THIRTY-TWO

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Mein Finger kreist unentschlossen über der irgendwie bedrohlich wirkende Sende-Taste

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Mein Finger kreist unentschlossen über der irgendwie bedrohlich wirkende Sende-Taste. Wut über meine eigene Dummheit und ein verletztes Ego, haben mich dazu getrieben diese Email samt Video-Anhang, an diesen fürchterlichen und Schlagzeilen-geilen Reporter des reichweitenstärksten Käseblatts zu verfassen. Mein Kopf dröhnt, während meine Schläfen so fürchterlich pochen, als wollten sie mir das Hirn zerquetschen. Kurz halte ich jedoch inne und fahre mir über den rechten Unterarm. Will ich es denn tatsächlich durchziehen? Wiegt diese Demütigung wirklich so schwer, dass ich Theodor so sehr leiden lassen muss? Es ist das Eine, wenn er mich als „Night Sparrow" dafür bezahlt, ihm zur Verfügung zu stehen, aber dass er tatsächlich die Dreistigkeit besitzt, zu erwarten, ich wäre als Soleil dazu bereit, sein „Booty-Call" zu sein, schlägt dem Fass den Boden aus. Körperliche Anziehung hin oder her!
„Aber er hat dich gestern Nacht gerettet!", erinnert mich eine innere Stimme und ich keuche so laut, als wäre sie mir mit Stahlkappenschuhen auf den großen Zeh gestiegen. Warum habe ich immer Mitleid mit diesem Arsch? Nichts was er tut, während wir uns in der Realität treffen, spiegelt den sanften Mann wieder, der er im Club zu sein scheint.

Ich seufze tief, während ich meinen Finger von der Sende- Taste entferne, um mir die Konsequenzen meines Vorhabens noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Ja, er hat mich verletzt und mich dazu gebracht, alle meine Prinzipien über Bord zu werfen. Erneut- wenn man es ganz genau nimmt. Ich habe sogar zugelassen, dass mich die Gefühle für den „Nacht-Theodor", meine Abneigung gegenüber dem „Tag-Worthington", vergessen lassen. Diese Grenze verschwimmt in meinem Inneren und ich fange an, mich zu fragen, ob eine Trennung der beiden überhaupt möglich ist.
Will ich das überhaupt? Oder ist es einfacher, mir einzureden, dass der eine, den anderen irgendwann ersetzt?
Ich sollte es im Grunde am Besten wissen, dass so etwas nicht wirklich möglich ist.
Natürlich spiele auch ich am Tag eine gewisse Rolle, um mich den Standards meiner Familie anzupassen, aber das bedeutet nicht, dass nichts davon, was ich sonst erlebe, tue und fühle eine Lüge ist. Ebenso geht es mir als „Night Sparrow". Ich genieße die Aufmerksamkeit und den Rausch, den ich verspüre, wenn ich im Club auftrete, aber nur so zu leben, wäre auch nicht genug.
Ich möchte gerne beides sein. Die Heilige und die Sünderin. Es sollte keine Entscheidung notwendig sein müssen.

Diese tiefschürfenden Gedanken laugen mich aus und ziehen mich an einen dunklen Ort. Dort ist es kalt und einsam. Ich fürchte mich davor und beschließe, dass heute nicht der richtige Tag dafür ist, mich durch dieses trostlose Dickicht kämpfen zu müssen.
Stattdessen atme ich tief ein und aus, ehe ich die E-Mail in den Entwurfordner befördere.
„Ein Schritt nach dem anderen", sage ich zu mir selbst und suche in meinen Kontakten nach Shira's Nummer. Ich habe ihr zwar eine kurze Nachricht gesendet, dass es mir gut geht und ich ihr sehr dankbar für alles bin aber das kommt mir nun ein wenig puristisch und schäbig vor.
Es klingelt einige Male bis sie den Anruf annimmt.
„Hey, Vögelchen... Na wie geht es dir?", sagt sie gut gelaunt und ich muss unwillkürlich lächeln.
„Ganz okay, danke. Ich wollte mich noch einmal bei dir bedanken, Shira-" Ich möchte eigentlich noch etwas hinzufügen, doch sie plappert mir ins Wort.
„Es gibt nichts zu danken! Eine Freundin in Not, lässt man nämlich nicht im Stich- zumindest da wo ich herkomme..."
Ihre Worte versetzen mir einen Stich. Unsere Kreise mögen sich als ziemlich kultiviert und zivilisiert bezeichnen, doch das ist eine Lüge. Wenn jemand in der Klemme steckt, freuen sich die anderen beinahe diebisch über diesen Umstand. Das Getratsche würde kein Ende nehmen. So lange man auf der Sonnenseite des Lebens steht, hat man scharenweise Freunde um sich, aber wehe, das Blatt würde sich für einen wenden... Man wäre rascher aus diesen Kreisen verstoßen, als man das Wort „Treuhandfonds" sagen kann.

