Blake
„Und wer zur Hölle ist der Typ?", fragte ich Carter knapp. Ich nahm einen Schluck meines Drinks und lehnte mich entspannt in meinem Sessel zurück, löste meinen Blick von der Visitenkarte vor mir und richtete ihn auf ihn.
„Sein Name ist mir in diesem Zusammenhang immer wieder begegnet. Der hat Wirtschaftsrecht in Oxford studiert und die Buchhaltung für die Zenith Group gemacht, bevor die Pleite gegangen sind", erklärte er und hämmerte leicht mit seiner Faust auf der Armlehne des Sessels, auf dem er saß. Eine Bewegung, die meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Seit er vor einer Weile zu mir ins Büro kam, um mit mir über eine Angelegenheit bezüglich unserer Buchhaltung zu sprechen, fiel mir auf, dass er etwas unruhig und abwesend wirkte. Etwas, das untypisch für ihn war.
„Ist er diskret?", wollte ich wissen.
„Ja. Und der Kerl weiß, was er tut", entgegnete er und nickte bestätigend.
Das Geschäft boomte seit einiger Zeit so sehr, dass wir uns nach jemandem umsehen mussten, der sich um unsere Bücher kümmerte. Jemand anderen als die Person, die es zuvor getan hatte. Jemanden, der genau wusste, wie und wo Fehler vermieden werden konnten, die wir unbedingt vermeiden mussten.
„Wie viel?", fragte ich erneut, nachdem ich meinen Blick für ein paar Sekunden nachdenklich in mein Glas gerichtet hatte.
„250.000£ im Jahr", sagte er, nachdem er für einen kurzen Moment geschwiegen hatte. Eine Zahl, die mich dazu veranlasste, meinen Blick erneut auf ihn zu richten.
„Klingt vielversprechend. Dann lad ihn ein, und wir schauen weiter", antwortete ich, nachdem ich einen weiteren Schluck meines Drinks genommen hatte. Eine verdammte Viertelmillion Pfund im Jahr für einen Kerl, der dafür sorgte, dass das wahre Vermögen, das jährlich hinter diesen Wänden verdient wurde, verschleiert wurde...
Nur ein erneutes knappes Nicken von Carter, bevor er sich von dem Sessel erhob und sich dann in Richtung der Tür wandte. Eine kurz angebundene Geste von ihm, die mich wunderte und mit einer ungewohnten Skepsis ihm gegenüber erfüllte.
„Wohin des Weges?", fragte ich rau. Ich spürte sein Bedürfnis gehen zu wollen, weshalb ich die Vermutung hatte, dass es einen Grund dafür gab.
„Ich muss eine Sache regeln. Bin in einer Stunde zurück", antwortete er ohne sich ein weiteres Mal zu mir umzudrehen. Erneut kurz angebunden.
„Und was genau wäre das? Ich kenne all die Sache, die du zu regeln hast, Carter", fragte ich ein weiteres Mal. Noch deutlicher, noch fordernder.
Für einen kurzen Moment verharrte er an der Tür, bevor er sich erneut zu mir umdrehte. Die tiefe Stressfalte auf seiner Stirn zeigte mir, dass es etwas Wichtiges war, das ich wissen sollte. Und dass mein Gefühl, dass etwas nicht stimmte, mal wieder richtig lag.
„Mavis hat die Drogen nicht abgeholt, die sie heute Abend verticken sollte", sagte er schließlich. Sein Kiefer mahlte angespannt, weshalb sich meine Stirn nun ebenfalls etwas verwundert in Falten legte.
„Und ich nehme an, ihr findet sie nicht?", stellte ich die Gegenfrage. Carter wirkte unangemessen angespannt aufgrund dieser Situation, weshalb ich mehr und Schlimmeres erwartete als nur die Tatsache, dass sie die Drogen nicht abgeholt hatte.
„Doch. Sie sitzt in einer der Bars", entgegnete er.
„Und tut was?"
„Nichts. Sie sitzt einfach da und trinkt", erklärte er knapp und zuckte kurz mit den Schultern. Eine Aussage, die uns beide daraufhin für einen Augenblick schweigen ließ. Ein kurzer Moment, in dem ich erneut spürte, wie die extreme Wut ein weiteres Mal in mir aufkochte.
„In welcher?", fragte ich. Meine Stimme dennoch ruhiger und kontrollierter.
„Royal Oak"
„Ich kümmere mich selbst darum", antwortete ich nun und exte den letzten Rest meines Drinks, bevor ich mich von meinem Sessel erhob. Ich würde ihr den Kopf abreißen...
„Und was genau hast du dann vor?", fragte er und folgte mit seinem Blick meiner Bewegung, als ich die hochgekrempelten Ärmel meines Hemdes wieder herunterkrempelte. Ich wusste, dass ich sie diesmal anfassen musste, um ihr zu zeigen, dass ich es ernst meinte. Dass ich sie nicht verschonen würde und bereit war, sie noch mehr leiden zu lassen. Bereits in Paris hatte ich ihr gesagt, dass ich es tun würde, wenn sie nicht das tat, was ich von ihr verlangte. Dennoch hatte ich es nicht getan. Diesmal hatte sie um einiges zu hoch gepokert.
„Ist dir deine Position in meiner Abwesenheit über den Kopf gewachsen, Carter?" entgegnete ich ernst und sah ihn mit steinerner Miene an. Es fühlte sich so an, als ob er von mir eine Erklärung über die Konsequenzen erwartete, die Mavis' Handeln hatte. Etwas, das er sich in diesem Moment nicht erlauben sollte. Auch ihm würde ich die Nase brechen oder die Zähne ausschlagen, um ihn daran zu erinnern, in welcher Position ich war und in welcher Position er sich befand. Weit unter mir, wie alle anderen auch.
„Ich möchte nur nicht, dass du jetzt aus Wut etwas tust, was du später bereuen könntest", antwortete er daraufhin eindringlich. Den Blick in mein Gesicht gerichtet.
„Und was würdest du stattdessen gerne haben, dass ich tue?", bluffte ich jetzt hörbar wütend.
„Lass mich die Sache regeln", bat er. Auch wenn Carter eigentlich hart wie Stein war, bemerkte ich, dass es ihm wichtig war. Er sorgte sich offensichtlich um ihr Wohlergehen. Ich wusste, dass er es nie zugeben würde, aber er wollte sie vor mir schützen. Bereits vorhin, als er ihren Fehler vom letzten Job mit ihr besprechen wollte. Ein Teil in ihm mochte sie und könnte ihr nie das antun, was ich konnte.
„Sie widersetzt sich in meinem Laden erneut meinen Anweisungen. Dementsprechend werde ich mich darum kümmern", entgegnete ich ernst und zog mir mein Jackette an.
„Es ist verständlich, dass sie dich wütend macht. Mich macht sie auch wütend. Aber ich bitte dich, ernsthaft darüber nachzudenken, was du mit ihr machst, wenn du jetzt zu ihr fährst", sagte er wieder. Es war erstaunlich, mit welchem Nachdruck er diese Worte aussprach. Und mit welcher Überzeugung und Standhaftigkeit er sich mir heute in den Weg stellte.
„Ich werde sie nicht umbringen", gab ich kühl wieder. Allerdings war ich mir sicher, dass sie sich wünschen würde, tot zu sein, wenn ich mit ihr fertig war.
„Das war auch nicht mein Gedanke. Sie umzubringen wäre human, und das ist nicht dein Stil", entgegnete er. Obwohl er damit Recht hatte, empfand ich seine Worte als Provokation. Als versuchte er, meine Wut weg von Mavis, auf sich zu lenken.
„Was genau willst du mir sagen, Carter?", fragte ich ihn ein weiteres Mal und sah ihm in die Augen.
„Ich habe die Situation vorhin mitbekommen und ihr Gesicht gesehen, als sie wieder aus deinem Büro kam. Sie ist jung und stur, und du kannst es einem wirklich schwer machen, dich zu mögen, was die Sache zwischen euch besonders kompliziert macht. Aber bitte vergiss für einen Moment, was du von ihr hältst, und die Umstände, die sie hierher gebracht haben, und erkenne an, dass sie trotzdem eine von uns ist..."
DU LIEST GERADE
Next to Coke and Joy Division
Teen Fiction{2. Teil der Preposition-Trilogie} Mavis und Phoebe Prescott - zwei Schwestern, die aufgrund ihrer tragischen Familiengeschichte unzertrennlich scheinen. Bis zu dem Tag, an dem Phoebe sich in den falschen Kerl verliebt und auf die schiefe Bahn gerät...