dass Maélys mir fast genau gegenüber stand, machte es auch nicht wirklich besser. Schließlich müsste eigentlich Patricia neben ihr stehen. Einen Vorteil hatte meine Position allerdings. Ich konnte sehen, wie die Nymphen, die sich versteckt hatten, hereinkamen. Adina war flankiert von den beiden Friedensnymphen. Ihre Augen waren gerötet und verquollen. Sie hatte eindeutig geweint und beim Hereinkommen suchten ihre Augen die Halle ab. Vermutlich nach ihren Familienmitgliedern. Sirius löste sich von Jean, lief zu der Wassernymphe und sagte etwas zu ihr. Sehr wahrscheinlich, dass ihre Eltern in Sicherheit waren.
Meiner Meinung nach dauerte es viel zu lange, bis endlich alle dreiundzwanzig Nymphen auf ihren Platz standen und wir mit den Zauber beginnen konnten. Es war ein komisches Gefühl, dass uns dabei hunderte Zauberer, Hexen, Zentauren und Hauselfen beobachteten. Vor allem weil es noch immer keine weit verbreitete Information war, was wir waren.
Wir wollten gerade die ersten altgriechischen Worte aussprechen, welche die durch Voldemorts tot freigesetzte Magie binden würden, als ich sah, wie Seidenschnabel erneut in der Halle landete. Dieses Mal war das Wesen allerdings nicht alleine, sondern mit seinen vorderen Klauen hielt er Patricia. Oder besser gesagt ihren leblosen und geschundenen Körper. Ein Ast ragte aus ihrem Bauch und dem vermutlich ausgehusteten Blut auf ihrem Gesicht nach zu urteilen, hatte er ihre Lunge durchbohrt.
Mein erster Impuls war es, einfach loszurennen. Los zu Sirius, los zu unserem kleinen Welpen. Ich zwang mich allerdings dazu, an Ort und Stelle zu bleiben. Anstelle loszurennen, wandte ich den Blick ab und zwang die altgriechischen Worte über meine Lippen.
Schon nach den ersten Sätzen spürte ich, wie die Magie in mich hineinfloss und sich dort mit meiner schon vorhandenen verband. Es war ein angenehmer und langsamer Strom. Irgendwie hatte ich mir das Gefühl ganz anders vorgestellt. Wilder und chaotischer, so wie der böse Gott selbst. Mit jedem weiteren Wort wurde der Strom etwas schneller, bis er schließlich mit dem Letzten einfach abbrach.
Jetzt zögerte ich keine weitere Sekunde. Ohne darüber nachzudenken, rannte ich einfach los. Einmal quer über das Kreidehexagramm, vorbei an Maélys und auf zu Sirius, in deren Schoß Patricias Kopf lag. Erst als ich mich neben meinen Ehemann auf den Boden fallen ließ, fielen mir die offenen Augen meiner Tochter auf. Sie starrten einfach ins leere, während sie verzweifelt versuchte, ihre Lunge mit Luft zu füllen. Das funktionierte natürlich nicht, da sie komplett mit Blut gefüllt war. Anstelle den dringend benötigten Sauerstoff zu kriegen, hustete sie die rote Flüssigkeit aus.
„Mach etwas!", forderte mein Ehemann von mir. Allerdings wusste ich nicht, was ich machen konnte. Mit Magie konnte man vieles heilen, doch sie hatte ihre Grenzen. Die Verletzungen meiner Tochter waren die Grenzen. Das Blut konnte ich vielleicht aus der Lunge holen, doch es würde einfach Neues nachfließen. Ich würde den Stock entfernen müssen, was aber zur Folge hätte, das Blut würde noch schneller in die Lunge fließen und vermutlich auch durch die Wunde in der Bauchdecke austreten. Sie würde verbluten, bevor ich etwas unternehmen konnte.
„Tric!", hörte ich Adina quietschen, welche sich im nächsten Moment auch schon neben mich auf den Boden schmiss. Über ihre Wangen liefen Tränen. „Irgendjemand muss ihr helfen."