„Trotzdem...", sage ich schließlich. „Ich nehme es nicht für selbstverständlich."
Es ist mir ein Bedürfnis, dass Shira das weiß.
„Schon gut, wirklich. Sehen wir uns heute Abend oder setzt du noch einen Abend lang aus?"
Ich bin einerseits froh über den Themenwechsel, doch andererseits erinnert mich das an den widerwärtigen Kerl, der mich angetatscht hat. Mit wird bei dem Gedanken an seine warmen schwitzigen Händen auf meiner Haut, speiübel.
Ich schlucke schwer, ehe ich Shira antworte.
„Heute Abend setze ich noch aus, ich komme morgen für eine Doppelschicht. Donn war nicht gerade begeistert, doch er kann froh sein, dass ich ihn nicht dafür verklage, dass die Hilfe so lange auf sich warten lies."
Ich höre Shira am anderen Ende der Leitung lachen.
„Deine Ausdrucksweise ist lustig, Vögelchen! Man könnte fast meinen, du wärst eine von diesen Polo-Schnöseln aus den Klatschmagazinen und keine Nachtclubtänzerin!"
Ich fahre zusammen, während Shira immer noch lacht. Gott sei Dank, hat sie keine Ahnung , wie nah sie der Wahrheit damit gekommen ist.

„Jaaaah, haha!", gebe ich von mir, aber es wirkt eher wenig überzeugend. „Okay, wir sehen uns dann morgen. Mach's gut!"
Nachdem meine Freundin sich ebenfalls verabschiedet hat, beende ich das Telefonat und lasse mich auf den Rücken fallen.
Es ist schon eigenartig. Mutter beschwert sich am laufenden Band, über meine Ausdrucksweise, aber Shira hat den Nagel beinahe sofort auf den Kopf getroffen. Ist das die Quittung dafür, dass ich mein Schutzschild ein wenig sinken gelassen habe? Es ist frustrierend andauernd eine Rolle spielen zu müssen, damit niemand hinter mein wahres Ich kommt. Ich stelle mir allerdings die Frage, ob ich selbst weiß, wie dieses Ich überhaupt aussieht. Ich hatte nie richtig die Gelegenheit, das wirklich und wahrhaftig herauszufinden.
Ich krabble höher auf mein Bett und schlinge mir die Decke um den Körper.
Das Pochen  in meinen Schläfen, treibt mir die Tränen in die Augen und deshalb schließe ich sie für eine Sekunde. Wirklich nur für eine Sekunde...

-

Das ohrenbetäubende Klingeln meines Telefons reißt mich aus Schlaf. Als ich meine Augen aufreiße ist es komplett dunkel um mich herum. Ich muss lange geschlafen haben. Ich versuche mich an die Dunkelheit zu gewöhnen und mein Handy zu finden. Ich zerre die Decke vom Bett und wühle in den Kissen, als ich es endlich ertaste, hört das Klingeln auf. Als ich den Anrufer sehe, bin ich sofort hellwach. Shira. In der selben Sekunde fängt das Telefon erneut an laut zu läuten und ich tippe hastig auf den grünen Knopf.
„Hallo? Shira? Was ist los?", Presse ich heraus und kann die laute Musik und die dröhnenden Bässe im Hintergrund hören. Ich kneife die Augen fest zusammen, damit ich verstehen kann was sie mir ins Ohr schreit.
„Bumm, Bumm, du musst sofort kommen, Bumm, Bumm, Bumm, dein VIP ist sturzbetrunken, Vögelchen...Bumm, bumm..."
Mir wird speiübel. Theo ist im Club.
„Was?", rufe ich in den Hörer und hoffe, dass ich sie bloß falsch verstanden habe. Warum soll gerade ich kommen, nur weil er betrunken ist.
„Warte kurz!", brüllt sie und ich höre die Nebengeräusche ein wenig schwächer werden.
„Vögelchen, ich dachte du würdest das, nach Vorgestern vielleicht gerne selbst regeln. Der VIP ist total durch und pöbelt die Bouncer an. Burke kann sie gerade noch im Zaum halten, aber ich garantiere für nichts..."
Mein Herz schlägt so schnell, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann.
„Vögelchen, verstehst du was ich sage?", drängt Shira erneut nach und ich nicke.
„Ja...", erwidere ich, weil mir klar wird, dass sie mich ja nicht sehen kann.
„Also schwingst du deinen kleinen Knackarsch jetzt hierher oder soll ich ihn Burke und den anderen überlassen?"

Ich hüpfe vom Bett und stürze zum Wandschrank.
„Ja, ich komme. Danke.", sage ich und beende das Gespräch, während ich nach einem schwarzen Hoddie und einer leggings greife und sie in eine Tasche stopfe.
Rasch bestelle ich den Taxifahrer, während ich zum Schminktisch laufe und eine Maske herauskrame und sie ebenfalls zu den übrigen Dingen dazustopfe.
Ich öffne so leise ich kann, meine Zimmertür und schlüpfe hinaus.
Als ich im dunklen Geheimgang angekommen bin und meine eiligen Schritte an den feuchten Wänden widerhallen, macht sich ein beklemmendes Gefühl in meiner Brust breit.
Warum eile ich Theodor eigentlich zur Hilfe?
Ein paar Schrammen mehr in seinem Gesicht und ein paar Dellen in seinem Ego, würden ihm doch nicht weiter schaden! Ich komme an die Stelle, wo ich meine andere Tasche mit der Perücke und dem anderen Kram verstaut habe und halte für eine kurze Sekunde inne.
Was gehen mich seine verdammten Probleme an? Wenn er trinken und pöbeln will, soll er das doch tun.
„Du bist es ihm schuldig, immerhin hat er dich auch gerettet!", beklagt sich die innere Stimme lauthals.
Ich seufze ergebend, ehe ich nach der anderen Tasche greife und den Inhalt in die Neue stopfe.

The Night SparrowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt