Kapitel 34

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Vorsichtig strich ich Finn durch die dunklen Haare. Der junge Auror hatte seinen Augen geschlossen, doch bei meiner Berührung erschien ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht. Er schien also nicht zu schlafen, sondern eher vor sich hin zu dösen.
Es sei ihm gegönnt. Alles an Energie, welche er hier im Salon sammeln konnte, wäre sicherlich hilfreich, damit er möglichst lange durchhielt. Mittlerweile sah man ihm leider ziemlich an, dass er nun schon seit einiger Zeit hier festsaß. Trotz meiner Essenslieferungen war er ganz dünn und ausgehungert. Seine blasse Haut spannte sich jetzt an einigen Stellen über seinen Knochen, weshalb man sie gut sehen konnte. Gleichzeitig war er aufgrund des Nährstoffmangels immer müder geworden und fror gefühlt durchgängig.
Diese Entwicklung war zwar unschön, allerdings noch nicht wirklich besorgniserregend. Luna und Mr Ollivander hielten das wenige Essen seit über einem Jahr aus. Finn würde zwar körperlich und psychisch darunter leiden, es allerdings sicherlich auch durchhalten. Außerdem ging ich davon aus, dass nach meinem achtzehnten Geburtstag alles vorbei wäre. Er musste also nur noch etwas länger als einem Monat aushalten. Das würde er hinkriegen.
Bei Azura hatte ich allerdings Zweifel.
Ich schob den Gedanken über die junge Frau bestimmt bei Seite. Es half nichts. Ich konnte hier in Selbstmitleid versinken, doch ihre Situation würde sich dadurch nicht ändern.
Es gab noch Probleme, die ich lösen konnte und mit denen ich mich beschäftigen sollte: Harry ausfindig machen und den Kelch von Hufflepuff aus dem Verlies holen. Am liebsten würde ich noch immer den Gryffindor dazu anstiften, allerdings lief uns langsam die Zeit davon. Auch er würde nicht einfach, in die magische Bank rennen. Für die Planung des Einbruchs gab es kaum noch Zeit.
Finn hatte mir schon mehrfach vorgeschlagen, ich könnte die MACUSA für diese Aufgabe einspannen. Er hatte Recht damit: Es würde definitiv nicht auf mich zurückfallen, solange die MACUSA dichthalten würde. Doch wollte ich mich darauf verlassen, dass die Person dichthielt, wenn sie erwischt wurde? Oder war es zu auffällig, wenn die Amerikaner sich plötzlich an den Horkruxen vergriffen? Würde er dann doch einen Verräter unter uns vermuten? Würde er mich vermuten? Oder jemand anderes von meinen Leuten?
„Grübelst du schon wieder darüber nach, wie du den Horkrux aus Tante Bellatrix Verlies kriegst?", riss mich Dracos Stimme aus meinen Gedanken.
Ich sah zu dem Schüler herüber, welcher mal wieder auf einem Sessel am Fenster saß. Keine Ahnung, warum er sich immer dorthin setzte. Die Vorhänge waren zugezogen, sodass niemand hereinsehen konnte. Das hieß allerdings auch, es kam keine angenehme Sonne herein und er konnte auch nicht heraussehen.
„Du wirst Potter nicht sagen können, wo er ihn findet, Patricia. Er ist spurlos verschwunden", erinnerte mich Draco noch einmal an mein aktuell größtes Problem.
„Das weiß ich auch. Mir fällt aber nun einmal auch kein besser Plan ein", gab ich resigniert zu.
„Bitte die MACUSA um Hilfe", kam der leise gemurmelte Rat von Finn, den er mir jedes Mal gab, wenn das Thema während unserer kurzen gemeinsam Zeit aufkam. Normalerweise vermiet ich es allerdings. Unsere Beziehung – wenn man das zwischen uns so nennen wollte – stand noch immer auf sehr wackeligen Beinen. Auch wenn ich mich nicht mehr so verraten fühlte, waren wir nicht wieder bei diesem unbeschwerten Geplänkel von früher angekommen. Das konnte natürlich auch damit zusammenhängen, dass die gesamte Lage momentan nicht dazu einlud, gemütlich auf dem Sofa zu kuscheln.
„Wir haben das schon so oft durchgekaut, Finn. Ich vertraue der MACUSA nicht. Sie haben ihre eigenen politischen bestreben und ..."
„Die Auswahl ihrer Leute ist fragwürdig", unterbrach mich der Auror, auf dessen Gesicht nun ein leichtes Lächeln erschien. Auch dieser Teil des Gesprächs war nichts neues mehr. „Es ist für dich komplett unverständlich, dass wir deinen Ex-Klassenkameraden mit hierher geschleppt haben."
„Ich erkenne an, dass seine Informationen hilfreich waren, euch hier einzurichten, aber ..."
„Du hättest ihn nie mit hierhergenommen oder Zugang zu irgendwelchen Akten gegeben", setzte dieses mal Draco meinen Satz ungefragt fort. „Letzteres findet Finn auch fragwürdig, ist sich aber sicher, sie hatten einen guten Grund dafür. Er versichert dir auch, dass bei der MACUSA nur die Leute, die auf dich angesetzt waren und höherrangige Agenten eingeweiht sind."
„Und wer auch immer mit dem Einbruch bei Gringotts betraut wird, wird nichts von dir wissen, damit er auch nichts verraten kann. Die MACUSA weiß, was sie tut", fügte Finnlay noch hinzu.
Ich fuhr mir nervös durch die Haare. Finnlay hatte Recht. Ich sollte endlich nachgeben und die MACUSA beauftragen. Auch wenn es mir gegen den Strich ging.
„Ich rede mit ihnen darüber", gab ich grummelnd nach. „Nach diesem Treffen werde ich sofort zu ihnen reisen und unser aller Leben in ihre unvorsichtigen Hände legen."
„Dramaqueen", kam der gemurmelte Kommentar von Finn, weshalb ich ihm leicht in die geprellten Rippen pikste. Als Reaktion verzog er leicht das Gesicht.
Es klopfte gegen die Tür vom Salon. Für eine Millisekunde erstarrten wir drei, doch dann bewegten wir uns alle schnell. Finnlay sah zu, dass er von seiner gemütlichen Lagerstätte wegkam, während ich die Decken und Kissen von dieser wegzauberte. Draco hingegen kam nach vorne gedüst, um den Salon mehr in ein Schlachtfeld zu verwandeln. So als hätten wir – oder besser gesagt ich – in der letzten Dreiviertelstunde nichts anderes getan, als den amerikanischen Auror zu foltern.
Es dauerte nur wenige Sekunde, dann sah der Salon so aus, wie man es erwarten würde. Blut war um Finnlay herumverteilt und der Auror wirkte wieder um einiges zerbeulter. Mein Ehemann hatte sich selbst einige Schnitte mit einem Messer verpasst, welches ich wieder in meinem Besitz hatte. Ein geschultes Auge würde sofort erkennen, dass nicht ich es war, allerdings gab es in diesem Haus glücklicherweise niemand mit einem solchen.
Ich öffnete langsam die Salontür, nur um eine sichtlich angespannte Narzissa davor zu entdecken. Hinter ihr erkannte ich noch eine Gruppe Greifer – unter anderem Fenrir Greyback – welche ein paar Gefangene bei sich hatte. Ungewöhnlich, dass sie hierher gebracht wurden. Normalerweise wurden sie im Ministerium abgegeben. Wenn sie also hierherkamen, mussten sie einen sehr großen Fang gemacht haben.
„Entschuldigt die Störung, Basílissa. Adina und Jamie sind noch aus. Draco müsste die Gefangenen identifizieren", wurde mir respektvoll von der Hausherrin mitgeteilt.
„Wen glauben sie denn, gefangen zu haben?", fragte ich neugierig.
„Potter", rief Greyback aufgeregt von hinten. „Wir haben Potter, Basílissa."
„Klappe, Köter. Tiere reden mit mir nur nach Aufforderung", fuhr ich den Werwolf an, trat aber als stille Aufforderung einen Schritt bei Seite. Das Auftreten hier machte mich neugierig. Eigentlich war ich mir sehr sicher, Narzissa war in der Lage, Harry Potter zu identifizieren.
Die Gruppe schob sich langsam an mir vorbei. Narzissa schritt voran, den Kopf stolz erhoben, während sie sich große Mühe gab, nicht zu der Sauerei und dem gespielt regungslosen Auror auf ihrem Salonboden zu beachten. Für die Zeit nach meinem Tod sollte ich ihr einen Entschuldigungsbrief hinterlassen, weil ich ständig ihre Einrichtung verunstaltete. Außerdem viel mir sofort das Schwert von Gryffindor ins Auge, welches einer der Greifer bei sich trug.
Viel wichtiger als Narzissa oder die Greifer waren allerdings die Gefangenen, die mich böse anstarrten, während sie in den Raum geschleift wurden. Ein mir unbekannter Kobold, Hermine Granger, Ron Weasley, Dean Thomas und ein weiterer junger Mann, dessen Gesicht ziemlich durch einen Brandzauber verunstaltet wurde. Es war riesig glänzend und blutrot. Von der typischen Blitznarbe war nichts mehr zu sehen. Außerdem hatte man die Haare schon länger nicht mehr geschnitten und der Schatten eines Barts hatte sich auf seinem Gesicht ausgebreitet.
Ich konnte verstehen, warum Narzissa die Meinung von Draco dazu hören wollte, ob nun Harry Potter vor ihr stand oder nicht. Würde diese Person alleine vor mir auftauchen, wäre ich mir auf dem ersten Blick auch nicht sicher gewesen, ob diese verwahrloste Person wirklich der Gryffindor ist. Angesichts der Gesamtumstände war ich mir allerdings doch ziemlich sicher, dass er es war. Ich tippte mal, Hermine war klug genug gewesen, sein Gesicht so zuzurichten, damit man ihn nicht sofort erkannte. Harry und Ron traute ich eine solche Entscheidung wirklich nicht zu. Längerfristig Denken war nicht ihre Stärke.
Ich wusste noch nicht, was ich nun von Harrys Auftauchen hier halten sollte. War es nun gut, dass man ihn endlich aufgespürt hatte? Schließlich konnte ich ihn jetzt doch noch mit dem Einbruch betrauen. Jedenfalls wenn ich ihn in den nächsten paar Minuten hier herausbekam. Sobald man glaubte, es wäre Harry, würde man den dunklen Lord rufen und dieser würde dann sicherlich die Vorbereitungen für die Auferstehung von Hades beginnen. Wenn das geschah, konnte ich allerdings parallel die Kriegsnymphenfamilie bei Gringotts vorbeisehen lassen. Definitiv der Plan mit weniger Risiko.
Ich wollte gerade die Tür zum Salon wieder schließen, da kam Lucius Malfoy die Treppe herunter geschritten. Unsere Runde wurde wohl größer und größer.
„Wer ist gekommen?"
„Ein ungewaschener Köter mit seinen Freunden und ein paar Leuten, die sie für uns erschnüffelt haben", stellte ich fest.
„Warum bringt Greyback sie hierher und nicht ins Ministerium?", fragte der Hausherr sichtlich verstimmt.
„Die behaupten, sie hätten Potter", erklärte Narzissa kühl.
Lucius Malfoy musterte kurz die Gruppe an Greifern. Greyback und seine ziemlich heruntergekommene Bande. Keine wirklich vertrauenserweckende Truppe. Allerdings musste man sich zum Glück nicht auf ihr Urteilsvermögen verlassen.
„Draco, komm her", befahl der Hausherr seinen Sohn. Dieser stand nun etwas zögerlich von einem Sessel auf.
Greyback zwang die Gefangenen dazu, sich so zu drehen, dass Harry unter dem goldenen Kronleuchter stand. Sein verstümmeltes Gesicht wurde so von allen Seiten perfekt beleuchtet. Dadurch sah es nur noch schlimmer aus als ohnehin schon. Wie es wohl ohne Arzneien verheilen würde?
„Nun, Junge?", schnarrte der Werwolf an Draco gewandt.
Der Slytherin näherte sich zwar der Gruppe an Gefangenen, blieb allerdings mit ordentlich Sicherheitsabstand zu ihnen und Greyback stehen. Auch traute er sich kaum, richtig zu dem vermeintlichen Potter zu sehen.
„Nun, Draco?", hakte Lucius Malfoy noch einmal begierig nach. „Ist er es? Ist es Harry Potter?"
Vermutlich dachte er schon darüber nach, was für Folgen es hätte, wenn er Potter dem dunklen Lord übergeben würde. Wie er in seiner Gunst wieder steigen würde, weshalb sein Leben hier wieder angenehmer werden würde.
„Ich weiß nicht – ich weiß nicht genau", antwortete der Slytherin.
„Aber schau ihn dir genau an, los! Geh näher ran!", forderte Lucius ganz aufgeregt von seinem Sohn. „Draco, wenn wir diejenigen sind, die Potter dem dunklen Lord übergeben, dann wird alles verzieh –"
„Aber, Mr Malfoy, wir werden doch nicht vergessen, wer ihn tatsächlich gefasst hat, hoffe ich?", schaltete sich nun Greyback wieder mit einem drohenden Ton ein.
„Natürlich nicht, natürlich nicht!", erwiderte Lucius ungeduldig. Nun ging er selbst auf den vermeintlichen Harry zu. Anders als sein Sohn schien er weder Angst vor den Gefangenen noch von dem unhöflichen Werwolf zu sein, jedenfalls ging er so nah an den Gryffindor, bis sie nur noch wenige Zentimeter auseinander waren.
„Was hast du mit ihm gemacht?", fragte Lucius Greyback. „Wie kommt es, dass er in diesem Zustand ist?"
„Das war'n nicht wir", verteidigte sich sofort der Werwolf. Wahrscheinlich hatte er Angst, für die beschädigte Ware würde man ihm Finderlohn abziehen. Wie viel gab
„Sieht mir eher nach einem Brandzauber aus", sagte Lucius. Seine grauen Augen suchten Harrys Stirn ab. Die verräterische Blitznarbe, welche normalerweise auf seiner Stirn prangte.
„Da ist etwas", flüsterte er, „das könnte die Narbe sein, straff gezogen ... Draco, komm her, schau dir das genau an! Was meinst du?"
Nun ging mein Klassenkamerad doch näher zu der Gruppe Gefangenen herüber. Auf dem Weg dorthin warf er mir allerdings einen hilfesuchenden Blick zu. Er wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Kein Wunder schließlich hatte ich ihm die letzten Tage und Wochen ein Ohr damit abgekaut, dass ich Harry irgendwie über das Verlies der Lestranges informieren musste. Nun war der Gryffindor zwar hier, aber konnte den Einbruch natürlich nicht als Gefangener durchführen. Solange der dunkle Lord allerdings noch nicht hier war, hatte ich noch die Chance, den weißen Umhang zu schnappen und hier Chaos zu stiften. Mit den hier Anwesenden würde ich klarkommen. Vor allem wenn ich zuerst die Gefangenen befreite. Bis auf Ollivander und Azura traute ich durchaus allen noch ein Duell zu.
Ich nickte Draco kaum merklich zu, damit er wusste, dass er Harrys Identifizierung nicht umgehen musste. Wenn er sich sicher war, sollte er es einfach zugeben. Solange die Identifizierung des Gryffindors nur vom Zufall abhing, würde ich es nicht wagen, ihn zu befreien. Und eine Lüge würde ihn in Gefahr bringen.
Draco sah nun doch Harry genauer an. Sein Gesichtsausdruck sprach allerdings Bände. Auch mit meiner Erlaubnis wollte er den Gryffindor eigentlich nicht identifizieren. Vielleicht hatte er auch zu viel Angst davor, sich am Ende zu irren und die Strafe dafür tragen zu müssen.
„Ich weiß nicht", gab er schließlich kleinlaut zu und trat im nächsten Moment auch schon wieder die Flucht an. Er zog sich zum Kamin zurück, wo auch schon seine Mutter stand. Sie hielt einen Zauberstab in der Hand, welcher eindeutig nicht einen der anwesenden Schüler gehörte.
„Wir sollten sicher sein, Lucius", sprang Narzissa auf den Zug auf. Vermutlich dachte sie, mein Nicken hätte bedeutet, Draco solle Zeit schinden und wollte nun helfen. „Ganz sicher, dass es Potter ist, ehe wir den dunklen Lord rufen ... Die behaupten, der gehöre ihm –" Sie nahm nun einen der Stäbe genauer unter die Lupe. Er war eindeutig viel zu dunkel für Harrys Stab. „– aber er entspricht nicht Ollivanders Beschreibung ... Wenn wir uns irren, wenn wir den dunklen Lord umsonst hierherrufen ... wisst ihr noch, was er mit Rowle und Dolohow gemacht hat?"
„Und was ist mit dem Schlammblut?", knurrte Greyback. Die Greifer zwangen die Gefangenen unsanft dazu, sich erneut zu drehen, damit das Licht nun auf Hermine fiel. Auch ihre Haare wirkten noch ein wenig ungepflegter und länger als früher.
Während die Aufmerksamkeit wieder auf den gefesselten Leuten in der Mitte lag, stupste Draco seine Mutter unauffällig an. Außerdem warf er ihr einen warnenden Blick zu. Eindeutiger konnte man ihr jetzt wirklich nicht mehr mitteilen, dass sie hier niemanden schützen sollte.
„Wartet", sagte Narzissa scharf. „Ja – ja, sie war mit Potter bei Madam Malkins! Ich hab ihr Bild im Propheten gesehen! Schau, Draco, ist das nicht diese Granger?"
Diese Botschaft hatte sie wohl richtig verstanden. Niemand würde versuchen, Harrys Identität zu verschleiern, und sich damit in Gefahr bringen. Sehr gut.
„Ich ... vielleicht ... jaah", gab der Slytherin zu.
„Aber das ist doch der Weasley-Junge!", rief Lucius, schritt rasch um die Gefesselten herum und sah Ron ins Gesicht. „Das sind sie, Potters Freunde – Draco, schau ihn dir an, ist das nicht Arthur Weasleys Sohn, wie heißt er noch mal –?"
„Jaah", sagte Draco erneut, den Rücken den Gefangenen zugewandt. „Könnte sein."
Hinter mir ging erneut die Salontür auf. Ich drehte mich kurz dorthin, weshalb ich sah, wie Bellatrix den Raum betrat. Sie würde definitiv dafür sorgen, dass sofort ihr heißgeliebter Voldemort hier auftauchen würde.
„Was geht hier vor? Was ist passiert, Zissy?", fragte Bellatrix Lestrange, während sie auch schon langsam um die Gefangenen schlich. „Aber das ist", murmelte sie begeistert. „Das ist doch das Schlammblutmädchen? Ist das diese Granger?"
„Ja, ja, das ist die Granger!", rief Lucius. „Und der neben ihr ist wahrscheinlich Potter! Potter und seine Freunde, endlich gefasst!"
„Potter?", kreischte Bellatrix und wich zurück, damit sie Harry besser betrachten konnte. „Bist du sicher? Nun, dann muss der Dunkle Lord sofort informiert werden!"
Sie zog ihren linken Ärmel hoch, weshalb man das dunkle Mal auf ihrer bleichen Haut perfekt sehen konnte. Ihre Hand sank langsam, um es zu berühren.
„Ich wollte ihn gerade rufen!", rief Lucius, und schon schloss seine Hand um Bellatrix' Handgelenk, damit sie die Bewegung nicht ausführen konnte. „Ich werde ihn herbeirufen, Bella, Potter wurde in mein Haus gebracht, daher unterliegt es meiner Autorität –"
„Deiner Autorität!", höhnte die Schwägerin und versuchte, ihre Hand seinem Griff zu entwinden. „Du hast deine Autorität verloren, als du deinen Zauberstab verloren hast, Lucius! Wie kannst du es wagen! Lass mich los!"
„Du hast damit überhaupt nichts zu tun, du hast den Jungen nicht gefangen –"
„Bitte um Verzeihung, Mr Malfoy", warf Greyback ein, „aber wir sind's, die Potter gefasst haben, und wir wollen dann auch das Gold –"
„Gold!", lachte Bellatrix, die immer noch versuchte, ihren Schwager abzuschütteln, während sie mit der freien Hand in der Tasche nach ihrem Zauberstab suchte. „Nimm dein Gold, du dreckiger Aasfresser, was will ich mit Gold? Ich strebe nur nach der Ehre seines – von –"
Sie erstarrte in der Bewegung und beendete damit dieses wirklich amüsante Drama. Ihre Augen hefteten sich stattdessen auf das Schwert, welches einer der Greifer noch immer fest umklammerte. Ein Grund, den dunklen Lord sobald nicht zu rufen. Eine Tatsache, die mir genug Zeit verschaffen würde, damit ich meinen Umhang holen und die Gefangenen befreien konnte. Damit ich Azuras Leben retten konnte.
Bellatrix konnte nicht den dunklen Lord unter die Augen treten, wenn noch nicht feststand, wie das Schwert aus ihrem Verlies geholt wurde. Vielleicht war sie so klug und würde mal bei Gringotts nach der Fälschung schauen gehen, doch das würde Zeit kosten. Sie musst hinreisen und um diese Uhrzeit war die Bank auch noch geschlossen. Vielleicht würde sie einen Kobold aus dem Bett klingeln, doch auch das dauerte etwas.
Lucius schien allerdings noch nicht verstanden zu haben, dass seine Schwägerin nicht ihm die Ehre überlassen wollte, den dunklen Lord zu rufen, sondern erstmal ganz von diesem Plan absehen wollte. Er rollte seinen eigenen Ärmel hoch –
„HALT!", kreischte Bellatrix hysterisch. „Berühr es nicht. Wir werden alle zugrunde gehen, wenn der dunkle Lord jetzt kommt!"
Lucius erstarrte, den Zeigefinger dicht über seinem Mal, während Bellatrix auf die Greifer zueilte. Ich hingegen besann mich wieder auf meine Rolle. Als Tahnea konnte ich nicht hier nur tatenlos danebenstehen und beobachten. Die Todesserin hatte sich in die Scheiße geritten, das musste ich sie spüren lassen. Und dabei die richtigen Knöpfe drücken, damit sie wirklich erst die Herkunft des Schwertes überprüfen würde.
„Was ist das?", rief die Todesserin noch aufgebracht, während ich mal wieder mein kaltes Lachen von mir gab.
„Das Tante Bella nennt sich Schwert. Und zwar eines, welches verdächtigt nach dem von Gryffindor aussieht. Aber das kann natürlich nicht sein, denn es liegt sicher bei meinem restlichen Erbe in deinem Verlies. Oder hast du nicht bemerkt, dass es jemand entwendet hat? Denn ich bin mir sicher, dann habt ihr nicht das Problem, sondern alleine du. Dein Verlies, deine Verantwortung."
Die Frau wirbelte zu mir herum. Sie starrte mich so an, als hätte sie ganz vergessen, dass ihre schlimmste Feindin mit diesem Raum stand. Dass sie auf gar keinen Fall vertuschen konnte, dass das Schwert von Gryffindor hier aufgetaucht war.
„Es ist noch zu klären, ob es wirklich das Schwert von Gryffindor ist", fuhr Bellatrix mich an, weshalb ich amüsiert den Kopf schüttelte. Sie wollte sich an diesen Strohhalm festklammern und ich würde sie lassen. Nur um ihr in diesem Zeitfenster ihre Gefangenen zu klauen.
„Gib es mir", befahl die Todesserin dem Greifer mit dem Schwert.
„Das ist nicht Euers, Missis, das ist meins, ich hab's nämlich gefunden", erklärte dieser ihr voller Selbstbewusstsein.
Ein Fehler.
Bellatrix zog blitzschnell ihren Zauberstab. Ein roter Lichtblitz löste sich aus ihm und traf den Greifer mit einem lauten Knall, welcher geschockt umfiel. Seine Gefährten brüllten zornig auf und zückten nun ihre Zauberstäbe.
„Was soll das denn, Frau?", fragte einer von ihnen, weshalb ich mir zweifelnd an die Stirn fassen sollte. Angreifen oder wegrennen, war in diesem Moment vernünftig. Nicht erstmal nachfragen, was denn ein Angriff soll.
„Stupor", schrie Bellatrix, „Stupor!"
Die Greifer hatten der Todesserin nichts entgegenzusetzen. Sie fielen um wie die Fliegen. Einer nach dem anderen, als wären sie nur aus Pappe. Nur Greyback blieb der Schockzauber erspart, was allerdings auch nur bedeutete, dass er sich auf den Knien wiederfand. Bellatrix beugte sich über ihn, das Schwert von Gryffindor fest in ihrer Hand, das Gesicht wächsern.
„Wo hast du dieses Schwert her?", flüsterte sie dem Werwolf zu, während sie ihm den Zauberstab aus seinem schlaffen Griff zog.
„Wie kannst du es wagen?", knurrte er, und sein Mund war alles, was er bewegen konnte, während er gezwungen war, zu ihr aufzublicken. Er bleckte seine spitzen Zähne. „Lass mich los, Frau!"
„Wo hast du dieses Schwert gefunden?", wiederholte sie und fuchtelte damit vor seinem Gesicht herum. „Es war in meinem Verlies von Gringotts!"
„Es war im Zelt von denen", schnarrte Greyback. „Lass mich los, sage ich!"
Ich verdrehte aufgrund von dieser Forderung die Augen. Manche Menschen wussten wirklich nicht, wann sie verloren hatten.
Sehr zu meiner Überraschung schwang Bellatrix ihren Zauberstab und lies den Greifer damit wieder frei. Dieser war wenigstens so klug, nicht anzugreifen, sondern hinter Dracos Sessel am Fenster Schutz zu suchen. Seine dreckigen Nägel bohrten sich in die saubere Lehne, was mich aus irgendeinem Grund furchtbar wütend machte. Vielleicht weil ich nicht Dracos Lieblingssessel beschmutzt sehen wollte.
„Draco, bring diesen Abschaum nach draußen", befahl Bellatrix und deutete auf die bewusstlosen Männer. „Wenn du nicht den Schneid hast, sie zu erledigen, dann lass sie für mich im Hof liegen."
Automatisch sah Draco wieder zu mir herüber. Sollte er sie herausbringen? Eigentlich war es mir egal. Ich würde sie kaum retten. Sobald ich mir sicher war, wie Bellatrix weiterer Plan aussah und wie viel Zeit mir damit blieb, würde ich mich verabschieden, um meinen Umhang zu holen. Dann würde ich die Gefangenen retten und sie irgendwo in Sicherheit bringen. Die bewusstlosen Greifer würden mich allerdings nur aufhalten. Azuras und Ollivanders Zustand würden uns schon genug Zeit kosten.
„Untersteh dich, mit Draco zu sprechen wie –", rief Narzissa zornig, aber Bellatrix schrie: „Halt den Mund! Die Lage ist bedrohlicher, als du es dir vielleicht vorstellen kannst, Zissy! Wir haben ein sehr ernstes Problem!"
„Nein, du hast ein ernsthaftes Problem, Tante Bella. Deine Schwester und ihre Familie waren heute sehr brav", korrigierte ich die Frau erneut, die es allerdings anscheinend gar nicht hörte. Sie stand rasch atmend da, blickte hinab auf das Schwert und musterte seinen Griff. Dann drehte sie sich um und sah die stummen Gefangenen an.
„Wenn es wirklich Potter ist, darf ihm nichts geschehen", murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu den anderen. „Der dunkle Lord will Potter eigenhändig vernichten ... aber wenn er herausfindet ... ich muss ... ich muss wissen ..."
Sie wandte sich wieder an ihre Schwester.
„Die Gefangenen müssen in den Keller gebracht werden, während ich überlege, was zu tun ist!"
„Das ist mein Haus, Bella, du gibst keine Befehle in meinem –"
„Tu es! Du hast keine Ahnung, in welcher Gefahr wir sind!", kreischte Bellatrix. Sie sah beängstigend aus, übergeschnappt; ein dünner Feuerstrahl drang aus ihrem Zauberstab und brannte ein Loch in den flauschigen Teppich. Und dabei konnte man doch so schön auf ihm sitzen.
Nun sah auch Narzissa zu mir. Ich gab ihr mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass sie diesem Befehl von Bellatrix nachkommen sollte. Egal, ob wir gleich den dunklen Lord riefen oder ich als Frau in Weiß wiederkam. Erstmal gehörten die Neuankömmlinge in den Keller.
„Bring diese Gefangenen hinunter in den Keller, Greyback", befahl die Mutter meines Klassenkameraden dem Werwolf.
„Warte", rief Bellatrix scharf. „Alle außer ... außer dem Schlammblut."
Greyback grunzte vor Freude, während mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Bellatrix hatte einen Plan: Hermine so lange zu foltern, bis sie die Wahrheit sagte oder tot war. Auch wenn ich wusste, dass diese Folterung nichts bringen würde, hieß es wohl, ich sollte mir nicht allzu viel Zeit lassen.
„Nein!", rief Ron. „Sie können mich haben, behalten Sie mich!"
Bellatrix schlug ihm ins Gesicht. Der Schlag hallte durch den Raum.
„Wenn sie im Verhör stirbt, nehm ich dich als Nächsten dran", versprach sie dem Weasley. „Blutsverräter kommen auf meiner Liste gleich nach den Schlammblütern. Bring sie nach unten, Greyback, und sieh zu, dass sie dort auch bleiben, aber tu ihnen nichts weiter an – noch nicht."
Sie warf Greyback seinen Zauberstab wieder zu und holte dann ein kurzes silbernes Messer unter ihrem Umhang hervor. Sie schnitt Hermine von den anderen Gefangenen los und zerrte sie an den Haaren in die Mitte des Raumes, während Greyback mit seinem ausgestreckten Zauberstab, die übrigen zwang, zu einer weiteren Tür und in einen dunklen Gang hineinzutrotten.
„Hast du nicht etwas vergessen, Greyback?", rief ich ihm nach.
Als Antwort bekam ich nur einen verwirrten und gleichzeitig verängstigten Blick. Mein Ruf eilte mir wohl voraus. Wie schön.
„Mein Spielzeug wird heute wohl nicht mehr gebraucht. Es darf also zurück in die Spielzeugkiste", stellte ich fest und zeigte auf Finn, welcher sich noch immer nicht regte. Ohnmächtig spielen konnte er wirklich gut. „Da ich weiß, dass du gerne auf Menschen kaust. Auf meinen Spielzeugen wird nur gekaut, wenn man gerne den Platz von ihm einnehmen möchte. Wenn du also nicht herausfinden willst, wie es ist Monate lang von mir gefoltert zu werden, trage ihn brav nach unten ohne ihn weiter zu beschädigen. Mir fällt jeder blaue Fleck auf, der nicht von mir stammt."
Der Werwolf wurde ein wenig blass, sagte allerdings nichts. Anders als bei Bellatrix traute er sich wohl nicht zu, mir zu widersprechen. Die Machtdemonstration von der Todesserin gerade hatte ihm aber wahrscheinlich auch noch mal ins Gedächtnis gerufen, dass man sich mit Nachkommen der Blacks besser nicht anlegte. Schon gar nicht mit der Kriegsnymphe.
Finnlay wurde mit einem weiteren Zauber in die Luft gehoben. Er flog nun ebenfalls in Richtung der Treppe, während alle paar Sekunden Blut aus seinen Schnittwunden tropfte. Noch immer bewegte er sich nicht, weshalb ich mich langsam doch fragte, ob er bei der übereilten Vorbereitung dieses Schlachtfeldes an der falschen Stelle einen Schnitt gesetzt hatte.
Ich ignorierte die Panik, welche langsam in mir aufstieg. Dafür war wirklich keine Zeit. Ich musste bei der Sache bleiben. Über Finnlays Zustand konnte ich mir Gedanken machen, wenn ich Potter hier rausgeholt und auf die richtigen Bahnen gelenkt hatte.
„Ich nehme mal an, wir sagen dann erst später dem dunklen Lord Bescheid, Tante Bella. Hoffst wohl, du kannst deinen Kopf noch aus der Schlinge ziehen, wenn du alles über das Schwert weißt", stichelte ich noch einmal gegen die Todesserin.
Diese schien mich einfach weiter ignorieren zu wollen. Aber was sollte sie auch groß sagen? Es war offensichtlich. Sie erklärte morgen lieber, nicht sofort wegen Potter Bescheid gesagt zu haben. Sie konnte es sogar auf den Brandzauber und der damit verbundenen Unsicherheit schieben. Blöd nur, wenn sie morgen die Verantwortung für Potters Flucht auf ihren Schultern tragen würde. Und zwar ganz alleine.


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