Kapitel 15

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Ich rührte mit einem Löffel meinen Kaffee um. Eigentlich war es komplett unnötig, da ich ihn schwarz trank, aber irgendwie musste ich mich nun einmal beschäftigen. Die Alternative war es, komplett in meinem panischen Gedanken zu versinken. Was war, wenn Remus nicht meinen Wunsch nachkam? Wenn er nicht zustimmen würde, mein Entführungsopfer für Mary und Kira zu werden. Würde er sauer aufgrund der Frage werden? Wollte er sich danach vielleicht nicht mehr mit mir treffen? Das fände ich wirklich schade. Schließlich war ich eh schon ziemlich von der Außenwelt abgeschnitten.
Ein Schatten fiel auf mich. Automatisch spannten sich meine Muskeln an. Ich ließ ein Messer in meine Hand rutschen, während ich mich dazu zwang, möglichst ruhig aufzublicken.
Remus stand am Stuhl gegenüber und grinste mich an. Er schien heute ziemlich gut gelaunt zu sein. Gute Voraussetzungen für meine Frage. Bestimmt besser, als wenn er sich sorgte, weil er nicht wusste, ob er seine Werwolfseite an sein Kind vererben würde.
„Du wirkst angespannt", stellte mein ehemaliger Lehrer fest, während er sich mir gegenüber setzte. Er sah mich mit schiefgelegten Kopf an. Ich hatte das Gefühl, er würde versuchen, mich mit seinem Blick genauso zu durchdringen, wie es Vivienne mit ihren dunkelblauen Augen konnte. Bei ihm schien es aber nicht ganz so gut zu funktionieren, wie es bei ihr immer der Fall war.
„Ich bin angespannt. Das Leben als Doppelagent finde ich doch stressiger, als ich anfangs gedacht hätte", gab ich ehrlich zu. „Und vor allem ist es einsamer, als es mir lieb ist."
„Wenn du unglücklich bist ..."
„Ich habe nicht vor abzubrechen", unterbrach ich den Werwolf. „Ich habe meinen Weg gewählt. Er ist der richtige für mich. Er ist halt nur nicht einfach."
Remus nickte verstehend.
„Erzähle mir, wie geht es Natasha?", schnitt der ehemalige Lehrer das nächste Thema an.
Ich atmete erleichtert auf. Ich hätte nicht gedacht, dass meine Heimkehr so schnell wieder vom Tisch wäre. Vor allem nicht, wenn ich zugab, dass ich mich momentan in Hogwarts sehr einsam fühlte.
„Ihr geht es sehr gut. Caleb und sie sind noch immer glücklich zusammen. Er scheint verstanden zu haben, dass er sein Leben ändern muss, damit er Natasha ein Leben außerhalb der Schatten bieten kann. Er arbeitet jetzt daran, seinen Schulabschluss nachzumachen und danach eine gute Ausbildung.
Und er nimmt Hilfe an. Mehr als Tasha. Aber ich glaube, er findet es auch einfacher. Für ihn sind das gerade einfach Fremde, die ihm helfen wollen. Mir zuliebe. Natasha zuliebe.
Ich glaube, Natasha fühlt sich dadurch unter Druck gesetzt, wieder Teil einer Familie zu werden. Teil von meiner. Auch wenn sie niemand dazu zwingen will. Sie darf auch gerne nur Caleb als Familie behalten. Und mich als große Schwester. Alle anderen darf sie ignorieren."
„Also hat sie noch keinen Kontakt zu Michael aufgenommen?", wurde weiter nachgehakt.
„Nein, hat sie noch nicht. Er akzeptiert es. Dafür bin ich ihm dankbar. Druck ist gerade nicht hilfreich."
Michael Cruz nahm es sogar wesentlich besser auf, als ich gedacht hätte, als er erfuhr, dass Natasha momentan kein Kontakt zu ihm aufnehmen wollte. Gerade nach seinem überstürzten Umzug nach Amerika hatte ich Angst, er würde auch hier auf der Matte stehen. Sehr zu meiner Verwunderung war er aber in dem anderen Staat geblieben. Wahrscheinlich hatte das längere Gespräch mit Marlon seinen Teil dazu beigetragen. Mein Onkel-Vater hatte einen sehr guten Einfluss auf Natashas Erzeuger.
„Aber schupse sie vielleicht trotzdem mal ganz leicht in die Richtung. So wie wir es bei dir auch gemacht haben."