Ich wusste nur nicht wie. Vermutlich würden sogar Sophia und Jessica Probleme haben, sie zu heilen. Jedenfalls ohne wieder irgendwelche unüberlegten Blutszauber zu sprechen.
Blut. Das Problem war das Blut. Ich konnte es nicht kontrollieren, aber Adina vielleicht schon. Es war im Grunde genommen Wasser, welches Blutplättchen transportierte. Hatte nicht sogar Patricia genau das mit ihr geübt? Zwar nicht, um zu verhindern, dass jemand an Blut erstickt oder verblutet, aber so riesig war der Unterschied hoffentlich nicht.
„Adina, du musst mir helfen. Du musst dafür sorgen, dass kein neues Blut in ihre Lunge fließt."
„Ich kann das nicht." Die Wassernymphe sah so aus, als würde sie gleich aufspringen wollen, um all dem zu entkommen. Auch wenn es bedeuten würde, ihre beste Freundin würde dann ganz sicher sterben.
Vorsichtig legte ich der jungen Nymphe eine Hand auf die Schulter. Dieses Drängen und Fordern brachte gerade nichts. Und es war vor allem eigentlich auch nicht meine Art. Genauso wenig, wie ich normalerweise einfach an meiner Cousine vorbeiging.
„Ich weiß, du hast Angst. Aber ich weiß auch, du hast das geübt. Wir haben bei dem Versuch nichts zu verlieren, Süße. Gar nichts. Du probierst es einfach aus."
„Sie stirbt", wimmerte Adina. Und das würde sie, egal ob es gar nicht erst versucht wurde oder ob es schief ging. Ich hatte nicht die Zeit, erstmal vier Heiler als Hilfe zusammentrommeln. Wir hatten für diese Diskussion keine Zeit.
„Versuche es einfach, Süße. Es ist in Ordnung, wenn es schief geht."
Nur ziemlich zögerlich streckte die Wassernymphe ihre Hände aus. Ich konnte spüren, wie sie nach ihrer Magie griff. Gebannt beobachtete ich Patricia, welche noch immer hustete. Allerdings schien ihr langsam aber sich die Kraft auszugehen. Es wurde immer schwächer. Ihr Körper würde vermutlich bald endgültig aufgeben.
Patricia hustete erneut, doch dieses Mal kein Blut heraus. Mein Blick glitt zu Adina, welche ziemlich angestrengt auf den Bauch ihrer besten Freundin sah. Ich wollte sie nicht stören, indem ich sie fragte, wie es aussah, allerdings ging es auf jeden Fall in die richtige Richtung.
Ein weiteres Husten von meiner Tochter und wieder kam nichts von der roten Flüssigkeit hoch. Zwar schnappte sie noch immer panisch nach Luft, doch wir waren somit schon mal einen großen Schritt weiter.
„Ich glaube, die Lunge ist frei", gab Adina zu.
„Du machst das gut, Süße. Kannst du das Blut kontrollieren, wenn ich den Stock rausziehe?"
Als Antwort nickte die andere Nymphe vorsichtig. Sie wirkte dabei allerdings ziemlich verunsichert und mir entgingen auch nicht die Schweißtropfen, die sich vor Anstrengung auf ihrer Stirn bildeten. Die Kleine war nicht nur emotional am Ende, sondern langsam auch magisch. Wenn man bedachte, dass sie uns schon aus der Zwischenwelt geholt hatte, war es allerdings auch nicht wirklich verwunderlich.
„Ich zähle bis drei, dann ziehe ich ihn raus und heile Patricia so schnell ich kann", versprach ich der jungen Malfoy. „Also eins. Zwei. Drei." Ich zog den Ast heraus. Tatsächlich floss kein Blut aus der Wunde. Die Wassernymphe machte es wirklich gut. Ich zog meinen Zauberstab heraus und wedelte damit. Sofort wusste ich, das Ganze würde wahrscheinlich an mir scheitern. Der Stab gehörte einfach nicht zu mir. Es fühlte sich komisch an, mit ihm zu zaubern. Als würde er mir nur widerwillig folgen und daher auch nur halbherzig die Zauber ausführen. Obwohl ich diesen Heilzauber schon oft während meiner Arbeit als Heilerin gesprochen hatte, funktionierte er nicht richtig. Die Wunde wurde zwar kleiner, schloss sich allerdings nicht.
„Carolin?", fragte Sirius ängstlich.
„Der Zauberstab ist komisch. Das kriegen wir schon hin", versuchte ich optimistisch zu bleiben. Erneut sprach ich den Zauber. Ein weiteres Mal wurde die Wunde ein wenig kleiner, aber es klappte nicht so richtig.
„Geh weg, Carolin. Ich mache das!" Sophia schob mich etwas unsanft bei Seite. Allerdings wollte ich mich nicht beschweren. Die Apollonnymphe musste nur kurz mit ihrem Zauberstab wedeln und schon schloss sich die Wunde ganz. Patricias Atem wurde auch wieder ruhiger, bis er sich schließlich wieder normalisierte und ihre Augen zufielen.
Ich atmete erleichtert auf. Das war erledigt. Als Nächstes wandte ich mich an Adina, welche noch immer ihre Magie auf ihre beste Freundin anwandte.
„Du kannst loslassen, Süße. Es ist vorbei."
Bei diesen Worten fing die Wassernymphe an, herzereißend zu schluchzen. Vorsichtig nahm ich sie in den Arm, nur um mit den anderen meinen Ehemann an mich zuziehen.
„Sie hat nicht geatmet", murmelte Sirius vor sich hin. „Als Seidenschnabel ... Sie hat nicht geatmet. Sonst hätte ich doch sofort Heiler gesucht. Als ihr fertig wart, hat sie plötzlich nach Luft geschnappt und Blut gespuckt."
„Jetzt ist alles wieder gut, Sirius. Unser Welpe kann wieder atmen. Es ist alles wieder gut." Auch wenn wir definitiv noch herausfinden mussten, warum sie bis zum Ende des Zaubers nicht geatmet hatte. Normalerweise fing man nicht plötzlich wieder damit an, wenn man gerade erstickte. Allerdings wollte ich mich jetzt gerade auch nicht beschweren und war einfach dankbar, dass sie wieder damit angefangen hatte. Oder es zumindest versucht hatte.
„Und was ist mit dem Baby?", nuschelte Adina.
„Baby?", fragte ich verwirrt.
„Tric ist schwanger."
Mein Blick glitt zu Sophia, die sich erneut über meine Tochter lehnte. Einige Zauber wurden gesprochen, doch schließlich lächelte die Nymphe von Apollon beruhigend.
„Dem Baby scheint es gut zu gehen", verkündete sie uns, weshalb ich erleichtert aufatmete. Dem kleinen Welpen ging es gut, ihrem Baby ging es gut. All meinen liebsten schien es erstmal so weit gutzugehen. Bis auf Elaina hatte ich schließlich schon alle zu Gesicht bekommen. Die schlimmsten Verletzungen schien bisher Remus abgekriegt zu haben.
„Na, da sagt man wohl herzlichen Glückwunsch", hörte ich Harrys Stimme hinter mir. Ich drehte mich zu ihm, weshalb ich sehen konnte, dass mittlerweile Draco, Finn und der Gryffindor zu uns gekommen waren. Die Worte gingen eindeutig an Patricias Klassenkameraden, der allerdings so gar nicht darauf reagiert. Dafür allerdings der Auror.
„Danke", murmelte er, als wären die Worte an ihn gerichtet gewesen. Harry sah ihn deshalb komplett verwirrt an, was der Amerikaner allerdings wohl nicht mitbekam. Jedenfalls ging er nicht darauf ein, sondern kniete sich neben uns, drückte kurz Patricias Hand, bevor er mir Adina abnahm.
„Sie wollte es dir heute sagen", versicherte die Wassernymphe.
„Ich glaube, sie war sogar schon dabei", gab Finn mit einem leichten Lächeln zu. „Sie war nur noch nicht mit Rumdrucksen fertig."


Hexagramm - PhönixrufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt