Kapitel 47

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Als wir nach draußen auf Gelände von Hogwarts traten, stand die Sonne schon hoch oben über dem Schloss. Die Morgendämmerung war einem wunderschönen Tag gewichen mit strahlendem blauen Himmel. Ich wusste noch nicht ganz, ob ich es etwas grotesk fand, wie gut heute das Wetter war, oder es als Zeichen für eine bessere Zukunft sah.
Neben Sirius begleitete mich momentan auch noch der Großteil meiner restlichen Familie und Natasha. Nur Kira fehlte, welche noch nach ihrem Freund Fred sehen wollte, bevor sie nachgereist kam, und Harry hatte sich fürs erste verabschiedet, um nach Hermine und Ron zu suchen. Mein Ehemann hatte Elaina mittlerweile an Charlie übergeben, welcher ganz froh darüber schien, seine Freundin mal zurückbekommen zu haben. Diese schien allerdings noch nicht ganz bereit, Sirius gehen zu lassen, jedenfalls umklammerte sie noch seine Hand. Bald würden sich allerdings unsere Wege trennen. Meine Familie würde ins Schloss apparrieren, während Natasha, Sirius und ich zum Stall wollten, wo laut der Karte des Rumtreibers momentan Maélys, Deborah und Allison waren.
Zusammen liefen wir schweigend über die Kieswege von Hogwarts. Nur Samuels angestrengte Atmung, weil er schon wieder laufen musste, war zu hören. Hoffentlich würden wir bald Ersatz für seinen Rollstuhl kriegen, damit er sich wieder bewegen konnte. Eine Woche ans Bett gefesselt zu sein, weil das Laufen zu anstrengend war, würde seine Laune wahrscheinlich in den Keller fallen lassen.
„Wir bereiten schon mal Gästezimmer für euch vor", verkündete Samuel, als wir die Stelle erreichten, an der wir uns trennen mussten, und unterstrich damit noch einmal seine Einladung an uns.
„Sirius und ich kommen bald nach. Falls wir doch länger in Frankreich bleiben, melden wir uns", versprach ich und ließ extra Marlenes Mitkommen aus. Für Mary und ihre Beziehung wäre es zwar sicherlich hilfreich, wenn sie in den nächsten Tagen viel Zeit miteinander verbringen würden, doch ich konnte auch verstehen, dass sie Abstand zu Samuel haben wollte. Sie waren getrennt und jeder musste sich sein eigenes Leben aufbauen. Oder besser gesagt, musste Marlene das. Schließlich hatte mein Großcousin es schon längst geschafft. Wenn ich mir nicht einmal selbst sicher war, ob Sirius und ich wieder bei meiner Familie einziehen sollten, wie sollte meine beste Freundin es für eine gute Idee halten?
Samuel schien nicht zu merken, dass ich nicht von seiner Ex-Verlobten sprach oder beschloss einfach, es zu ignorieren. Vielleicht war ihm klar geworden, dass es eben nicht selbstverständlich war, dass sie wieder unter einem Dach wohnen würden. Dass Marlene Abstand zu ihm brauchte, um sich ein Leben ohne ihn aufzubauen, anstelle halb in alte Gewohnheiten zu verfallen.
Unsere Wege trennten sich. Meine Familie nahm den Weg, welcher Richtung Tor führte, während wir anderen in Richtung der Stallungen liefen. Mit jedem Schritt, den wir von da an machten, wurde Natasha sichtlich ein wenig nervöser, auch wenn sie sich große Mühe gab, es zu überspielen. Das nervöse Beißen auf ihrer Unterlippe und das Spielen mit ihrem Metall-Lasso entgingen mir allerdings nicht.
„Alles in Ordnung?", fragte ich sie leise und legte auch noch vorsichtig einen Arm um sie.
„Klar, was soll schon sein?", wurde mir desinteressiert geantwortet. Gleichzeitig drückte sich Natasha allerdings etwas näher an mich.
„Wir wollen Maélys abholen und bei ihr ist aktuell Deborah, die du bisher erfolgreich ignoriert hast", schlug ich vor.
„Deborah hat keine Relevanz für mich", wurde mir versichert, weshalb ich belustigt eine Augenbraue hochzog. Ich war mir sehr sicher, wenn eine der beiden aktuellen Kriegsnymphen gerade anwesend wäre, würde diese Aussage ihr Lügenradar aktivieren.
„Es wäre aber in Ordnung, wenn dich das Zusammentreffen mit deiner biologischen Mutter überfordert", versicherte ich der jungen Frau, die als Antwort leise schnaubte. Wie die dreizehnjährige Patricia. Bloß nicht zugeben, dass einen die eigene Verwandtschaft überfordert.
„Mit Michael komme ich klar", wurde mir entgegnet.
„Patricia hat ihn dir aber vorgestellt und auch zwischen euch beiden vermittelt. Dieses Mal kann sie es nicht machen. Sirius und ich allerdings schon. Das werden wir auch sehr gerne machen, wenn du es möchtest."
„Vorstellen kann ja nicht schaden."
Ich nickte leicht. Ja, eine Vorstellungsrunde würde nicht schaden.
Endlich kamen wir am Stall aus. Tatsächlich sah er von außen für mich noch genau so aus, wie damals während unserer Schulzeit. Auch die Koppel schien sich seit damals nicht verändert zu haben. Nur mit dem Unterschied, dass dort heutzutage andere Tiere wohnen würden. Maélys, Allison und Deborah waren leicht ausfindig zu machen. Sie saßen zu dritt auf dem Koppelzaun und wanken uns zu, sobald wir in Sichtweite kamen.
„Was macht ihr denn hier?", fragte ich aufgrund des meiner Meinung nach sehr seltsamen Aufenthaltsortes.
„Wir dachten, hier findet ihr uns, damit wir besprechen können, welches Haus wir besetzen", stellte Maélys fest.
„Und sie dachte, hier wird sie nicht von der Kriegsnymphenfamilie gesucht", fügte Deborah noch hinzu, was ihr einen bösen Blick der Französin einbrachte.
Also hatte ich Recht gehabt. Maélys ging ihrer Familie aus dem Weg, anstelle die Beziehung zu ihr wieder aufzubauen. Doch, wo wir schon beim Thema Familie waren.
„Das hier ist übrigens Natasha." Ich legte der jungen Gewitternymphe eine Hand auf die Schulter. „Tasha, das ist Maélys, Patricias Vorgängerin, Allison, Adinas Vorgängerin, und natürlich Deborah, deine Vorgängerin."
„Freut uns, dich kennenzulernen." Allison schüttelte der kleinen Schwester meiner Tochter die Hand. Danach folgte Maélys und als Letztes trat Deborah nach vorne.
„Hallo, Natasha."
„Deborah."
Und die beiden schwiegen sich wieder an. Hatte meine Reaktion auf Jean von außen genauso ausgesehen? Vermutlich schon.
„Wir wäre es, wenn wir uns in den nächsten Tagen Mal zu dritt zusammensetzen", schlug ich den beiden Gewitternymphen vor. „Dann könnt ihr euch in Ruhe kennenlernen."
„Ja", rief Natasha hektisch. „Ihr könnt Caleb und mich mal besuchen kommen."
„Dann machen wir das. Und vielleicht ist bis dahin ja auch schon wieder Patricia bei bewusstsein."
„Wisst ihr schon, wie viel Schaden durch den Sauerstoffmangel entstanden ist?", fragte Deborah besorgt.
„Bisher noch nicht. Wir wollen gleich nach Frankreich apparieren, um nach ihr zu sehen", berichtete Sirius, der sichtlich unruhig bei der Frage geworden war. Vermutlich ging er gerade die Horrornachrichten durch, welche wir gleich erfahren könnten. So wie ich mir vorgestellt habe, auf wie viele Arte hätte Elaina sterben können, als sie verschwunden war.
„Hat Samuel euch schon angeboten, bei ihm einzuziehen, oder müssen wir einen Treffpunkt ausmachen?", fragte Maélys.
„Er hat uns alle eingeladen", gab ich zu. „Wenn ihr wollt, könnt ihr also fürs erste wieder im Schloss einziehen."
„Carolin, ich weiß ihr meint das gut, aber ihr habt gerade genug mit eurer Familie zu klären", gestand Deborah. „Seht zu, dass Nymphadora Remus verzeiht und dass die anderen die Nachricht über Patricia verdaut kriegen. Baut wieder eine Beziehung zu ihnen auf, damit ihr dort wohnen bleiben könnt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ihr zu zweit in ein Haus zieht."
„Wer sagt, wir wären zu zweit?", fragte mein Ehemann. „Jetzt, wo Patricia schwanger ist, bläst sie hoffentlich die Weltreise ab. Außerdem wollen Carolin und ich noch ein paar Kinder kriegen."
Ich biss mir auf die Unterlippe. Selbst wenn unsere Tochter beschloss, sie würde nicht auf Weltreise gehen, war ich mir nicht so sicher, dass es bedeuten würde, sie würde mit Finn zu uns ziehen. Oder überhaupt nach England. Frankreich und Amerika hielt ich für wahrscheinlicher. Aber vielleicht wollte ja Sirius einfach zu ihnen ziehen. Und nochmal Kinder? Ich wollte es wirklich gerne, aber erstmal sollten wir wohl unser Leben wieder auf Reihe kriegen. Obdachlos, arbeitslos und pleite würde ich definitiv kein Kind aufziehen.
„Deine Frau sieht noch nicht so begeistert von dem Plan aus", gab Maélys zu.
„Ich finde einfach, wir sollten unser Leben vorher in finanzieller Hinsicht wieder auf die Reihe kriegen", erklärte ich mich. „Aber davon abgesehen, hätte ich sehr gerne noch ein paar Babys. Morgen frage ich einfach mal im St. Mungos, ob sie mich als Heilerin zurückhaben wollen."
„Darf ich Hausmann werden?", fragte Sirius, der sich sichtlich unwohl fühlte. Vermutlich dachte er darüber nach, ob er erneut als Auror arbeiten wollte. Eine Frage, auf die er in der Zwischenwelt keine Antwort gefunden hatte.
„Wenn es dich glücklich macht, natürlich. Das Heilergehalt ist hoch genug, damit wir davon eine Familie ernährt bekommen. Jedenfalls, wenn wir kein Luxusleben führen wollen. Ansonsten könntest du bei der Kriegsnymphenfamilie nachfragen, ob sie wieder deine Hilfe brauchen. Oder du fragst Professor McGonagall, ob sie einen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste oder Muggelkunde braucht. Ich kann mir gut vorstellen, wie du vor Schülern stehst und ihnen beibringst, was ein Motorrad ist."
„Ich würde ihnen eines zeigen!", versicherte mein Ehemann mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht.
Ich strich ihm vorsichtig über die Wange. Anscheinend hatte ich ein paar sehr gute Vorschläge für mögliche Berufe meines Ehemanns. Und um ehrlich zu sein, gefiel mir der Gedanke auch besser, er würde in Hogwarts Schüler unterrichten, als schwarze Magier durch die Straßen zu jagen.
„Zum Glück müsst ihr es ja nicht auf der Stelle entscheiden", stellte Marlene fest. „Also Leute, wir müssen nur zu viert entscheiden, in welches Hotel wir gehen und welchem Erben wir die Rechnung aufdrücken. Ich will in irgendetwas mit Spa! Nach der Zeit in der Zwischenwelt haben wir uns das echt verdient."
Damit war wohl geklärt, dass meine beste Freundin nicht vorhatte, mit Sirius und mir zum Schloss zu kommen. Morgen würde höchstens die Hotelrechnung per Eule kommen.
„Bist du dir sicher, dass du nicht mit willst, um Mary kennenzulernen?"
„Ich kann nicht wieder mit Samuel unter einem Dach wohnen, Carolin. Ich weiß, wir werden uns zusammensetzen müssen, aber nicht auf diese Art und Weise. Ich komme morgen zum Mittagessen. Sag ihnen das bitte."
Ich nickte. Das würde ich ihnen auf jeden Fall ausrichten.
„Hast du schon mit jemanden aus deiner Familie geredet, Maélys?"
„Die haben gerade anderes zu tun, als schon wieder eine obdachlose Kriegsnymphe aufzunehmen."
Das hieß dann wohl nein.
„Ich bin mir sicher, sie würden sich darüber freuen, wenn sie heute wenigstens eine gute Nachricht erhalten und dich wiedersehen. Du musst ja nicht bei ihnen einziehen. Nur guten Tag sagen. Und vielleicht klären, ob sie das Geld für euren Spaurlaub zumindest vorstrecken können. Kommt vielleicht besser, als einfach jemanden die Rechnung zu schicken."
„Geld für neue Klamotten könnten wir ihnen auch aus den Rippen leiern. Wir haben die Jumpsuits und die Sachen aus der Zwischenwelt", stellte Marlene fest und sah etwas pikiert auf die Klamotten.
„Ich rede ja mit ihnen", murrte Maélys. „Aber ihr drei versprecht mir, dass ihr versucht, an euer Erbe heranzukommen, damit wir es ihnen bald zurückzahlen können."
„Maélys will uns als ihre Sugardaddys", scherzte Marlene. „Also ob wir Erben dich durchfüttern, weiß ich ja noch nicht."
Aufgrund des Kommentares verzogen Allison und Deborah leicht die Gesichter. Ich brauchte etwas, um zu verstehen, warum sie es wohl taten, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Als Marlene und ihre Eltern gestorben waren, wurde Mary ihre Erbin. Samuel hatte natürlich bis vor kurzem ihr Vermögen verwaltet, was unterm Strich hieß, er hatte es nicht angefasst. Marlene musste sich also nur mit ihrer Tochter zusammensetzen und sie um einen Anteil ihres Erbes bitten. Natürlich konnte sich die Nymphe von Athene querstellen, doch eigentlich traute ich es ihr nicht zu.
Das Vermögen von Allisons Familie war allerdings an Adina übergegangen. Ich hatte keine Ahnung, wie verschwenderisch die Malfoys damit umgegangen waren, und noch weniger wusste ich, wie begeistert die junge Wassernymphe darüber war, ihr Geld zu teilen. Sie war doch um einiges materialistischer als meine Familie. Wie groß war es überhaupt ursprünglich gewesen?
Bei Deborah hatte ich keine Ahnung, wer überhaupt in der Lage war, ihr Erbe herauszugeben. Während sie untergetaucht war, hatte sie es nie offiziell eingefordert und nach ihrem Tod ... müsste Michael es nicht als ihr Ehemann gekriegt haben? Oder lag es noch immer eingefroren bei den amerikanischen Behörden? Wie würden die Wohl reagieren, wenn Deborah hereinspazierte und es herausverlangte?
„Ach, Marlenchen", meinte Maélys mit einem gespielten Seufzen. „Ihr musstet erben, um reich zu werden, ich habe gearbeitet. Durch die Aufträge, die ich zwischen dem Schulabschluss und Carolins Tod angenommen habe, hat sich ein ganz anständiges Sümmchen angehäuft. Vermutlich genug, damit wir alle vier nie wieder arbeiten müssen, wenn du nicht jede Woche fünf neue Luxushandtaschen kaufen willst. Ich werde den Schlüssel für mein Verlies herausfordern. Ich hoffe nur, Marlon hat es nicht leergeräumt. Der hat es nämlich geerbt."
Wenigstens hatte sie daran gedacht, ein Testament zu schreiben. Ansonsten hätten schließlich ihre Eltern alles gekriegt. Und die hätten sicherlich aus Prinzip ihr Konto leergeräumt und das ganze Geld von dort nie wieder herausgerückt.

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