ONE

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Ich liebe die Atmosphäre hier im „Senses"

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Ich liebe die Atmosphäre hier im „Senses". Trotz der lauten Musik, der blinkenden Neon- Lichter und des schweren parfümierten Geruchs, erlebe ich diese Stunden als willkommene Abwechslung. Für mich bedeutet dieser Club nämlich eines- Freiheit.

Freiheit, ich selbst zu sein. Mich zu präsentieren und trotz allem noch meine Identität zu besitzen. Da wo ich aufgewachsen bin, habe ich schon seit meiner Geburt die Last der Welt auf meinen Schultern. Zumindest fühlt es sich so an. So unzählig viele Erwartungen und Verpflichtungen, die ich eigentlich nicht erfüllen möchte, doch ich werde nicht nach meiner Meinung gefragt. Nie war ich in der Lage, meine Kleider selbst zu wählen, die läge meines Haares oder gar die Art und Weise zu sprechen. Alles wird für mich sorgfältig vorbereitet und geplant, keine Zeit für Individualität.
Ich hasse mein Leben, bei Tag.

Nachts allerdings, kann ich sein wer ich will. Kann meine Maske aufsetzen und in jede X - beliebige Rolle schlüpfen. Ich muss hier nicht brav sein, muss keine Regeln befolgen. Ich kann zornig sein, stark, selbstbewusst und sexy. Ich kann aber auch sinnlich sein oder meine Traurigkeit ausdrücken, je nachdem wie ich mich gerade fühle. Es fühlt sich wie eine Art Therapie für mich an, der Unterschied ist, ich werde dafür bezahlt. Nicht dass ich das Geld notwendig hätte! Ich tanze aus reinem Vergnügen.

Früher, als ich noch ein Kind war, steckte mich meine Mutter mit den anderen privilegierten Mädchen zum Ballett.
„Dort lernst du Disziplin und Grazie.", hat sie immer gesagt und dabei streng gelächelt. Als hätte es in meinem Leben je was anderes gegeben, als das.
Natürlich bin ich ihr dafür dankbar, denn ohne diese gute Ausbildung, wäre ich hier mehr als nur fehl am Platz.

Ich laufe durch den Club und lächle die Kundschaft lasziv an. Manche von ihnen, kenne ich aus meinem „Tageslicht-Leben" und daher sind sie für mich tabu. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie mich erkennen. Deshalb bin ich froh, nur als Tänzerin hier zu sein und den Männern nicht zu nahe kommen zu müssen. Viele meiner Kollegen hassen diesen Job, machen ihn bloß um Geld zu verdienen. Das ist mitunter ein Grund, warum ich niemanden meine wahre Identität preisgebe. Sie würden mich verurteilen oder gar für verrückt erklären, dass ich diesen Job freiwillig mache.

Ich passiere die Bar und gehe in den Privatbereich um mich für meinen Auftritt vorzubereiten. Hier herrscht eine ganz andere Atmosphäre, als im vorderen Bereich. Überall liegen Kostüme und Perücken herum. Ich stolpere jedes Mal über ein neues Paar schwindelerregend hoher Schuhe. Federn fliegen herum und Pailletten glitzern. Die Mädchen schminken sich und lachen dabei. Manche ziehen sich auch die ein oder andere Line, aber zu diesen Frauen habe ich nie gehört und halte daher eher Abstand. Ich brauche nichts was mich berauscht, der Tanz selbst, erledigt das für mich und das ist auch gut so.

Ich setze mich auf meinen Platz und blicke in den Spiegel. Mein Make-up mache ich immer schon im Taxi, was bei Gott gar nicht so einfach ist, aber mittlerweile komme ich gut zurecht. Heute Abend trage ich eine schwarze seidene Maske, meine Augen darunter sind dunkel geschminkt und wenn ich mit meinen falschen Wimpern blinzle, verursache ich beinahe eine Sturmböe. Ich vergewissere mich, ob meine karamellfarbene Perücke gut sitzt und greife danach nach meinem Rouge-Pinsel. Doch jemand zieht ihn mir unter meinen Fingern davon.
„Kann ich den kurz borgen?" fragt mich meine Kollegin Shira und grinst mich breit mit ihrem dunkelroten Mund an. Ich gluckse und schüttle den Kopf.
„Wann wirst du dir eigentlich mal einen eigenen besorgen?" spaße ich und erhalte ein Augenrollen als Antwort.
Sie tupft sich Rouge auf ihre Wangen und sieht dabei über mich hinweg in meinen Spiegel.
„Warum sollte ich? Ich weiß doch, dass du ihn immer dabei hast..." lacht sie keck und wischt sich mit dem Zeigefinger den Lippenstift von den Zähnen. Shira ist alleinerziehende Mutter und versucht mit dem Geld, die Schulden ihres abgetauchten Ex's abzuzahlen. Solche Geschichten sind hier unter den Mitarbeitern keine Seltenheit. Ihre gebräunte Haut und ihr dunkles Haar lassen sie besonders exotisch und sinnlich wirken. Ich ertappe mich dabei wie ich ihren Körper bewundernd anstarre.
Auch ihr bleibt mein Blick nicht verborgen und sie lächelt wissend.

„Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass starren unhöflich ist, kleines Vögelchen?" lacht sie und bauscht ihre Haare etwas auf. „Kleines Vögelchen" -alle nennen mich hier so und ich lache über diesen Spitznamen.
„Wenn du nur wüsstest." antworte ich ihr und bin regelrecht froh, dass sie es eben nicht weiß.
Plötzlich kommt unser hektischer Bühnen-Koordinator Travis auf uns zu und gibt Shira einen Klaps auf den Po. Bei jedem anderen würde ich es als unangebracht empfinden, aber Travis ist homosexuell und genauso wenig an uns interessiert, wie wir an ihm.
„Shira, dein Auftritt beginnt..." sagt er gehetzt und blickt auf seine Armbanduhr. „Genau, in 30 Sekunden!"
Shira lässt den Bund ihres Höschens schnalzen und lächelt ihn breit an.
„Schon gut Trav, ich bin so gut wie unterwegs!"
Die Musik schwillt schon an und der Ansager beginnt, Shira anzukündigen. „Wünsch mir Glück, Vögelchen!" ruft sie im Vorbeigehen und ich kreuze die Finger.

Nachdem ich einen letzten Blick in den Spiegel geworfen habe, eile ich zum Vorhang und sehe mir Shira's Auftritt an. Ich liebe und bewundere diese Frau und wenn mein Leben anders wäre, wären wir vielleicht auch abseits dieses Ladens befreundet. Jemanden zu haben, mit dem ich mein Geheimnis teilen kann, hört sich einfach zu gut an, um wahr zu sein.

The Night SparrowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt