44. Kapitel

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Blake

Wenn Sawyer nicht mein kleiner Bruder wäre, würde ich ihn und seinen sturen Arsch abgrundtief hassen. Ihn und seine festgefahrene Meinung über Dinge, von denen er keinen Schimmer hatte, aber dennoch glaubte, Ahnung zu haben. Über mein mühsam aufgebautes und gut durchdachtes Geschäft. Von dem Moment an, als mir klar wurde, dass ich wollte, dass er Teil davon war, vermutete ich, dass es nicht leicht werden würde, ihn von seinen übertriebenen Überzeugungen abzubringen.

Am Morgen war ich zu ihm in die Bar gefahren, um ihm von meinem Plan für uns zu erzählen. Mit der naiven Hoffnung, dass ich vielleicht doch zu ihm durchdringen würde. Ich wollte einen Teil des Geldes, das ich durch meine Geschäfte verdiente, über seine Bar waschen. Nur einen kleinen Bruchteil davon. Nicht, weil ich keine andere Möglichkeit hatte, sondern weil ich wollte, dass er in all das involviert war. Mit dem Ziel, den Keil, der sich durch seine Abneigung gegen meinen Job zwischen uns getrieben hatte, aufzulösen. Der Konflikt, der daraufhin entstand, machte jedoch nochmal mehr deutlich, dass ich niemals zu ihm durchdringen konnte. Also schickte ich, obwohl ich ahnte, dass es zu früh war, Mavis zu ihm in den Laden, bevor sie zur Arbeit ging. Trotz des Wissens darüber, dass es wahrscheinlich zu früh war und er sie wegen dem, was sie getan hatte und noch immer tat, verabscheute, wollte ich, dass sie alles in ihrer Macht Stehende versuchte...

Mein schwerer Blick, den ich die letzten Stunden auf die Unterlagen vor mir gerichtet hatte, wanderte zur geschlossenen Tür meines Büros. Ein kurzes und schwaches, leicht zu überhörendes Klopfen zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ohne auf meine Erlaubnis zu warten, öffnete sie sich einen Spalt breit, sodass ich Mavis erblickte, die zu mir ins Büro hinein sah. Ich hatte ihr durch Carter ausrichten lassen, dass ich sie am Ende der Nacht noch in meinem Büro sehen wollte. Etwas Unübliches. Mit meinem Kopf machte ich eine flüchtige Bewegung in Richtung des Sessels mir gegenüber, um sie aufzufordern, sich zu setzen.

„Es ist spät. Können wir morgen darüber reden?", fragte sie und verharrte an der Tür. Ihr Blick war müde. Die Frage zeigte, dass sie wusste, warum ich sie anders als sonst noch nach der Arbeit in mein Büro zitieren ließ. Mein darauf folgendes, bestimmtes Kopfschütteln veranlasste sie allerdings, wie gefordert in mein Büro einzutreten und die Tür hinter sich zu schließen.

„Ich befürchte, dass ich dir nicht das sagen kann, was du hören möchtest", gestand sie mit ruhiger Stimme, während sie weiter in den Raum hinein trat und sich dann auf dem Sessel niederließ. Während sie sprach, wanderte ihr Blick gefühlt über alles, was sie vor sich auf meinem Schreibtisch sehen konnte. Etwas, von dem ich wusste, dass sie es tat, um meinen Blick zu meiden.

Ihre Worte waren keine allzu große Überraschung. Ich dachte mir bereits, dass sie nicht direkt beim ersten Versuch erfolgreich sein würde. „D-Dein Bruder hat eine extrem starke Meinung zu all dem" Nun richtete sie das erste Mal ihren Blick auf meinen. Ihre Stimme bebte. Das und der immer wieder wechselnde Blick zwischen mir und einem Punkt auf meinem Tisch machten die Nervosität, die sie mitbrachte, einmal mehr deutlich.

„Ich weiß", sagte ich knapp. Mein Bruder war der sturste Idiot, den ich kannte. Etwas, das wir gemeinsam hatten. Der Unterschied darin lag allerdings darin, dass ich im Gegensatz zu ihm wusste, was gut für ihn war.

Ohne meinen Blick von Mavis' Gesicht abzuwenden, erhob ich mich aus meinem Sessel. Mit gelassenem Schritt lief ich seitlich an dem massiven Holztisch vorbei und lehnte mich dann ihr gegenüber an den Rand. Eine Geste, die sie augenblicklich defensiv ihre Beine überschlagen ließ.

„Ich hatte nicht wirklich die Möglichkeit, mit ihm darüber zu reden", erklärte sie. Während sie sprach, schweifte meine Aufmerksamkeit über ihren Körper und zu ihren Beinen. Dann beugte ich mich zu ihr vor und fuhr mit meiner Hand zu dem Stoff, der ihre Haut bedeckte. Ich schob ihn ein Stück zur Seite, sodass das Band, welches um ihren Oberschenkel geschnallt war und an dem sie noch einen Rest der Drogen trug, zum Vorschein kam. Mit meinen Fingern umfasste ich den Verschluss und löste es, um es ihr abzunehmen. „E-Er war wütend. Und betrunken", ergänzte sie mit nun schwerer werdendem Atmen. Es überraschte mich zu sehen, dass sie, obwohl ich sie gefickt hatte, nach wie vor Schwierigkeiten mit Berührungen zu haben schien.

„Hat er dich eingeschüchtert?", stellte ich die Frage an sie zurück, während ich das Band und die Drogen neben mich auf den Tisch legte. Eine Vorstellung, die mich schmunzeln ließ. Ich kannte Sawyer und wusste, dass er ein Arsch sein konnte. Dass er Menschen wie Dreck behandelte, wenn er wollte. Da ich ihn allerdings schon kannte, als er noch regelmäßig in seine Windeln geschissen hatte, beeindruckte mich das nicht. Ich wusste, dass seine Klappe in solchen Momenten größer war als das, was dahinter stand.

Der Blick zurück in Mavis' Augen, die sie nun wieder vor sich senkte, ließ mich erneut schlagartig ernst werden. Der Ausdruck darin wirkte verstört. Mit meiner Hand fuhr ich daraufhin zu ihrem Kinn, um ihr Gesicht wieder zu mir aufzurichten. Eine Berührung, die sie zusammenzucken ließ.

„Was hat er gemacht?", wollte ich wissen. Mit meinem Blick wanderte ich zwischen ihren Augen hin und her. Eine Frage, die sie mit einem demonstrativen Schweigen unbeantwortet ließ. „Wenn ich dir eine Frage stelle, dann antwortest du mir, Mavis", erinnerte ich sie mit erhobener Stimme, ohne meine Hand von ihrem Gesicht zu lösen.

„Nichts", sagte sie nun knapp.

Ich löste meine Hand von ihrem Gesicht und richtete, ohne meine Aufmerksamkeit von ihr abzuwenden, meinen Oberkörper auf. „Ich werde dir nicht helfen können, wenn du es mir nicht sagst", entgegnete ich und stützte meine Hände neben mich an den Rand des Tisches.

„Das musst du nicht. Schlimmer als du wird er nicht sein", erwiderte sie kühl. Ich war mir sicher, dass Sawyer einen weichen, empathischen und sensiblen Kern in sich hatte, den ich nicht besaß. Dennoch wusste ich, dass man nicht den Fehler machen sollte, ihn zu unterschätzen...

„Meinst du?", fragte ich und zog gespielt überrascht meine Augenbraue hoch. 

Sie nickte.

„Dabei hast du noch nicht mal den Hauch einer Ahnung, was ich dir und deinem hübschen Gesicht alles antun könnte", sagte ich und ließ meine Augen über ihr Gesicht wandern. Innerhalb einer Sekunde versteinerte ihre Miene, und ihr Atem wurde flacher.

Obwohl es mir nicht gefiel, dass Mavis die Information über das, was Sawyer zu ihr gesagt hatte, für sich behielt, akzeptierte ich es in diesem Moment. Weil ich wusste, dass ich es ohnehin erfahren würde, wenn ich ihm einen weiteren Besuch abstatten würde, um ihm eine Ansage diesbezüglich zu machen. Um von ihm den Respekt einzufordern, den ich verdiente.





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