5. Kapitel

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Mavis 

Ich war bestürzt über die Tatsache, wie schnell Phoebe und ich uns in kürzester Zeit aus den Augen verlieren konnten. Noch bestürzter war ich allerdings darüber, wie wenig dafür nötig war – ein gutaussehender Kerl. Und das nach all dem, was wir zusammen durchgemacht hatten.

Nachdem meine Schwester wütend mit Malik verschwunden war, versuchte ich, sie am Abend telefonisch zu erreichen, als ich feststellte, dass sie nicht nach Hause kam. Und dann auch am Mittag und Nachmittag des darauffolgenden Tages. Immer wieder rief ich sie an, um sie zu bitten, nach Hause zu kommen, damit wir die Sache besprechen konnten. Vergeblich... Ich hörte kein einziges Wort von ihr für ganze 3 Tage.

Die in mir herrschende Ungewissheit quälte mich. Mein Kopf malte sich unzählige Szenarien aus, was mit ihr passiert sein könnte. Was der Kerl, oder irgendjemand Anderes ihr angetan haben könnte. Der Stein, der mir vom Herzen fiel, als ich hörte, wie sich am frühen Abend die Wohnungstür aufschloss, war gigantisch. Ich war gerade dabei, einen Salat zu schneiden, als ich das Geräusch unserer Wohnungstür vernahm. Sofort legte ich das Messer neben das Schneidebrett auf dem Küchentresen ab und lief mit hastigen Schritten zum Türrahmen der Küche, um in den Flur zu sehen. Die Erleichterung, die ich empfand, als ich sie unversehrt die Tür hinter sich schließen sah, war unbeschreiblich. 

Der kurze Blick, den sie mir zuwarf, war ernst und abweisend. Ich vermutete, dass sie erwartete, dass ich sauer auf sie wäre, wenn sie hierher zurückkommen würde. Aber so war es nicht. Egal, welche Entscheidungen sie treffen würde, ich wäre deshalb nie sauer auf sie. Zumindest nicht so lange. Und falls doch, nur aus Angst, sie zu verlieren.

„Ich bin froh, dass du wieder da bist", sagte ich mit ruhiger Stimme, als sie ihre Jacke auszog und sie dann an einen Haken neben der Tür hängte. Außer dass sie sehr müde aussah, wirkte sie wie immer.

„Ich bleibe nicht lange. Ich werde nur ein paar meiner Sachen holen", entgegnete sie daraufhin und lief dann an mir vorbei, durch den Flur, in ihr Zimmer. Das war doch nicht ihr Ernst?!

„Und dann gehst du wieder zu diesem Typen? Zu Malik?", fragte ich, noch immer mit ruhiger Stimme, während ich ihr mit gemächlichem Schritt durch den Flur folgte. Ich merkte, wie meine Emotionen schon wieder drohten aufzukochen. Ich verstand sie nicht. Wie konnte sie ihn, nach allem, was hinter uns lag, vorziehen?

„Richtig", antwortete sie knapp, ohne mich anzusehen. Als ich ihr so weit gefolgt war, dass ich an der Türschwelle ihres Zimmers angekommen war, machte ich halt. Nachdem ich meinen Blick zu ihr hineingerichtet hatte, sah ich, wie sie ihren Kleiderschrank öffnete und wahllos einige Kleidungsstücke herausriss.

„Phoebe, der Typ ist gefährlich. Von dem solltest du dich wirklich fernhalten", erwiderte ich, als meine Augen ihren Bewegungen folgten. Innerlich betete ich, dass ich es schaffen würde, sie von dieser dummen Idee abzubringen. Ich wusste aber, dass ich nichts machen konnte, wenn sie wirklich gehen wollte. Ich konnte mir vorstellen, wie leicht sie von ihm beeinflusst wurde.

„Weil er mit Drogen dealt?", fragte sie daraufhin und richtete ihre volle Aufmerksamkeit nun das erste Mal, seit sie hier war, komplett auf mich. Unter ihren Augen zeichneten sich dunkle Augenringe ab. Es sah so aus, als hätte sie die letzten drei Tage keine Sekunde geschlafen. Dies ließ mich vermuten, dass sie mit ihm weitere Drogen genommen hatte.

„Ja. Du kennst ihn nicht. Er könnte dir etwas antun", antwortete ich und schüttelte leicht fassungslos meinen Kopf. Es wirkte so, als hätte sie ihren Verstand verloren. Als könnte sie nicht mehr logisch und vernünftig denken. Sie hatte quasi ihr altes Leben überlebt und ein neues, besseres geschenkt bekommen. Wie konnte sie so achtlos damit umgehen?

„Und was bitte soll das sein?", stellte sie als Gegenfrage und verschränkte dabei ihre Arme vor der Brust. Ich wusste, dass ich sie wahrscheinlich mit gar nichts überzeugen konnte. Aber wenn ich die Chance dazu hatte, würde ich es dennoch versuchen. Denn jetzt gerade war zum Glück ein Moment, in dem ich das Gefühl hatte, dass sie mir zuhörte.

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