Kurz dachte ich über die Worte des Werwolfes nach, dann nickte ich. Ja, bei mir hatte ein kleiner Schupser schon geholfen. Daher würde ich Natasha auch einen geben. Jedenfalls in der Form, dass ich beim nächsten Treffen noch einmal dieses Thema ansprechen würde. Vielleicht half es ja, wenn ich ihr sagte, dass ich Michael als nicht bissig einstufte.
Einer der Kellner trat an unseren Tisch, weshalb wir kurz unser Gespräch unterbrechen mussten. Remus gab seine Bestellung, einen Tee, auf.
„Hast du schon etwas von Potterwatch gehört?", wurde ich gefragt, sobald der Kellner wieder fort war.
Ich schüttelte den Kopf. Hatte ich bisher noch nicht. Ich wusste auch nicht, ob ich von etwas wissen wollte, wo der Name Potter drin vorkam. Ich war wirklich kein Fan von Harry.
„Das ist ein Untergrundradiosender, den Lee Jordan gegründet hat. Lee Jordan ist ..."
„Der beste Freund von Fred und George. Ich erinnere mich an ihn. Sie haben ihn in Hogwarts zurückgelassen, als sie die Fliege gemacht haben. Danach ist er in eine halbe Depression verfallen."
„Die depressive Zeit ist eindeutig wieder vorbei. Er hat großen Spaß daran, den Sender zu moderieren. Man braucht ein Passwort, um hereinzuhören. Das für die nächste Sendung lautet Phönix. Nur falls du hereinhören willst. Dann kriegst du vielleicht noch einmal etwas anders die Ereignisse von draußen mit", wurde mir angeboten.
„Wann läuft die Sendung denn?", hakte ich nach, um wenigstens Interesse vorzugaukeln. Bisher hatte ich allerdings noch nicht wirklich Lust, bei mir das Radio laufen zu lassen, um Lee Jordans Stimme die ganze Zeit um sich zu haben. Was sollte es schon bringen? Ich bekam aufgrund meiner hohen Stellung bei den Todessern doch sowieso alles mit.
„Es gibt keine feste Zeit. Das Ministerium ist nicht unbedingt begeistert von einem Piratensender. Sie versuchen immer, den Ort zu finden, von wo er ausgestrahlt wird, daher wechselt er ihn immer wieder. Wenn er einen sicheren Ort hat, sendet er, wenn nicht, dann bleibt es ruhig."
Das ergab Sinn. Ich konnte mir wirklich gut vorstellen, wie im Ministerium alle durchdrehten, weil sich jemand nicht ihrer Macht unterwarf. Vor allem wenn dieser jemand auch noch meinte, mit einem Piratensender die Leute anstiften zu müssen, sich ebenfalls gegen sie zu wehren. Sie hatten schon genug Rebellen zu jagen. Allen voran Harry Potter.
Ich wusste, Voldemort hoffte, wenn er den jungen Potter erwischen würde, würde sich das Rebellenproblem von alleine lösen. Eine sehr naive Annahme, doch ich machte mir nicht die Mühe, ihm die Entstehung von Märtyrern zu erklären. Wenn Harry sterben sollte, dann wenigstens auf diese Art und Weise. Dann wäre sein Tod wenigstens hilfreich gewesen.
Der Kellner kam wieder. Er stellte eine Tasse mit Tee vor Remus ab. Kurz verfielen wir wieder in Stille, betrachteten beide einfach die Umgebung.
„Hast du in letzter Zeit etwas von Harry gehören?", fragte ich schließlich.
„Nein, nicht mehr. Ich weiß, er hat eine Zeit lang im Grimmauldplatz gewohnt, aber seit seinem Einbruch im Ministerium war er nicht mehr dort."
„Beim Apparieren haben sie jemand dort mithingezogen. Das Haus ist nicht mehr sicher", teilte ich meine Informationen.
„Falls ich etwas über ihr aktuelles Versteck erfahre, sage ich dir Bescheid. Ich vermute allerdings, sie bleiben in Bewegung. Arthur hat mir erzählt, dass sie ein Zelt dabei haben. Vermutlich schlafen sie in diesem. Wie geht denn deine Mission voran?"
„Wir haben für jede Nymphe eine Person ausgewählt, die bei der Überzeugungsarbeit helfen soll", umschrieb ich unsere Entführungspläne. „Es fehlt nur noch eine für Mary und Kira."
