34. Kapitel

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Mavis

Jede Sekunde, die ich an dieser Bar saß und versuchte, meinen Drink zu genießen, wie ich es zu Beginn des Abends geplant hatte, spürte ich Blakes brennenden Blick auf mir. Wie er mich die ganze Zeit über musterte. Es war ein unerträglich unangenehmes Gefühl. Dennoch bemühte ich mich, mir dies nicht anmerken zu lassen. Ich wollte nicht, dass er erkannte, dass seine spürbar dominante Präsenz in diesem Raum mich quälte und dazu zwang, mir einzugestehen, dass ich einen weiteren dummen Fehler gemacht hatte. Den Fehler, mir zu sicher zu sein im Bezug auf die Dinge, die ich ihm gegenüber sagte und tat. Ich hatte nicht bedacht, dass ich diese Bar irgendwann wieder verlassen musste. Er jedoch schien dies die ganze Zeit im Hinterkopf gehabt zu haben, was seine Gelassenheit erklärte.

Während ich meinen starren Blick vor mich gerichtet hielt, spürte ich erneut die Verzweiflung in mir aufsteigen. Verzweiflung wegen meiner Machtlosigkeit ihm gegenüber. Weil ich nichts tun konnte, um so frei zu sein, wie ich es wollte. Eine schmerzhafte und lähmende Verzweiflung, die in mir das Bedürfnis weckte, zu schreien und zu weinen.

„Du hast eine bemerkenswerte Ausdauer, das muss ich dir lassen", riss mich seine ruhige Stimme wieder aus meiner Trance. Ich musste meinen Blick gar nicht von meinem noch halbgefüllten Glas abwenden, um zu sehen, dass er wieder neben mir stand und mich ansah. „Allerdings zögerst du damit nur das Unvermeidliche hinaus und machst es schlimmer", fügte er hinzu, nachdem er für ein paar Sekunden geschwiegen hatte.

„Ich bezweifle, dass es noch schlimmer werden kann", entgegnete ich. Meine Stimme war ebenfalls ruhig, obwohl mein Herz stark in meiner Brust hämmerte. Auch wenn ich dachte, dass er mir hier nichts tun könnte, schien sich ein Teil in mir dem nicht sicher zu sein, weshalb mein Puls zu rasen begann, als er wieder neben mir stand. Blake hatte schon einige Male gezeigt, wie unberechenbar er war, so dass ich auch jetzt damit rechnen musste, dass er mir hier etwas tun könnte.

„Das kann es, glaub mir", antwortete er daraufhin kühl. Eine Aussage, die mir augenblicklich einen Schauer über den Rücken jagte und dafür sorgte, dass sich eine gewaltige Gänsehaut auf meinen Körper legte, während ich meinen Blick nun wieder langsam zu ihm aufrichtete. Es war erschreckend, wie überzeugt er diese Worte sagte, so als wüsste er bereits jetzt, ohne darüber nachzudenken zu müssen, zu welchen grausamen Dingen er fähig war.

„Indem du mich umbringst?", fragte ich daraufhin ehrlich. Das war es, was mir in den Sinn kam, wenn ich an etwas Schlimmeres dachte. Schlimmer im Sinne von nicht steigerbar. Der Tod war die Endstation. Weiter als das konnte es nicht gehen.

„Ich sagte dir bereits, dass ich dich nicht umbringen werde", antwortete er und wendete seine Aufmerksamkeit von mir ab. Sein Blick fiel in die Richtung des Barkeepers, um ihm mit einer flüchtigen Handbewegung zu signalisieren, dass er einen weiteren Drink wollte.

„Ich schätze, das wirst du aber müssen. Es sei denn, du möchtest, dass diese erzwungene Zusammenarbeit für den Rest unser beider Leben so aussieht", entgegnete ich ernst. Ich hatte meine Worte bewusst provokant gewählt. Ein Teil in mir wollte, dass er wütend wurde und die Tatsache anerkannte, dass ich für immer alles in meiner Macht Stehende tun würde, um meinen Willen ein Stück zu behalten.

„Du solltest vorsichtig mit deinen Annahmen sein, Mavis. Eine davon hat dich schließlich erst in diese ganze Situation gebracht", sagte er. Seinen Blick hatte er noch immer vor sich gerichtet, nun jedoch auf den Typen hinter der Bar, der auf uns zukam und sein leeres Glas gegen einen neuen Drink austauschte, bevor er wieder verschwand.

Seine Aussage ließ mich stocken. 

„Als du damals in den Laden gekommen bist, hast du angenommen, dass ich dich umbringe, wenn du auffliegst. Deshalb hast du dich dabei so ausgesprochen dumm angestellt", erklärte er, nachdem er einen Schluck seines neuen Drinks genommen hatte. Seinen Blick ließ er daraufhin wieder zurück in mein Gesicht wandern.

Der Inhalt seiner Worte kam mir bekannt vor. Er hatte sie bereits ähnlich formuliert, als wir uns an jenem Abend das erste Mal in seinem Büro unterhielten. Er ahnte, dass es kein Zufall war, dass er mich sah und ich aufgeflogen war. Dadurch, dass er den Fokus erneut auf diese Vermutung legte, bekam ich das Gefühl, dass er eine Reaktion oder Antwort diesbezüglich von mir erwartete.

„Hatten wir das nicht schon? Ich war nicht sehr gut in meinem Job", entgegnete ich knapp, nachdem ich für einen Moment geschwiegen hatte. Ich hatte darüber nachgedacht, ob ich nachgeben und ehrlich zu ihm sein sollte. Genauso schnell, wie mir der Gedanke gekommen war, war er allerdings auch wieder weg. Es wäre ein Fehler, ihm weitere Dinge zu liefern, die er am Ende gegen mich verwenden könnte.

„Du bist es noch immer nicht", gab er daraufhin wieder, ohne seinen Blick von mir zu lösen. 

Eine Aussage, die mich verächtlich schnauben ließ, während ich kopfschüttelnd meine Aufmerksamkeit von ihm abwendete und zurück auf meinen Drink richtete. Ich hasste diese Seitenhiebe, die er immer wieder austeilte, um mich klein zu machen. 

„Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass das alles hier womöglich wirklich anders aussehen könnte, wenn du nicht immer diese unausstehliche und widerliche Person wärst?", fragte ich nun ruhig und sah wieder zu ihm auf. Ich wusste, dass ich im Laufe dieses Abends für all die Dinge bezahlen würde, die ich sagte, aber besser nicht sagen sollte. Dennoch hielt mich dieser Gedanke nicht davon ab, sie zu sagen.

„Es klingt, als möchtest du mit mir verhandeln", antwortete Blake daraufhin. Der Ausdruck in seinem Gesicht änderte sich nun innerhalb einer Sekunde von neutral zu leicht amüsiert.

„Nein, ich brauche nur... ich..." stammelte ich für einen kurzen Augenblick vor mich hin, in dem ich versuchte, einen Satz zu formulieren. Als ich merkte, dass es nicht klappte, verstummte ich für ein paar Sekunden. „Warum spendest du dieses viele Geld an Kinder?"

„Diese Frage hast du mir bereits gestellt", antwortete er nun wieder kühl, ohne seine dunklen Augen von meinen abzuwenden. Sofort bemerkte ich die leichten mahlenden Bewegungen seines Kiefers. Es hatte ihm schon beim letzten Mal nicht gefallen, dass ich ihm diese Frage gestellt hatte. Wie auch jetzt gerade...

„Du hast mir keine Antwort gegeben", sagte ich knapp.

„Und weil der Alkohol dich mutig macht und wir nicht alleine sind, stellst du sie mir erneut", bemerkte er. Anders als beim letzten Mal schmetterte er die Frage diesmal nicht sofort ab. Dies bestärkte mich in meiner Vermutung, dass es wirklich einen Grund gab. Ich fühlte mich selbst so erbärmlich, dass ich zwanghaft versuchte, mehr über ihn herauszufinden, in der Hoffnung, etwas anderes in ihm zu sehen als das, was ich bisher in ihm gesehen hatte.

„Du solltest mittlerweile gemerkt haben, dass es bei mir keine leichten Wege gibt, Mavis," antwortete er wieder ernst, bevor er den letzten Rest seines Drinks exte. Dann griff er in die Innentasche seines Jacketts und holte ein Bündel Geldscheine hervor, auf die er seine Aufmerksamkeit richtete. „Entweder du kommst jetzt mit mir, stellst mir diese Frage erneut und erhältst vielleicht eine Antwort, oder du bleibst hier. Die Konsequenzen für diesen Abend werden folgen, egal wie du dich entscheidest," ergänzte er. Er nahm so viele Scheine ab, dass sie auch meine Drinks abdeckten, und legte sie neben sein leeres Glas. Dann richtete er seinen Blick ein weiteres Mal auf mich, bevor er sich schließlich abwendete und durch die Bar Richtung Ausgang lief...

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