Ich fühle mich seit Wochen das erste Mal frei und losgelöst. Das Gefühl wenn einem das eigene Gewicht beim Springen hinunterzieht, pumpt meinen Körper mit so viel Adrenalin voll, dass ich die Glückshormone beinahe greifen kann. Die ersten Paar klammere ich mich noch an Will, der mich immer noch vor sich herträgt und mit mir gemeinsam hinunterspringt. Doch nun bin ich breitet es auf eigenen Beinen zu versuchen.
„Will, lässt du mich bitte runter?", flüstere ich und er zieht die Brauen verblüfft nach oben.
Sofort lockert er den Griff um meinen Körper und lässt mich an sich hinuntergleiten, bis ich auf dem wackeligen Brett vor ihm stehe. Das Brett ist nicht sonderlich breit, weshalb mein Po an seinem Oberschenkel ruht. Meine Beine zittern ein wenig, als ich nach unten blicke und das bringt uns beide kurz ins Wanken. Sofort legt er den Arm stabilisierend von hinten um meine Hüfte und lässt seine Hand auf meinem Bauch ruhen. Es ist ein angenehmes Gefühl, aber ich bin so abgelenkt von der Nervosität, dass ich es nur eine Sekunde wahrnehme.
Mein Atem kommt mir nur noch stoßweise über die Lippen und kurz frage ich mich, ob ich es wirklich alleine schaffen kann.
„Alles okay?", flüstert mir Will ins Ohr und ich drehe meinen Kopf ein wenig zu ihm nach hinten, bis ich sein Gesicht sehen kann. Er ist mir ziemlich nahe, so nahe, dass ich seine Sommersprossen sehen kann die er im gebräunten Gesicht hat. Eine fällt mir besonders auf, da sie sich am Rand oberhalb der Oberlippe befindet.
Ich schlucke schwer und versuche den Blick von ihm loszureißen und stattdessen aufs Meer zurückzublicken.
„Ich weiß nicht genau...", gebe ich zu und beobachte ein Schnellboot, dass auf der sonst so ruhigen See auf dem Wasser braust.
Will löst seinen Arm von mir und verschränkt stattdessen die Finger mit meinen.
„Wenn du möchtest, springen wir gemeinsam los." Sein Atem streicht mir an meinem Ohr und dem Hals entlang und kitzelt mich. Ich bringe bloß ein wortloses Nicken zustande.
„Okay, dann..." Er schiebt sich ein Stück weit neben mich, so dass wir gemeinsam am Ende des Brettes stehen können. Sogleich packt mich die Angst aber zeitgleich auch die Vorfreude auf den Sprung. „Entweder du suchst dir einen fixen Punkt oder du schließt die Augen. Was bequemer für dich ist.", sagt er sanft und ich verstärke den Druck um seine Finger.
„Du schubst mich aber nicht hinunter, oder?"
Kurz lacht er und schüttelt den Kopf, was mich ein wenig entspannt.
„Vertraust du mir?"
Eigentlich eine einfache Frage aber sie bringt mich dazu zusammenzuzucken.
Vertrauen...
Ein tiefes Seufzen verlässt Will's Kehle.
„Erlaubst du mir, dass ich etwas zu der Sache sage?", erkundigt er sich vorsichtig. Ich weiß genau auf was er damit anspielen will und auch er weiß, dass ich es weiß.
Ich zucke kurz mit den Schultern. Eigentlich will ich nicht über dieses Thema reden.
„Theo ist kein übler Kerl. Wirklich nicht. Seine Entscheidungen sind eben nicht immer die seinen. Verstehst du, was ich damit sagen will?"
Ich konzentriere mich auf das Schnellboot, dass immer näher auf uns zukommt und überlege mir eine Antwort. Natürlich ist mir das klar, aber deshalb kann man Menschen nicht so behandeln.
Erneut zucke ich mit den Schultern.
„Mag schon sein. Aber ich möchte jetzt nicht darüber sprechen, sondern lieber den Mut finden endlich zu springen. Alle starren uns schon blöde an."
Ich deute mit dem Kopf in die Richtung der anderen, die uns flüsternd beobachten.
„Okay, dann los! Du gibst den Ton an und ich folge dir."
Ich nicke und atme tief durch.
„Okay auf drei... Eins...", sage ich und blicke dabei zu Will.
Er lächelt mich aufmunternd an.
„Zwei..."
Mein Herz klopft wie wild.
„Drei!" rufe ich und springe los, während ich Will hinter mir herziehe.
Es ist berauschend und leider viel zu schnell vorbei. Wir tauchen ein und die ganze Zeit lässt er meine Hand nicht los, bis wir wieder an der Oberfläche angelangt sind.
Atemlos grinsen wir uns an.
„Das war... Einfach großartig", freu ich mich und Will nickt. „Danke dass du mich nicht geschubst hast und dass du meine Hand nicht losgelassen hast."
Er schwimmt auf mich zu und sieht mir in die Augen. Sein Blick ist unergründlich und kurz vergesse ich, dass ich vor ein paar Tagen noch ein totales Wrack war.
„Ich würde niemals mein Wort brechen, du kannst mir vertrauen..", flüstert er und so komisch sich das auch anhört, glaube ich ihm einfach.
Ist das dumm? Vielleicht!
Etwas baut sich zwischen uns auf, ich kann es fühlen. Will spürt es auch, ich kann es an der Art sehen wie seine Pupillen sich weiten. Im Gegensatz zu mir macht ihm das allerdings keine Angst. Er hebt seine Hand und streicht mir eine Strähne aus der Stirn. Meine Ohren dröhnen, vom Blut das wild zirkuliert, von Motorengeräusch das immer näher zu kommen scheint und ein wenig von der Panik davor, als Will zu meinen Lippen sieht. Verrammt.
Er zieht mich zu sich und ich möchte gerade protestieren, doch plötzlich prallt eine Welle direkt in unsere Gesichter und ich verschlucke mich als ich losschreie. Ich werde hin und hergerissen vom Druck dieser Welle, kurz sogar überschwappt. Ich taste nach Will und klammere mich an seiner Brust fest um nicht erneut überspült zu werden. Was zum verfluchten Geier?! Ich wische mir das salzige Wasser aus den Augen aber es brennt so sehr, dass ich sie nicht richtig öffnen kann. Das Schnellboot von vorhin steht vor uns, das kann ich gerade noch so erkennen.„Nanu, wen haben wir denn da?", dringt eine bekannte Stimme an mein Ohr und beschert mir eine dicke Gänsehaut.
Ohne scheiß?
„Theo! Was zum Teufel sollte das denn?", brüllt Will erzürnt und packt mich fester. „Du hättest uns beide umbringen können!"
Endlich bringe ich meine Augen so weit auf, dass ich ebenfalls zu dem Boot sehen kann und muss feststellen, dass Theodor böse zu mir hinunterfunkelt. Was ist bitte sein Problem?
„Es sollte bloß ein Scherz sein. Habe ich euch gerade bei etwas gestört? Ich konnte es nicht erkennen..."
Schnaubend löse ich mich von Will und schwimme zu der Leiter der Yacht um daran hochzuklettern.
„Was willst du überhaupt hier? Ich dachte du hast zu tun?", stellt Will ihm eine Gegenfrage und klettert hinter mir die Leiter hoch.
Ich drehe meinen Kopf so weit, dass ich Theodors Gesicht erkennen kann. Der Zorn steht ihm immer noch ins Gesicht geschrieben.
„Sorry, Mann... Ich dachte nicht, dass es ein Problem wäre mit meinen Freunden ein wenig zu feiern..."
Ein wütendes Schnauben verlässt meine Kehle und zieht damit seine Aufmerksamkeit wieder auf mich.
Endlich bin ich oben angekommen und klettere über die Reling.
Rasch greife ich nach meinem Handtuch und reibe mir die Augen trocken.
Will kommt dicht gefolgt von Theodor an Bord und zu meinem Leidwesen, bleiben beide an meiner Seite stehen.
Mega ungutes Gefühl!
Ich versuche Theodors Blick auszuweichen und starre stattdessen meinen Bruder wutentbrannt an, der peinlich berührt die Arme hebt.
Will geht schnaubend an mit vorbei, an den Tisch mit Getränken und spült sich den Mund aus.
Ein theatralischer Seufzer ertönt direkt neben mir und ich hebe den Kopf.
„Warum seid ihr alle so empfindlich, es war wirklich nur ein Scherz. Ich hab dich doch nicht verletzt oder kleine De Vere?!"Ein bitterer Laut kommt mir über die Lippen. Der Mann hat vielleicht Nerven!
Wütend funkle ich Theodor an.
„Lass den Scheiß! Du weißt genauso gut wie ich, dass es kein Scherz war. Sei wenigstens einmal ehrlich und gib zu, dass du es mit voller Absicht getan hast, weil du..."
Ich breche ab, bevor ich den Satz zu Ende sprechen kann. Worthington blickt mich verwundert an. Entschieden, nicht mit ihm zu diskutieren, gehe ich an ihm vorbei, werde jedoch zurückgehalten.
Er tut es nicht grob oder bestimmend, eher stellt er sich mir nur in den Weg.
„Weil ich was?", flüstert er mir zu und ich blicke ihm zum ersten Mal seit der Party ins Gesicht.
Zu viele Emotionen überkommen mich dabei. Wut, Trauer, Verletzlichkeit aber auch Bosheit.
Ich schnalze mit der Zunge und wende den Blick ab, unternehme einen weiteren Schritt, um nun an ihm vorbeizukommen.
Doch er bewegt sich mit mir.
„Nein, sprich dich aus. Ich hab es vielleicht sogar verdient, es zu hören..." Der Ton mit dem er das sagt, bringt mich dazu ihn erneut anzusehen, jedoch verwundert. Da ist keine Bosheit oder Hohn in seinem Blick. Es ist etwas völlig anderes. Reue? Mitleid?
Ich schüttle den Kopf, damit will und kann ich mich gerade wirklich nicht befassen. Aber er geht mir einfach nicht aus dem Weg.Ich will einfach nur in meine Kabine. Sein Blick sucht meinen, aber zum Glück fasst er mich nicht an. Ich würde ihm den Arm abhacken, falls er es versuchen sollte. Was will er hören? Ich bin nicht diejenige, die ihn an der Nase herumführt.
„Herzlichen Glückwunsch zu Verlobung", platzt es plötzlich aus mir heraus und weil ihn das so zu überraschen scheint, bekomme ich meine Chance zur Flucht.Awwwwe, ist da jemand eifersüchtig?? 💀🤦🏼♀️😅😂
Wer hat es vermutet?
Irgendwie find ich es ja süß 😬😂
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The Night Sparrow
Romance✨„Stars can't shine without darkness"✨ Eine junge Frau, die bei Tag ein Leben unter stetiger Beobachtung führt, die jede Nacht die Ketten für einen Moment ablegt, um sich endlich frei zu fühlen. Soleil ist Tänzerin, im berüchtigten Nachtclub „ Sens...