Remus begann sich mal wieder über die Stirn zu reiben, so als hätte er schreckliche Kopfschmerzen. Wahrscheinlich verursachte ich die auch mal wieder. Schließlich hatte ich gerade angesprochen, dass ich Leute entführen wollte, um ihre Liebsten zu erpressen, bei Hades angeblicher Befreiung mitzuwirken.
„Also stehen bald ein Haufen Entführungen bevor?", hakte er schließlich noch einmal nach.
„Ich konnte noch etwas Zeit aushandeln. Allerdings bleibt das Kira und Mary Problem bestehen. Ihr versteckt euch alle im Schloss, was ich auch erstmal sehr unterstütze, aber wenn ich die Leute aus der Zwischenwelt befreien will, muss ich sie zur Mithilfe bewegen. Das heißt, ich brauche eine Person, die mir bei der Überzeugungsarbeit hilft."
„Willst du mich gleich darum bitten, diese Person zu sein?", wurde mein Redefluss gestoppt.
„Eventuell", gab ich zu und versuchte es mit einem möglichst unschuldigen Lächeln.
Der Lehrer gab ein unglückliches Seufzen von sich, sagte allerdings nichts mehr dazu. Ich begann wieder meinen Kaffee umzurühren, unterdrückte allerdings den Drang, noch einmal nachzufragen, ob er mein Opfer wäre.
„Und wenn ich nein sage, werde ich beim nächsten Kaffeetrinken entführt?", wurde ich schließlich gefragt.
„So weit habe ich noch nicht gedacht. Aber ich denke nicht, dass ich dich beim nächsten Kaffeetrinken entführen werde. Schließlich habe ich für die anderen Familien mit der Begründung Zeit ausgehandelt, dass ich euch aus dem Schloss locken wollte. Aber irgendwann wahrscheinlich schon. Schließlich bist du der Einzige, der manchmal herauskommt.
Wenn du ja sagst, entführe ich dich gar nicht. Dann informiere ich dich ein paar Tage, bevor wir den Zauber sprechen, damit wir deine Entführung faken können. Du wärst also nicht lange von Nymphadora und den anderen getrennt. Sie und dein Kind darfst du natürlich auch mitnehmen, wenn du dich dann besser fühlst. Das würde bestimmt auch Andromeda und Ted freuen. Sie vermissen ihre Tochter."
„Lass mich in Ruhe darüber nachdenken. Du scheinst ja nicht heute eine Entscheidung zu brauchen."
„Brauche ich nicht. Du hast noch Zeit. Ich sage Bescheid, wenn ich eine Entscheidung brauche." Ich musste jetzt gerade wirklich keinen Druck machen. Schließlich hatte er vielleicht noch fast bis zu meinem Geburtstag Zeit, um sich zu entscheiden. Blöd war nur, dass wir Harry aus den Augen verloren hatten. So konnte ich ihn nicht mehr einsammeln, wenn ich ihn brauchte. In den Grimmauldplatz hätte ich einfach hereinlaufen können.

Das Radio in meinem Wohnzimmer plärrte. Lee Jordans Stimme war überall im Raum zu hören. Auf der einen Seite ging es mir furchtbar auf die Nerven, die Stimme von Fred und Georges besten Freund zu hören, gleichzeitig schaffte ich es auch nicht, herauszugehen.
Draco hingegen, schien es tatsächlich zu genießen, die Stimme des ehemaligen Quidditchkommentators zu hören. Damit hatte ich tatsächlich überhaupt nicht gerechnet, als ich dem jungen Malfoy von dem Piratensender erzählt hatte. Aber wenn es ihn glücklich machte, sollte es so sein. Ich war mal gespannt, ob er morgen Abend mit Blaise, Adina und Jamie hier sitzen würde, um den Sender hören zu können. Vielleicht konnte ich so meine Freunde öfter zu mir locken.
„Ich finde, du solltest den Gryffindors das Passwort unterschieben. Wolltest du dich nicht eh mal mit ihnen unterhalten? Das fürs nächste Mal wird Kingsley sein."
Ich gab ein leises Grummeln von mir. Ja, irgendwann hatte ich auch mal so etwas geäußert. Ich wollte Ginny und Neville auf den Zahn fühlen, um herauszufinden, wieso sie das Schwert von Gryffindor klauen wollten. Zu diesem Zweck hatte ich mich eigentlich irgendwann mit meinen weißen Umhang in den verbotenen Wald schleichen wollen. Bisher hatte ich die Abende allerdings lieber mit Draco auf der Couch verbracht.
„Seit wann hast du so viel Mitleid mit den Gryffindors?", murrte ich, während ich mich aber schon auf den Weg ins Schlafzimmer machte. Umziehen und dann ab in den verbotenen Wald, um bei einer Strafarbeit hallo zu sagen.

In so einem dunklen Wald war mein weißer Umhang wirklich ein Nachteil. Wahrscheinlich leuchtete ich zwischen den Bäumen wie ein Geist. Tatsächlich fühlte ich mich deshalb sogar wie auf den Präsentierteller. Ich wusste genau, ich hatte gerade nichts zu befürchten. Hier waren nur Ginny, Neville und Hagrid unterwegs. Und natürlich die ganzen Tiere, doch vor denen hatte ich wirklich keine Angst.
Man Stimmen, welche die Stille der Nacht durchdrangen. Ich zuckte zusammen, während ich meinen falschen Zauberstab in die Hand gleiten ließ. Allerdings waren es nur die erwarteten Leute, welche durch den verbotenen Wald stapften. Ginny und Neville ließen sich lautstark über die Situation in Hogwarts aus. Allen voran die Carrows, Snape, ich und die neuen Bestrafungsmethoden.
Die drei Leute waren sosehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie gar nicht merkten, dass sie nicht alleine im Wald waren. Sie sollten wirklich aufmerksamer sein. Gerade für ihr Gerede konnten sie sehr schnell in Askaban landen.
„Ihr solltet eure Umgebung besser auf neugierige Ohren untersuchen", bemerkte ich und trat aus meinem Versteck hinter den Bäumen.
Automatisch wurden zwei Zauberstäbe auf mich gehalten. Die Armbrust von Hagrid war etwas langsamer. Wenigstens hatten Neville und Ginny etwas von mir gelernt, während sie bei der DA gewesen waren.
„Du bist die Frau in Weiß", stellte die Gryffindor verblüfft fest.
„Lyra", ließ ich den Namen fallen, welcher ich für diese Rolle ausgesucht hatte.
„Wie bitte?" Ich wurde von Neville verwirrt angesehen.
„Ihr könnt mich Lyra nennen. Frau in Weiß ist doch ein wenig lang und hört sich so an, als würde ich gleich heiraten wollen."
„Wie bist du auf das Gelände gekommen?", zischte Ginny Weasley. Ihre Augen hatten sich zu dünnen Schlitzen verengt.
„Berufsgeheimnis", flötete ich. „Ich kann euch beiden leider auch nicht lange Gesellschaft leisten."
„Was willst du?"
„Wissen, warum ihr das Schwert von Gryffindor klauen wolltet. Es war dumm und riskant."
„Berufsgeheimnis", erwiderte Ginny, weshalb ich die Augen verdrehte.
„Ginny, sie hat uns schon ein paar Mal ...", warf nun Neville ein.
„Wir kennen sie nicht. Wir sagen ihr nichts!", fauchte die Weasley nun den ein Jahr Älteren an, welcher auch sofort den Kopf einzog. Damit war wohl klar, wer hier die Hosen an hatte. Die Sechstklässlerin.
„Wenn ihr mehr machen wollt, als nur über die aktuelle Situation zu schimpfen, werdet ihr Verbündete brauchen. Seht das als Angebot an." Ich griff in meine Umhangtasche. Dort drin hatte ich ein Zettel verstaut, auf welchem ich das Passwort für Potterwatch und die Frequenz notiert hatte. Alles, damit die Gryffindors ab jetzt den Sender anschalten konnten. Wann immer sie wollten. Außerdem hatte ich auch schon mal eine kleine Phiole eines Heiltrankes dazu gepackt. Auch wenn ich gerade gemeint hatte, sie würden Verbündete brauchen, falls sie etwas gegen die Carrows unternehmen wollten, ging ich eigentlich davon aus, sie würden sich nicht an die neuen Regeln halten. Und das hieß auch, sie würden früher oder später in den Genuss der neuen Erziehungsmethoden kommen.
Ich warf beides zu Ginny herüber, welche die Phiole und den Zettel geschickt fing. Sie wirkte kurz verwirrt, begann dann allerdings das Pergamentstück auseinanderzufalten. Ich hingegen trat den Rückzug an. Für heute hatte ich hier alles erledigt. Also konnte ich auch zu Draco gehen.


Hexagramm - PhönixrufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt