THIRTY-FIVE

371 41 20
                                    

„Hörst du mir denn überhaupt zu Soleil?" Die vorwurfsvolle Stimme meiner Mutter reißt mich aus meinen Gedanken

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.


„Hörst du mir denn überhaupt zu Soleil?"
Die vorwurfsvolle Stimme meiner Mutter reißt mich aus meinen Gedanken. Seit gestern Nacht verliere ich oft den Fokus. Ich habe gestern ein wenig mehr über Theodor erfahren. Der Mann ist ein Buch mit sieben Siegeln, ein fleischgewordenes Rätsel. Ich habe das Gefühl, erst an der Oberfläche gekratzt zu haben. Es ist verrückt, wie neugierig ich darauf bin, was sich hinter seiner perfekten und manchmal auch nervtötenden, Fassade verbirgt.

Ich schüttle die Gedanken ab und blicke geradewegs in das genervte Gesicht meiner Mutter.
„Hm, was sagtest du gerade?"
Ich trenne ein Stück aus der halben Grapefruit heraus und schiebe mir das bitter Fruchtfleisch in den Mund. Nicht mal das, kann mir heute die Laune verderben.
„Ich habe dich gefragt, wie es mit dir und Theodor Worthington läuft. Ich habe ihn gestern gar nicht mehr zu Gesicht bekommen."
Mutter rührt, mit abgespreizten kleinen Finger, in ihrer Teetasse und lässt mich keine Sekunde aus den Augen.
Es geht mir fürchterlich gegen den Strich, dass sie so neugierig ist, deshalb zucke ich gleichgültig mit den Schultern und antworte ihr so neutral ich kann.
„Ganz gut. Aber er war nur hier, weil er nichts besseres zu tun hatte. Ich würde meine Hoffnungen nicht zu sehr in ihn setzen."
Mutter lässt den Löffel los, der klirrend an den Rand schlägt. Ich wappne mich schon, kann die Schimpftirade schon beinahe hören, doch sie überrascht mich komplett, indem sie laut lacht. Ich habe keine Ahnung, wann sie das das letzte mal in meiner Gegenwart getan hat. Verblüfft starre ich sie an, bis sie sich wieder gefangen hat.
„Soleil... Eines kannst du mir glauben, Männer tuen nichts, was sie nicht möchten. Er mag dir vielleicht gesagt haben, dass es so ist, aber das ist eine glatte Lüge!"
Es kommt nicht oft vor, wenn ich mit Mutter spreche, aber ich bin für einen Moment sprachlos.
Kann es sein, dass sie damit recht hat?
Ich will ihr allerdings nicht die Genugtuung verschaffen, dass sie bemerkt, wie glücklich mich dieser Gedanke stimmt. Es würde ihr nur noch mehr Zündstoff geben, damit sie mich nervt und kontrolliert.
Ich schiebe mir erneut ein Stück von der bitteren Frucht in meinen Mund und schweige erneut.
„Hast du denn gar nichts dazu zu sagen? Sonst gibst du doch auch immer Widerworte!", sagt sie und wirkt sichtlich irritiert von meiner gleichgültigen Reaktion.
Langsam lege ich den Löffel zur Seite und nehme einen Schluck von dem grausamen Gesöff, dass Mutter und Dora mir als Tee verkaufen.
„Es spielt keine Rolle, was Worthington will oder nicht. Ich finde ihn nicht sonderlich sympathisch."
Eine glatte Lüge, aber  ich tue was ich kann, um mich und mein Privatleben vor ihren neugierigen Augen zu schützen.
Mutter schnaubt und schüttelt danach ungläubig den Kopf. Dann tritt ein neuer Ausdruck auf ihr Gesicht und das macht mich etwas stutzig.
Nun ist sie es die mir mit gleichgültigem Ton entgegensetzt: „Schade, denn wenn das der Wahrheit entspricht, wird es dich auch nicht interessieren, dass Dora dir eine Einladung zum morgigen Ball bei den Worthington's auf den Bett gelegt hat."
Ich starre sie mit weit aufgerissenen Augen an, während Mutter an ihrem Tee nippt und mich über den Rand der Tasse amüsiert beobachtet.
Ich räuspere mich kurz und zucke mit den Schultern, ehe ich den Blick von ihr abwende.
Durchhalten!
„Und wenn ich mich recht entsinne, lag auch noch ein extra Brief für dich dabei..."
Mein Herz setzt einen Schlag aus, als sie das sagt. Ich schlucke schwer und zwinge mich danach zu einem süßlichen Grinsen.
„Ich mag Bälle nicht besonders, wie du weißt."
Ich rechne mit einem Wutausbruch, doch Mutter lächelt amüsiert weiter und zuckt dann
selbst mit den Schultern, ehe sie sich ein Stück Grapefruit in den Mund löffelt.
„Wie schade, eine echte Schande!", sagt sie gekünstelt und bedenkt mich mit einem wissenden Blick.

-
Ich darf nicht laufen! Mutter würde ihre Katzenohren spitzen und das von mir erwarten. Ein wenig nervt es mich, dass ich sie nicht an der Nase herumführen konnte. Ich zwinge mich dazu gemächlich zu meinem Zimmer zu gehen, obwohl ich am liebsten den Gang entlanglaufen möchte. Ich drücke die Klinke herunter und trete in mein Zimmer ein, sobald ich die Türe langsam geschlossen habe, werfe ich jedoch alle Hemmungen über Bord und stürze auf mein Bett zu. Tatsächlich liegen dort zwei Briefe. Ich greife zuerst nach der Einladung.
Sie ist glänzend weiß mit goldener Schrift und spiegelt den edlen Anlass wider. Ich öffne sie und überfliege den Text rasch. Danach lege ich sie beiseite und greife mit zittrigen Fingern und pochenden Herzen nach dem beiliegenden Brief.
Ich öffne ihn hastig und falte das Blatt auseinander.

Kleine De Vere,

Ich weiß, wir beide hatten einen holprigen Start. Für mein dummes Verhalten dir gegenüber, gibt es keine Entschuldigung, aber dennoch hoffe ich, dass du sie trotz allem annimmst und mir die Ehre erweist, mich auf den Ball zu begleiten.
Bitte gib dir einen Ruck und mir eine zweite Chance!
Ich sende dir einen Wagen, der dich morgen um 19.30 abholt und hoffe, dass du somit meinem offiziellen Werben zustimmst.

In freudiger Erwartung
X

Ich lese den Brief erneut und das Klopfen meines Herzens wird lauter und fester. Theodor hat zwar nicht wirklich unterzeichnet, aber die Worte die er gewählt hat, lassen keinen Zweifel daran, dass er es ist. Ein irritierendes Gefühl überkommt mich, als ich den vorletzten Satz noch einmal lese.
Offizielles Werben?
Bedeutet das wirklich das was ich vermute?
Gestern wollte er doch bloß unverbindlichen Sex mit mir und da war lange keine Rede von einem „offiziellen Werben"! Gestern Abend hat er auch kein Wort über seine Gefühle, für mich verloren.

Ich lasse meine Augen noch einmal über die geschwungenen Worte gleiten und grinse dümmlich vor mich hin, während ich meine Zweifel in eine Kiste sperre und den Schlüssel wegschmeiße. Zum Teufel damit! Endlich fühle ich mich nicht unzulänglich oder gar fehlerhaft. Ich bin keine beschädigte Ware oder eine Schande für meine Familie! Ich drücke den Brief an mein Herz und lege mich mit dem Rücken aufs Bett.
Will ich überhaupt, dass Theodor um mich wirbt? Es gibt noch so vieles was ich nicht verstehe und was ich nicht über ihn weiß. Tut er es vielleicht bloß, weil seine und meine Mutter ihn drängen? Ich verdränge auch diese negativen Gedanken und fahre mit den Fingern über den Brief.

Vielleicht muss ich den Sprung ins kalte Wasser einfach wagen und sehen, wohin es mich treibt.


3 an einem Tag, ich bin stolz 🥹
Bitte voten und kommentieren wenn es euch gefällt ✨♥️

The Night SparrowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt