Kapitel 29

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Ich schloss die Tür zu Finns kleinen Hütte auf. Das Innere war hell erleuchtet und als ich mich umsah, sah ich ihn auf dem Sofa sitzen. Auf dem kleinen Röhrenfernseher in der Ecke lief ein Film über Geheimagenten, welche außerirdisches Leben auf der Erde regulierten. Der Geruch von Nachos mit Käusesuppe und frischen Popcorn hatte sich überall festgesetzt und ließ meinen Magen knurren. Ich hatte noch nicht zu Abend gegessen, weil ich lieber hier essen wollte. In der netten Gesellschaft von Finn.
„Babe, ich bin wieder da", rief ich in den Raum hinein, auch wenn der Bewohner es sich wahrscheinlich schon längst gedacht hatte. Bisher wusste ich jedenfalls nicht von einer dritten Person, die mit einem Schlüssel für dieses Haus durch die Welt rannte.
„Das ist sehr gut. Im Kühlschrank stehen noch Reste mit deinem Namen drauf. Ich habe mich heute an Ratatouille versucht. Keine Ahnung, ob es auch so schmeckt, aber es ist essbar. Und für den Nachtisch gibt es Popcorn und Nachos. Ich spule den Film zurück, dann bekommst du auch den Anfang mit." Finn griff auch schon nach der Fernbedienung, um das Gesagte zu tun. Ich sah ihm dabei lächelnd zu.
Wir führten eine wirklich komische Beziehung. Seit fast zwei Monaten schneite ich immer mal wieder in Finns Leben herein und er tat so, als würde ich einfach nur jeden Abend von der Arbeit kommen. Es stand Essen für mich im Kühlschrank bereit und er empfing mich mit einem glücklichen Lächen. Dann saßen wir den ganzen Abend zusammen auf dem Sofa, redeten über Gott und die Welt, aber er drängte mich nie Details über Hogwarts zu erzählen. Die oberflächlichen Antworten reichten ihm voll und ganz.
Auch jetzt spulte er einfach den Film zurück und pausierte ihm am Anfang, während ich meine vom Schneeregen durchnässten Schuhe und Jacke auszog, nur um als Nächstes seinen kleinen Kühlschrank zu plündern.
„Wie ist es dir in den letzten vier Tagen ergangen?", fragte ich neugierig nach, während ich das Gericht aus einer Plastikdose befreite, um es auf dem Herd wieder aufzuwärmen.
„Ich habe ein wenig Geld mit Fotografieren auf einer Hochzeit verdient, habe mich weiter nach meinem eigenen Fotostudio umgesehen und vor allem habe ich dich schrecklich vermisst", bekam ich als vielleicht etwas zu schmalzige Antwort. Doch trotzdem ließ sie mein Herz höher schlagen. Diese Beziehung im Schnelldurchlauf gefiel mir sehr gut.
„Schleimer", erklärte ich trocken, um meine Freude über den Kommentar zu verdecken. „Ich habe auch brav meine Aufgaben erledigt."
„Und mich noch viel schlimmer vermisst", fügte Finn für mich hinzu, weshalb ich etwas rot wurde. Ich wollte wirklich nicht beurteilen, wer hier wen am meisten vermisste, doch meine Sehnsucht nach meinem Partner und dieser Hütte war schon groß gewesen. Es war wirklich der einzige Ort, der mir einfiel, wo ich momentan mal komplett abschalten konnte.
Mein Essen war warm. Ich füllte es auf einen Teller, stellte die heiße Pfanne zurück auf den Herd, wo sie abkühlen konnte und lief zu meinem Freund. Der saß noch immer bequem auf dem Sofa. Kaum kam ich in den hinteren Teil des Raumes, streckte er auch schon begierig seine Arme nach mir aus. Ich ließ mich auf seinen Schoß fallen, legte meine Beine ebenfalls hoch und begann zu essen.
„Draußen ist ein wirkliches Sauwetter", stellte Finn fest und betrachtete eine vom Schneeregen durchnässte Haarsträhne.
„Wir hatten wettertechnisch schon schönere Tage. Heute sehen wir bestimmt keine Rehe", stellte ich fest und sah sehnsüchtig durch die große Glasfront des Wohnbereiches. Von Tieren war allerdings nichts zu sehen. Stattdessen schlugen Regen und Schneeflocken gegen die Fensterscheibe und ließen die Welt außerhalb der Hütte ganz verschwommen wirken.
„Bald ist Frühling. Dann werden die Rehkitze geboren und noch mehr ist im Wald los. Und dann ist das Wetter auch wieder besser, weshalb man mehr durch die Schreibe sieht", wurde mir tröstend mitgeteilt.
Die Worte hatten allerdings genau den gegenteiligen Effekt. Ja, bald war Frühling und im Mai und Juni würden die Kitze geboren werden. Sie würden ihr Leben beginnen und meines würde beendet werden. Ich würde nicht hier mit Finn auf diesem Sofa sitzen, um sie bei ihren ersten wackeligen Schritten zu beobachten. Ich würde einfach gar nichts mehr beobachten.
„Ist alles in Ordnung. Jetzt siehst du traurig aus", wurde ich vorsichtig gefragt. „Ich hoffe, es liegt nicht am ersten Bissen vom Ratatouille."
„Hast du schon mal darüber nachgedacht, was passiert, wenn wir keine Zukunft mehr haben? Wenn einer von uns beiden nicht mehr hier ist?", fragte ich, während ich betrübt mein Essen ansah. Ich mochte nicht so selbstverständlich darüber reden, dass wir hier in ein paar Monaten noch zusammen saßen, wenn doch so viel dafür sprach, dass es nicht so kommen würde.
„Du meinst, wenn einer von uns stirbt?", hinterfragte mein Partner meiner Aussage.
Ich nickte leicht.
„Das wird nicht passieren, Patricia. Wir passen aufeinander auf. Wir werden hier zusammen sitzen und die Rehkitze beobachten", wurde mir versprochen. Nur zu gerne würde ich Finn einfach glauben. Ich wollte, dass es stimmte. Ich wollte, hier sitzen und ein Rehkitz beobachten. Wenn dieser ganze Hades-Mist vorbei war, wollte ich einfach ganz hier einziehen und mein Leben in der magischen Welt möglichst hinter mir lassen.
Doch das würde nicht passieren. Ich würde sterben und wenn ich durch ein Wunder doch überleben würde, hatte ich erstmal die Konsequenzen für mein Handeln in der magischen Welt auszubaden. Ich würde nicht weglaufen.
„Können wir einfach den Film gucken?", bat ich, um mich nicht weiter mit diesen düsteren Gedanken beschäftigen zu müssen.
„Natürlich. Ich bin froh, dass du wieder bei mir bist. Und du wirst es noch sehr oft und sehr lange sein", wurde mir versprochen. Im nächsten Moment griff Finn auch schon nach der Fernbedienung, um den Film weiterlaufen zu lassen. Für etwa eine Minute blieb ich einfach an ihn gekuschelt sitzen und genoss das Gefühl, hier mit ihm zu sitzen, in der Hoffnung die Zeit würde einfach anhalten. Doch schließlich erinnerte mein knurrender Magen mich daran, dass es nicht passieren würde und ich essen musste, wenn ich nicht verhungern wollte. Ein wirklich blöder Tod, den ich nicht provozieren wollte.

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